Hamas-Außenminister Mohamed Awad zum UNO-Antrag der Palästinenserbehörde

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Euronews:

Vor der Entscheidung der Palästinenser, bei den Vereinten Nationen die Vollmitgliedschaft zu beantragen, sprechen wir mit Mohamed Awad über die Konsequenzen dieser Entscheidung auf nationaler und internationaler Ebene. Mohamed Awad ist Außenminister in der Regierung der Hamas.

Die Hamas lehnt den Antrag auf Vollmitgliedschaft ab. Warum? Und welche Garantien fehlen Ihrer Meinung nach der Palästinenserbehörde für einen solchen Schritt?

Mohamed Awad:

Ich möchte klarstellen, dass es sich nicht um eine Ablehnung, sondern um eine Klärung der Position handelt. Denn es geht hier um das Schicksal des palästinensischen Volks.

Wir beanspruchen, dass Palästina ein Vollmitglied der Vereinten Nationen wird. Aber das wirft auch die Frage nach der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO und der inneren Aussöhnung auf. Das sind äußerst wichtige Fragen, die schwer auf der palästinensischen Sache lasten. Bevor also eine solche Entscheidung getroffen oder eine Position vertreten wird, muss erst klar sein, dass diese Fragen berücksichtigt werden.

Euronews:

Die Öffentlichkeit weltweit unterstützt die Errichtung eines palästinensischen Staats. Der Antrag erscheint daher logisch zu sein. Sie sagen jedoch, dass mit der Anerkennung die Rechte der Palästinenser preisgegeben werden. Wie kommt das?

Mohamed Awad:

Diese Frage muss Machmud Abbas gestellt werden. Er will die Vollmitgliedschaft beantragen. Er muss dem Volk erklären, warum er diese Entscheidung getroffen hat, damit sich das Volk eine Meinung dazu bilden kann.

Wir begrüßen den Einsatz aller Länder, die das palästinensische Volk und einen Palästinenserstaat unterstützen, und hoffen, dass sie uns auch weiterhin unterstützen.

Was die inneren Angelegenheiten betrifft, glauben wir, dass eine andere Sache die Palästinenser beschäftigt. Wir wollen Gewissheit haben, dass die Aufnahme in die Vereinten Nationen keine Auswirkungen auf das Rückkehrrecht der Flüchtlinge hat. Damit sie wieder in dem historischen Palästina leben können, und nicht nur innerhalb eines palästinensischen Staates.

Euronews:

Sie lehnen also den Status eines beobachtenden Nichtmitglieds ab, den die Palästinenserbehörde für den Fall beantragen will, wo die USA bei der Abstimmung von ihrem Vetorecht Gebrauch machen?

Mohamed Awad:

Wir wollen ein Vollmitglied werden. Und hier vor Ort wollen wir einen wirklichen palästinensischen Staat haben und nicht nur einen Medienaufruhr, der die Palästinenser ihre Rechte kostet.

Euronews:

Sie lehnen es jedoch ab, zu den Vereinten Nationen zu gehen, wie Sie es auch ablehnen, direkt mit den Israelis zu verhandeln. Welche Alternativen gibt es für Sie, um den Konflikt zu beenden?

Mohamed Awad:

Kommen wir auf die Rede von Herrn Abbas zurück, der sagte, dass die Verhandlungen den Palästinensern nichts gebracht hätten und er keine andere Alternative hätte. Ich fordere ihn zuerst auf, mit den verschiedenen palästinensischen Gruppen zu verhandeln. Mit der Hamas, mit dem islamischen Jihad und mit der Volksfront zur Befreiung Palästinas, um zu einem gemeinsamen Plan zu kommen. Ein Plan, der über mehr als eine Alternative verfügt, nicht nur über den des Friedensprozesses.

Wir verfügen auch über die Alternative des Widerstands in all seinen Formen. Man kann innerhalb der Vereinten Nationen und bei den europäischen Ländern mehr Druck machen.

Euronews:

Aber genau das tun doch Herr Abbas und die Palästinenserbehörde: vor die UNO ziehen, um die Anerkennung eines pälästinensischen Staats zu fordern.

