Spaniens Nationalcoach del Bosque: "Ich bin ein Fußball-Trainer - mehr nicht"

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Von Euronews
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In Spanien ist Vicente del Bosque ein Nationalheld. Der Trainer der Fußball-Nationalmannschaft hat zwei Mal den spanischen Meistertitel, zwei Mal die UEFA Champions League und die Weltmeisterschaft in Südafrika gewonnen.

Del Bosque denkt jetzt schon an die Europameisterschaft 2012 in Polen und der Ukraine, wo er den Titel verteidigen will, den das Team 2008 unter seinem Vorgänger geholt hat.

Javier Villagarcia, euronews:
Herr Del Bosque, zu Beginn eine ganz einfache Frage: Wie gewinnt man eine Weltmeisterschaft?

Vicente del Bosque, Spaniens Nationaltrainer:
Mit ein wenig Glück. Im Leben ist das manchmal notwendig. Jenseits davon haben wir uns gut vorbereitet, die Spieler haben Niveau. Das ist relativ einfach. Während der Qualifikation haben wir gute Spiele gespielt, von zehn Begegnungen haben wir ebenso viele gewonnen. Wir sind Europameister. Ich denke, dass wir eine gute Generation von Spielern haben, die einen Stil geschaffen haben, vor allem in der Mitte des Spielfelds. Sie sind es, die das Spiel der ganzen Mannschaft steuern.

euronews:
Dieser Stil kommt dem des FC Barcelona nahe…

Vicente del Bosque:
Es stimmt, dass es eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Stil des FC Barcelona gibt, weil viele Spieler der Nationalmannschaft von Barca kommen. Doch die Spieler anderer Clubs tragen dazu ebenfalls mit den Stilen ihrer Mannschaften bei.

euronews:
Welche andere Mannschaft außer der spanischen hat Sie bei der Weltmeisterschaft beeindruckt?

Vicente del Bosque:
Deutschland hat eine gute Weltmeisterschaft gemacht. Argentinien ebenfalls, bis zu der Niederlage gegen Deutschland. Das Turnier der Niederlande war makellos. Es gab sehr starke Mannschaften, wie das immer bei Weltmeisterschaften ist. Im Allgemeinen gab es Fußball von hohem Niveau.

euronews:
Denken Sie im Zusammenhang mit der Europameisterschaft an Deutschland?

Vicente del Bosque:
Ja, natürlich. Die Mannschaft war nicht nur physisch in guter Form – wie immer. Hinzu kommen hervorragende Spieler. Während der Weltmeisterschaft waren sie immer bis zum Schluss sehr stark. Im Halbfinale haben wir gut gespielt und sie möglicherweise etwas eingeschüchtert.

euronews:
Der Sieg bei der Weltmeisterschaft bewirkte einen Freudentaumel in Spanien, in einem Land, das von regionalen Nationalismen gekennzeichnet ist. Hat dieser Sieg die Spanier stärker geeint?

Vicente del Bosque:
Für mich geht es um nichts anderes als um Fußball. Wir haben eine Weltmeisterschaft gewonnen. Andere Ansprüche haben wir nicht. Ich gebe zu, dass die Reaktionen in Spanien über den sportlichen Teil des Ereignisses hinausgingen. Sie betrafen das ganze Land. Wenn wir dazu beigetragen haben, die Beziehungen zwischen den Spaniern zu verbessern, umso besser. Doch dass Spanien dank der Weltmeisterschaft stärker geeint wäre, können wir nicht uns selbst zuschreiben.

euronews:
Was die Staatsflagge betrifft: Haben sich die Spanier damit versöhnt?

Vicente del Bosque:
Ich denke, man sollte akzeptieren, dass die Fahne niemandem gehört. Die Fahne zu hissen und stolz zu sein, sollte kein Anlass zur Kritik sein.

euronews:
Einige nationalistische Gruppen forden die Auflösung des spanischen Fußballverbands und die Schaffung von Verbänden in Katalonien oder im Baskenland zum Beispiel. Was halten Sie davon?

Vicente del Bosque:
Der spanische Staat sollte respektiert werden, so wie er ist. Bleibt er, das was er ist, muss akzeptiert werden, dass es nur einen spanischen Fußballverband gibt. Es kann Mannschaften geben, die die Regionen vertreten. Doch Spanien kann nur von der spanischen Auswahl vertreten werden.

euronews:
Sie werden geehrt und vielfach ausgezeichnet. In ihrer Heimatstadt Salamanca wurde eine Straße nach Ihnen benannt. Sie und Ihre Mannschaft haben den Prinz-von-Asturien-Preis in der Kategorie Sport erhalten. Sind Sie überwältigt?

