"Die Türe ist geschlossen"

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Fragen zum Nahost-Friedensprozess an Saeb Erekat und Yossi Beilin

Von Fradi Sami, Euronews

Die Hindernisse im Nahost-Friedensprozess sowie die derzeitigen Verhandlungen standen im Mittelpunkt des im marokkanischen Tanger organisierten Forums “Medays”. Euronews nahm die Gelegenheit wahr, um mit dem palästinensischen Chefunterhändler Saeb Erekat sowie mit dem israelischen Politiker Yossi Beilin über diese beiden Themen zu sprechen.

Euronews:

Welches sind die Aussichten für die gegenwärtigen Direktverhandlungen zwischen Palästinensern und Israelis?

Erekat:

Die Türe ist geschlossen. Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat sich anstatt für den Frieden leider für den Siedlungsbau entschlossen. Folglich kommt der israelischen Regierung die volle Verantwortung für das Scheitern der Direktverhandlungen zu. Sie wurden Anfang September unter der Schirmherrschaft des US-Präsidenten Obama ins Leben gerufen und scheiterten Ende des gleichen Monats, noch bevor sie aufgenommen wurden, weil Israel den Siedlungsbau fortsetzte. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas sagte gleich zu Beginn, der Baustopp, auch jener in Jerusalem, sei die Voraussetzung für Direktverhandlungen.

Euronews:

Wie schätzen Sie die derzeitige Lage in den Palästinensergebieten ein und was bedeutet der Ausbau der Siedlungen für die Sicherheit der Palästinenser?

Erekat:

Die Lage ist äußerst schwierig: Dazu zählen die Fortsetzung der Besiedlung, die sich auf den Bau von Siedlungen und Mauern auswirkt, Verhaftungen sowie das unmenschliche und ungerechte Embargo, das über den Gazastreifen verhängt wurde. Lebensmittel und Medikamente werden benutzt, um eineinhalb Millionen Menschen unter Druck zu setzen. Es scheint, als wolle die israelische Regierung die Besiedlung nutzen, um von dem Status quo zu profitieren. Er ist ein Machtmittel. Die Autonomiebehörde wird diese Situation nicht hinnehmen.

Euronews:

Wird es den Amerikanern gelingen, Israel beim Siedlungsbau eine Frist zu setzen, um den Verhandlungsprozess wieder in Schwung zu bringen?

Erekat:

Israel ist Teil des amerikanischen politischen Lebens, Israel ist ein strategischer Verbündeter der USA. Diese sollten bei Israel einen Stopp des Siedlungsbaus einschließlich in Jerusalem durchsetzen. Glaubt man Präsident Obama, so ist es im Interesse der USA, dass die Besiedlung gestoppt und dass ein palästinensischer Staat geschaffen wird. Seit der Invasion des Iraks und Afghanistans befinden sich 230.000 Soldaten in der Region, was dazu führte, dass sich die Rolle der Staaten verändert hat. Setzt Israel dem Siedlungsbau kein Ende, droht der Region Gefahr, das heißt Stabilität und Sicherheit werden aufs Spiel gesetzt.

Euronews:

Wie beurteilen Sie Israels Forderung an die Palästinenser, als jüdischer Staat anerkannt zu werden?

Erekat:

Diese Forderung ist inakzeptabel. Am neunten September 1993 haben die Palästinensische Befreiungsorganisation PLO, vertreten durch Jassir Arafat, und die israelische Regierung mit ihrem damaligen Ministerpräsidenten Jitzak Rabin durch einen Briefwechsel einander anerkannt. Dieses Kapitel ist abgeschlossen. Von uns zu forden, Israel als jüdischen Staat anzuerkennen, ist, als fordere man uns dazu auf, der zionistischen Bewegung beizutreten.

Euronews:

Welche Möglichkeiten haben die Palästinenser und Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas, sollten die Verhandlungen mit Israel scheitern?

