Töpfer: "Spekulation kann vor unserer Haustür Hungerrevolten auslösen"

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Von Euronews
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Als er in Kenia sah, wie Menschen der Steppe Nahrung abringen, wie fruchtbare Böden immer wieder den Bach runtergehen – da hatte Klaus Töpfer sein Thema längst gefunden. Oder seine Themen: Umwelt, Energie, Nahrung für den Globus. Ein paar Stationen: Chef des UNO-Umweltprogramms (UNEP) in Nairobi, zuvor deutscher Umweltminister, jetzt Gründungsdirektor einer Denkfabrik für Klimaforschung und Nachhaltigkeit (IASS) in Potsdam, Ethikberater der deutschen Bundeskanzlerin beim Atomausstieg und im Präsidium der Welthungerhilfe.

Sigrid Ulrich hat für euronews mit Klaus Töpfer gesprochen.

Sigrid Ulrich, euronews:
Herr Töpfer, Ihnen muss ich das ja nicht erzählen – alle drei, vier Sekunden stirbt ein Mensch, weil er nicht genug zu essen hat. Sie haben sich Anfang des Jahres stark gegen Nahrungsmittelspekulation ausgesprochen. Aber ich habe mich gewundert – das war nicht aus humanitären Gründen, sondern wegen der globalen Sicherheit. Wie meinen Sie das denn?

Klaus Töpfer:
Ich glaube, die Dinge sind sehr eng miteinander verbunden. Wir sehen, dass massiv spekuliert wird. Wir sehen, dass dadurch gerade die Ärmsten der Armen belastet werden. Bei uns beiden macht das, was wir für Essen ausgeben, maximal 13 Prozent unseres Monatseinkommens aus, bei ihnen sind es bis zu 70 Prozent. Wenn also die Preise ansteigen, geht das dort sofort ans Existenzminimum. Auf der anderen Seite wissen wir, dass dort, wo Nahrungsmittel knapp werden, Menschen sich aufbäumen, dagegen arbeiten. Dass sie dadurch Revolten auslösen können – sehr, sehr verständlich, nicht zu kritisieren. Aber vorzubeugen. Insofern sind die beiden Dinge sehr, sehr eng verbunden.
Wir haben solche Nahrungsmittelkrisen und die damit verbundenen Revolten erlebt, vor gar nicht langer Zeit, in einigen Ländern Afrikas. Und wir müssen wissen, dass eine solche Destabilisierung ganzer Gesellschaften Konsequenzen hat, die uns auch treffen.

euronews:
Spekulanten sind ja keine Hasardeure, eigentlich. Die können ja ganz gut rechnen. Die rechnen nur Zwei und Zwei zusammen, dann kommen sie auf Ungleichgewichte und die nützen sie dann aus. Welchen Anteil haben denn die Spekulanten überhaupt an der Preissteigerung?

Töpfer:
Es ist ein sehr relevanter Anteil dieser Preisschwankungen…..

euronews:
…der Schwankungen oder der Steigerungen?

Töpfer:
Die Schwankungen sind dramatisch und sie sind sehr stark spekulativ begründet. Dass es gleichzeitig einen Trend steigender Lebensmittelpreise gibt, kommt dazu. Aber die Schwankungen gehen in besonderer Weise auf spekulative Aktionen zurück. Wir leben halt in einer Welt, ín der es extrem viel Geld gibt, das irgendwie seine Anlage sucht, in einer Zeit, in der viele Sorge haben, dass Finanzsysteme zusammenbrechen. Und da werden Commodity-Märkte, also Märkte für Rohstoffe und Nahrungsmittel zu einem Anlaufpunkt.
Wir kriegen extensive Preisblasen und die müssen auf jeden Fall verhindert werden. Sie haben die drei Sekunden angesprochen – wir wissen, dass es nach wie vor rund eine Milliarde Menschen gibt auf der Welt, die hungrig ins Bett gehen, die nicht wissen, wie sie sich ernähren sollen. Wir sehen das in immer dramatischeren Bildern im Fernsehen, zum Beispiel am Horn von Afrika: Wir sehen das vor unserer Haustür passieren.
Und wir leben gleichzeitig in einer Gesellschaft, die pro Jahr 20 Millionen Tonnen Lebensmittel wegwirft. Wir sehen, dass die Spekulation nicht nur auf Lebensmittel geht, sondern in hohem Mass auch auf Böden. Das ist der Punkt, wo wir Spekulation nicht punktuell sehen können. Wir müssen das schon einbinden in die Gesamtentwicklung auf den Nahrungsmittelmärkten.

euronews:
Nicolas Sarkozy, der französische Präsident, hat die Stabilisierung der Nahrungsmittelpreise als eine Priorität für seinen G20-Vorsitz (November 2010 – November 2011) genannt. Da treffen sich aber die gleichen Leute wieder, die vorher mit hunderten Milliarden Euro und Dollar ihre Banken rausgehauen und das viele Geld eigentlich erst in die Welt gesetzt haben. Sie sind gelernter Ökonom – irgendwo muss da eine Preisblase herauskommen, wenn nicht gleichzeitig mehr produziert wird.