Vicente del Bosque:
Ich habe nicht vergessen, wer ich bin: Ein Fußball-Trainer, mehr nicht. Wir hatten die Chance, den Weltmeister-Titel zu gewinnen, doch ich weiß, dass es außer dem Fußball auch andere Dinge im Leben gibt. Wir müssen uns jetzt auf die neuen Herausforderungen vorbereiten. So ist das Leben von Sportlern nun mal… Wenn der Tag kommt, an dem der Enthusiasmus dafür fehlt, sollte man vom Sport Abschied nehmen.

euronews:
Wie bleibt man nach diesem Freudentaumel, nach dem WM-Sieg mit den Füßen auf dem Boden?

Vicente del Bosque:
Eine Fußballer-Karriere ist sehr kurz. Bevor man es merkt, ist sie vorbei. Man muss jeden Moment nutzen, ohne zu übertreiben und ohne sich auf seinen Lorbeeren auszuruhen. Man muss voranschreiten, versuchen, Fortschritte zu machen… das ist es, was einen guten Sportler ausmacht.

euronews:
Vor kurzem hat Spanien ein Freundschaftsspiel gegen Argentinien verloren. Es war eine 1:4-Niederlage. War sie eine Warnung?

Vicente del Bosque:
Ich denke, es war ein Zeichen dafür, dass wir mit zuviel Selbstvertrauen, vielleicht sogar mit Arroganz gespielt haben. Selbst als es in der Pause 3:0 für die Gastgeber stand, haben wir bewiesen, dass man mit Würde verlieren kann. Wir haben gezeigt, dass wir mit einer solchen Situation umgehen können, wir haben beinahe ausgeglichen, selbst wenn sich das angesichts des Tore-Endstands widersprüchlich anhört. Ich bin mit der Haltung der Spieler nicht unzufrieden. Ich denke, dass wir nicht auf dem Holzweg sind und dass wir von uns nicht mehr halten, als wir tatsächlich sind.

euronews:
Wie geht die spanische Mannschaft die Europameisterschaft an?

Vicente del Bosque:
Wir haben einen vollen Terminkalender und die Qualifikationsphase wird schwierig werden. Im Oktober bietet sich die Gelegenheit, einen Schritt vorwärts zu tun, doch wir haben zwei schwierige Gegner, Litauen und Schottland. Wird unsere Situation danach einfacher, umso besser. Doch zur Zeit müssen wir uns auf die Schwierigkeiten vorbereiten.

euronews:
Kehren wir zur WM zurück. Es gab schwerwiegende Fehler der Schiedsrichter. Was schlagen Sie vor, um solche in Zukunft zu vermeiden?

Vicente del Bosque:
Es sieht aus, als führte uns der gesunde Menschenverstand zu Entscheidungen, die von den neuen Technologien korrigiert werden können. Doch bis heute ist uns dieser große Sprung nicht gelungen. Wenn ich ehrlich sein will, muss ich zugeben, dass ich in allem, was mit dem Fußball zusammenhängt, den Traditionen anhänge. Ich denke, dass eine Maschine in bestimmten Spielsituationen keine Entscheidungen treffen kann.

euronews:
Sind sie gegen den Einsatz von Video-Aufnahmen?

Vicente del Bosque:
Ich bin nicht hundertprozentig dafür. Ich habe Schwierigkeiten damit. Ich gebe zu, dass die Gesellschaft voranschreitet und dass es nicht gut ist, gegen den Fortschritt zu sein. Doch manchmal ist es schwer, diesen mit der Welt des Fußballs zu vereinen.

euronews:
Wäre ein fünfter Schiedsrichter besser?

Vicente del Bosque:
Ich halte nicht viel von dieser Lösung, doch…

euronews:
In Kürze wird der Goldene Fußball vergeben. Wer sind Ihre Favoriten?

Vicente del Bosque:
Ich würde es gerne sehen, wenn ihn ein spanischer Fußballer bekäme. Denn jenseits dessen, dass einige unserer Spieler außergewöhnliche Fähigkeiten haben, bin ich der Ansicht, dass der Fußball ein Mannschaftsspiel ist und dass sie gezeigt haben, dass sie zuallererst für die Mannschaft spielen. Und weil die Mannschaft, von der wir sprechen, gesiegt hat, denke ich, dass dieser Preis einem Spanier zukommt.

euronews:
Ein Name?

Vicente del Bosque:
Nicht nur einer.

euronews:
Alle?

Vicente del Bosque:
Einige.

euronews:
Die erste Frage war: Wie gewinnt man eine Weltmeisterschaft? Die letzte ist: Wie gewinnt man eine Europameisterschaft?

Vicente del Bosque:
Wenn wir die Meisterschaft gewinnen, können wir darüber sprechen. Bis dahin gilt, wie insgesamt im Sport, dass man hart arbeiten muss, wie eine wahre Mannschaft es tut. Man muss das Gefühl haben, eine Mannschaft zu sein. Dieses Gefühl haben wir seit zwei Jahren, als es Spanien gelungen ist, die Europameisterschaft zu gewinnen. Seither wissen wir, dass wir eine Mannschaft sind.

euronews:
Vicente del Bosque, vielen Dank.

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