Erekat:

Präsident Abbas hat den Chefs der arabischen Staaten bereits eine Alternative vorgeschlagen. Sie besteht darin, Präsident Obama dabei zu unterstützen, Israel zu einem Stopp des Siedlungsbaus zu bewegen, die Direktverhandlungen wieder aufzunehmen und sich auf Grenz- und Sicherheitsfragen zu konzentrieren, um dieses Kapitel abzuschließen. Gelingt es den Vereinigten Staaten nicht, Israel bis bis zum Ende dieses Monats zum Siedlungsstopp zu bewegen, besteht eine zweite Alternative darin, dass die arabische Staaten die USA dazu auffordern, den Palästinenserstaat mit dem Grenzverlauf von 1967 und Jerusalem als Hauptstadt anzuerkennen. Tun die USA das nicht, werden die Palästinenser, die bei den UN Beobachterstatus haben, die Anerkennung als Mitgliedsstaat beantragen, in den Grenzen von 1967 und mit Jerusalem als Hauptstadt. Legen die USA kein Veto ein, werden die Mitgliedsstaaten zur Anerkennung dieses Staates aufgefordert. Die vierte Alternative: Legen die USA ihr Veto ein, greifen wir auf das Prinzip der Friedensunion zurück, derzufolge die UN-Generalversammlung die gleichen Vollmachten hat wie der Sicherheitsrat, um den Palästinenserstaat anzuerkennen. Ein fünfte Möglichkeit besteht darin, Garantien für ein internationales Mandat für den Palästinenserstaat zu suchen. Und eine sechste Alternative ist, der vierten Genfer Konvention beizutreten, die Zivilisten in bewaffneten Konflikten schützt, was somit für Palästina und Jerusalem gelten würde.

Yossi Beilin gehört der Genfer Initiative an, die den Nahost-Konflikt auf inoffiziellem Weg zu lösen versucht.

Euronews:

Der israelische Ministerpräsident Netanjahu sagte, er könne den Siedlungsbau im Westjordanland nicht stoppen, ohne seine Regierung zu Fall zu bringen. Ist die Regierung wichtiger als der Friedensprozess?

Beilin:

Ich hoffe sehr, dass diese Regierung zu Fall kommt, denn meiner Meinung nach ist sie eine der schlechtesten Regierungen, die Israel je hatte. Stimmte es, was er sagt, wäre ich sehr glücklich darüber.

Euronews:

Was halten Sie von der Politik Netanjahus und seiner Drohung, das Westjordanland zu besetzen, sollte Präsident Abbas einen Palästinenserstaat ausrufen?

Beilin:

Selbstverständlich ziehe ich ein Abkommen einer einseitigen Erklärung vor. Eine einseitige Erklärung durch die Palästinenser hätte zur Folge, dass sie nur 40 Prozent des Westjordanlandes besäßen, mehr würden sie nicht bekommen. Selbst im Fall einer Anerkennung durch die Welt, durch einige Staaten, hätten sie ein Land in den Grenzen von 1967. So lange Israel nicht zustimmt und sich aus dem Westjordanland nicht zurückzieht, bliebe eine Erklärung nur eine Erklärung. Darum denke ich, dass sie ein Fehler wäre.

Euronews:

Wie erklären Sie sich, dass Israel die Palästinenser auffordert, einen jüdischen Staat anzuerkennen?

Beilin:

Die Forderung ist nicht neu und kann meiner Meinung nach aus den Verhandlungen nicht ausgeschlossen werden, als Ergebnis von Verhandlungen. Gemäß der Genfer Initiative können wir ohne Mühe eine Lösung dafür finden. Es wäre völlig in Ordnung, dass wir Palästina als Heimat der Palästinenser anerkennen und die Palästinenser im Gegenzug Israel als Heimat des jüdischen Volkes, ohne Vorurteile gegenüber den Minderheiten, die in beiden Staaten leben würden. Ich denke, dass der Schlüssel bei den Amerikanern liegt. Senator Mitchell ist mit seiner Mission gescheitert und sollte meiner Ansicht nach ersetzt werden. Präsident Obama könnte einen ganzen Apparat aufbauen, der sich so lange intensiv mit uns und mit den Palästinensern beschäftigt, bis etwas geschieht. Das ist heute nicht der Fall. Auch eine neue Rede und ein erneutes Treffen zwischen Netanjahu und US-Außenministerin Clinton werden die Welt nicht verändern.

END

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