Belgiens Finanzminister: Handlungsfähig trotz Hängepartie

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Von Euronews
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Er ist Finanzminister in einem Land, dass einen peinlichen Weltrekord aufgestellt hat. Didier Reynders ist Belgier, und dort gibt es nun schon seit über 450 Tagen eine Übergangsregierung, viel länger als z.B. dereinst im Irak. Die Parteien sind zerstritten, König Albert hat sogar zuletzt seinen Urlaub unterbrochen, um die Vermittlungsversuche endlich zu einem Erfolg zu führen.

Darüber und natürlich auch über die Krise des Euro hat EuroNews mit Didier Reynders gesprochen, dem belgischen Finanzminister und möglicherweise neuem Regierungschef des Landes.

EuroNews:

“Herr Reynders, wie verwalten Sie den Staatshaushalt, obwohl ihre Entscheidungsmöglichkeiten derzeit doch ziemlich gering sind?”

Didier Reynders:

“Das stimmt natürlich, unsere Machtbefugnisse sind im Moment begrenzt. Dringende Entscheidungen können wir aber sehr wohl treffen, wenn es zum Beispiel darum geht, die Interessen unseres Landes zu schützen. Außerdem hat unsere Übergangsregierung eine Mehrheit im Parlament. In anderen Ländern Europas gibt es Minderheitsregierungen, die auch auf die Opposition hören müssen.

Wir tragen unsere Entscheidungen dem Parlament vor, z.B. den Haushalt 2011, z.B. die Beteiligung Belgiens am Militäreinsatz in Lybien.

Deshalb hoffe ich, dass wir auch bald den Haushalt 2012 verabschieden können

Zudem habe ich mich um die Umsetzung der europäischen Beschlüsse zur Bewältigung der Finanzkrise gekümmert, und ich glaube, es ist wichtig, dass Belgien in dieser Beziehung mit voran geht.

Also: Mit der Unterstützung des Parlaments können wir trotz allem eine Menge bewegen.”

EuroNews:

“Regierungschef Yves Leterme hat seinen Rücktritt gerade in dem Moment erklärt, als eine Einigung greifbar nahe schien. Sehen Sie ein Licht am Ende des Tunnels?”

Didier Reynders:

“Ich glaube, ein Ende der Verhandlungen zur Bildung einer neuen Regierung ist noch nicht abzusehen. Davon mal abgesehen haben wir einen Premierminister, der auf jeden Fall bis Ende des Jahres geschäftführend im Amt bleiben wird.”

EuroNews:

“Werden Sie dann der Nachfolger von Yves Leterme, um die Krise zu meistern?”

Didier Reynders:

“Das wäre die normale Abfolge in der belgischen Regierung: Wenn der Premierminster zurücktritt, übernimmt die Nummer 2 seine Amtsgeschäfte. Aber soweit sind wir nicht, Yves Leterme wird sicher bis Jahresende die Verantwortung tragen, und mit ihm werden wir wahrscheinlich den Haushalt 2012 beschliessen. Das Ganze ist ansonsten eher eine protokollarische Frage.”

EuroNews:

“Der Präsident der Euro-Gruppe Jean-Claude Juncker fordert von Belgien strukturelle Reformen. Wie soll das gehen ohne stabile Regierung?”

Didier Reynders:

“Das Beste wäre natürlich, dies mit einer neuen Regierung umzusetzen. Aber selbst in der derzeitigen Lage können wir mit Hilfe des Parlaments etwas tun. Es gibt zwei zentrale Reformvorhaben in Belgien, zum Einen die Rentenreform, die ja auch in anderen Ländern Thema war. Es wird in den nächsten Jahren immer schwieriger, die Renten zu bezahlen.

Die zweite Reform betrifft den Arbeitsmarkt. In Belgien gehen viele Menschen schon mit ungefähr 58 Jahren in den Ruhestand, dabei ist die Regelaltersgrenze 65 Jahre. Es gibt zahlreiche Vorruhestandsregelungen. Wir werden mit Yves Leterme und Anderen ins Parlament gehen, um entsprechende Reformen in Gang zu bringen.

Jean-Claude Junker hat Recht: Wie alle Länder der Euro-Zone muss Belgien Maßnahmen ergreifen, um seinen Haushalt in Ordnung zu bringen, und unsere Aufgabe ist es, Wege aufzuzeigen, wie solche Maßnahmen umgesetzt werden können.”

EuroNews:

“In den letzten Tagen waren immer mehr Stimmen zu hören, die einen Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone forderten. Glauben Sie, dass es dazu kommen könnte?”

Didier Reynders:

“Ich hoffe nicht, denn das wäre eine Katastrophe. Überspitzt könnte ich sagen: Man kann Griechenland rausschmeißen, genauso wie andere Länder, warum dann nicht auch eine Mauer bauen, warum nicht das ganze europäische Haus abreißen, die ganze Euro-Zone.

Natürlich müssen wir dafür sorgen, dass die Griechen die notwendigen Maßnahmen ergreifen, um ihre Situation zu verbessern, aber zugleich müssen wir ihnen auch die nötige Hilfe zukommen lassen, wir müssen ihnen Zeit lassen.

Ich bin fest davon überzeugt, dass wir in den nächsten Monaten eine Stärkung der Euro-Zone erleben werden, vielleicht einen europäischen Finanzminister, wie Jean-Claude Trichet vorgeschlagen hat, vielleicht eine EU-übergreifende Institution, die anstelle einzelner Staaten Haushaltsentscheidungen trifft. Und wir brauchen die Eurobonds, und wir brauchen beides gleichzeitig.”

EuroNews:

“Die 27 Finanzminister der EU werden sich am Wochenende in Polen treffen, um über Griechenland zu sprechen. Mehrere Ländern fordern Sicherheiten für die Hilfen, die den Griechen gewährt werden. Ist das das Ende der europäischen Solidarität?”

Didier Reynders:

“Klar, das ist ein Risiko. Man sagt ganz richtig, dass diese Forderungen aus den Ländern kommen, in denen die Populisten und Vereinfacher ein wichtiges Wort mitsprechen, die die Entwicklung Europas aufhalten wollen. Das ist eine demokratische Debatte. Aber wir brauchen auch Lösungen, die die Solidarität erhalten.

Ich glaube, wenn ein Staat wie Finnland Garantien fordert, muss er im Gegenzug bereit sein, weniger Zinsen zu verlangen. Am Ende, wenn die Maßnahmen in Griechenland erfolgreich waren, wenn die Griechen ihre Schulden zurückzahlen, würde Finnland also weniger bekommen, weil sie ja lieber Garantien wollten.

Das erklärt, warum andere Länder wie Belgien keine Garantien wollen, sondern Solidarität üben, denn wir sind überzeugt, dass sich die Dinge gut entwickeln werden, und dass wir infolgedessen höhere Zinsen bekommen werden.”

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