Töpfer:
Also zunächst einmal ist es erfreulich, dass Sarkozy dazu beigetragen hat, dieses Thema massiv in die Öffentlichkeit und die politische Entscheidungsnotwendigkeit zu bringen. Das wird kein “von Null auf Hundert Springen” sein. Wir sind unzufrieden sind mit Dingen, die in dem Konzept stehen. Wir sehen zu wenig berücksichtigt, dass die Produktivität gerade im Bereich der Kleinbauern verstärkt werden muss. Wir wollen nicht nur industrialisierte Argrarsysteme gefördert sehen, auf die man in einer Welt mit neun oder zehn Milliarden Menschen natürlich nicht verzichten kann. Wir müssen gerade dort helfen, wo es um Hilfe zur Selbsthilfe geht - nebenbei das, was wir in der Welthungerhilfe als unsere Aufgabe sehen.
Wenn aber mancher sagt, steigende Agrarpreise hätten grosse Vorteile für die Produzenten, sie können dann mehr erzielen – dann ist das ist eine sehr flache Fehlinformation, um es mal ganz vorsichtig zu sagen – denn wir wissen, dass die Rohstoffkosten steigen, auch die Energie zieht massiv an. Die Produktionskosten steigen mehr als die Erzeugerpreise hinterher. Der Bauer kriegt also am Ende weniger. Wir sehen, dass viele, viele Kleinbauern zukaufen müssen, mit ihrer Ernte gar nicht auskommen – und deswegen wiederum von den hohen Agrarpreisen getroffen werden.
In dem, was bei G20 vorgelegt wird, finden wir diese Dinge zu wenig behandelt.
Aber wirklich zu begrüssen ist, dass das Thema endlich dort angekommen ist, wo es hingehört. Nämlich bei denen, die Spekulation auch mal transparent machen können, die auch eingreifen können und hoffentlich auch eingreifen müssen - einfach deswegen, weil sie dazu gezwungen werden, von den Menschen und auch von den Unruhen, die uns alle beunruhigen.
Börsen und Derivate sind nicht vom Himmel gefallen, sondern wurden von Menschen gemacht. Da ist es eine Verpflichtung der Politik, auch zu handeln.

euronews:
Wir haben den Konsum in den Industrieländern noch nicht besprochen. Da gibt es zwei kontroverse Themen: Einmal Biosprit – besser gesagt, Agrarsprit. Und das Zweite ist die Struktur des Konsums. Ein Kilo Fleisch braucht ein Vielfaches an Wasser und an Boden….

Töpfer:
…und an Energie.

euronews:
…und an Energie im Vergleich zu einem Kilo Getreide.

Töpfer:
Ja, die beiden Dinge sind von größter Bedeutung. Die Art, wie wir uns ernähren, ist ganz besonders Ressourcen-schwer, also Rohstoff-schwer, an Energie und Rohstoffen aller Art. Wir können berechnen, wenn alle Menschen auf der Welt sich so ernähren wollten, wie wir es tun, hätten wir bereits jetzt ein dramatisches Defizit.
Wir wissen, je weniger Fleisch man isst, desto klimaverträglicher ist das, desto ressourcen-verträglicher.

euronews:
Jetzt mal zu den Ernährungsgewohnheiten - wie oft gibt es denn bei Töpfers Fleisch in der Woche ?

Töpfer:
Da gibt es vergleichsweise wenig Fleisch. Aber weniger unter dem Gesichtspunkt, den ich einbringe. Meine Frau liebt Salate und, naja, vegetarische Produkte. Ich bin auch ein Anhänger der sogenannten 100-Meilen-Diät: möglichst nur das zu essen, was im Umkreis von 100 Meilen erzeugt worden ist. Es ist gar nicht so leicht, dem zu folgen. Daraus ergibt sich, dass wir bemüht sind, sehr saisonal zu essen. Und dass wir es nicht für ganz so dringlich halten, im Herbst noch Erdbeeren auf dem Tisch zu haben.

welthungerhilfe.de

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