Mohamed Awad:

Ich bin nicht gegen den Antrag bei den Vereinten Nationen. Ich bin gegen dieses Vorpreschen, durch das die Palästinenser ihre Rechte verlieren könnten. Man muss sicher sein, dass die Anerkennung eines Staats durch die UNO die Rechte des palästinensischen Volks garantiert. Dann können wir die Idee unterstützen. Aber wir lehnen es ab, vor die UNO zu treten – ohne eine Alternative und ohne zu wissen, was passiert, wenn der Antrag abgelehnt wird.

Wenn die Palästinenser wüssten, dass der Antrag bei der UNO vielleicht negative Auswirkungen auf ihre Rechte haben wird, würden sie die Idee komplett verwerfen.

Euronews:

Mit der Entscheidung der Palästinenserbehörde treten auch die Divergenzen zwischen Hamas und Fatah wieder offen zutage. Welche Auswirkungen könnte das auf die Einheit der Palästinenser in einem so wichtigen Augenblick haben?

Mohamed Awad:

Lassen Sie mich das in aller Ehrlichkeit sagen. Was ist im Moment wichtig für uns? Eine gemeinsame palästinensische Position zu vertreten und vor der UNO mit einer Stimme zu sprechen? Oder die Entscheidung, trotz dieser Diskrepanzen vor die UNO zu treten? Die Antwort ist einfach.

Das erwähnte auch Herr Abbas, als er angab, eine nationale Aussöhnung zwischen den verschiedenen politischen Bewegungen erreichen zu wollen. Warum bewegen wir uns nicht erst in Richtung nationale Einheit und setzen unser Volk über die verschiedenen Konsequenzen in Kenntnis, bevor wir zur UNO gehen?

Dann wären wir alle verantwortlich und würden die Unbestimmtheit vermeiden, die nun auf diesem Schritt lastet.

Euronews:

Ist Ihre Ablehung gegenüber der Palästinenserbehörde nicht eher eine Strafe dafür, dass sie Ihrer Meinung nach nicht genügend mit der Hamas verhandelt hat?

Mohamed Awad:

Ganz im Gegenteil. Es geht nicht um einen Mangel an Verhandlung, sondern um eine schicksalhafte und sehr wichtige Entscheidung.

Bevor man eine solche Entscheidung trifft, muss man die möglichen Konsequenzen kennen. Herr Abbas hat in seiner Rede gesagt, dass wir ständiges Mitglied in der UNO sein wollen, aber er sagte auch, dass er keine Alternative hätte, wenn die Amerikaner ihr Vetorecht nutzten.

Ist es möglich, eine solch weitreichende Entscheidung zu treffen, ohne die Konsequenzen bei einer Ablehnung zu kennen? Das Beste ist also, Alternativen zu haben, indem man mit den palästinensischen Gruppen zuerst verhandelt.

Euronews:

Welche Auswirkung könnten die Revolutionen in der arabischen Welt auf die Sache der Palästinenser haben?

Mohamed Awad:

Die arabischen Revolutionen unterstützen das Anliegen der Palästinenser direkt und sind ein positiver Faktor, der helfen könnte, eine Lösung dafür zu finden.

Aber wir fürchten, dass diese Revolutionen unterlaufen werden und deshalb viel Zeit brauchen, bevor sie Erfolg haben und in der Region eine wichtige Rolle spielen können.

Euronews:

Sie hoffen auf eine wichtigere Rolle der Türkei in dem Konflikt und haben die Entscheidung Erdogans begrüßt, demnächst nach Gaza zu reisen. Die Türkei versucht derzeit, all ihre Karten in der Region auszuspielen. Erhoffen Sie sich davon auch ein größeres Engagement für die Sache der Palästinenser?

Mohamed Awad:

Wir glauben, dass die Türkei und Ägypten eine wichtige Rolle in dem Konflikt spielen sollen. Sie stellen eine Achse dar, die Forderungen durchsetzen und helfen könnte, eine Lösung für den Konflikt zu finden.

Denn der Friedensprozess geht weiter, egal, was man glauben mag. Wir wollen einen dauerhaften Frieden im Rahmen eines palästinensischen Staats, der von der Türkei und allen arabischen Staaten unterstützt wird, die Frieden und Stabilität in der Region wollen.

Euronews:

Mohamed Awad, vielen Dank für dieses Gespräch direkt aus dem Gazastreifen.

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