Olli Rehn: "Ich bin enttäuscht, dass wir die Marktturbulenzen zunehmen ließen."

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Von Euronews
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EU- Wirtschaftskommissar Olli Rehn spielt eine Schlüsselrolle in der Ausarbeitung einer europäischen Strategie gegen die Auswirkungen der Schuldenkrise. Der jüngste Vorschlag sieht eine Rekapitalisierung der Banken vor. Dutzende

Banken müssten dann ersten Studien zufolge mehr als 200 Milliarden Euro aufbringen

Die europäische Zentralbank wird ihre Einschätzung kommende Woche abgeben.

Euronews-Journalistin Margherita Sforza srach in Brüssel mit EU-Finanzkommissar Olli Rehn:

Euronews: “EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso hat einen Plan vorgelegt, der den von der Schuldenkrise bedrohten Banken zu mehr Eigenkapital verhelfen soll. Glauben Sie nicht, dass Europa früher hätte reagieren müssen?”

Olli Rehn: “Die Europäische Kommission fordert bereits seit Januar in ihrem Trimesterbericht eine umfassende Antwort auf die Krise. Wir arbeiten seit vergangenem Jahr daran. Dann gab es Kritik von einigen Seiten, so dass gelinde gesagt nicht alle Bestandteile umgesetzt wurden. Wir brauchen aber eine umfassende Strategie, um diese Schuldenkrise

und die Schwachstellen im Bankensektor in den Griff zu bekommen und nachhaltiges Wachstum in Europa zu gewährleisten.”

Euronews: “Wie hoch ist ihrer Ansicht nach der Kapitalbedarf der Banken? Wie viele Banken sind gefährdet?”

Olli Rehn: “Ich werde derzeit keine genauen Zahlen nennen. Aber die Anzahl ist signifikant, und unser Plan sieht eine Kapitalversorgung in drei Schritten vor.”

Euronews: “Wer muss das bezahlen?”

Olli Rehn: “Wir erwarten, dass die Banken bei Privatinvestoren und Kapitalmärkten anfragen. Falls das nicht klappt, werden die Mitgliedsstaaten nationale Rekapitaliserungspläne und Restrukturierungen der Banken bereit halten. In dritter Instanz würde der Europäische Krisenfonds greifen, der Regierungen Kredite gewährt.”

Euronews: “Sollte im nächsten Bankenstresstest ein Szenario wie das in Griechenland berücksichtigt werden?”

Olli Rehn: “Wir gehen nicht von einem Ausfall Griechenlands aus. Wir halten eine Einigung zur nachhaltigen Lösung für Griechenland für unabdingbar. Diese kann auch ein zweites Programm mit finanzieller Unterstützung der Privatwirtschaft und offizieller Seiten sein.

Euronews: “Die Arbeitslosenquote in Griechenland steigt. Derzeit liegt sie bei über 16%, die Selbstmordrate hat sich verdoppelt. Doch angesichts der verschlimmerten Rezession verlangt die Troika tiefgreifendere Maßnahmen, um die Ziele von 2013 zu errreichen. Glauben Sie, dass die Griechen ein weiteres Sparpaket verkraften können?

Olli Rehn: “Wir haben einen Kommissionsausschuss eingerichtet, der mit Experten der Mitgliedsstaaten zusammenarbeitet, damit wir Griechenland darin unterstützen, die Investitionsfonds besser zu nutzen, die Steuergesetze zu reformieren und die Privatisierungspraxis zu verbessern.

Euronews: “Wann wird Griechenland wieder wettbewerbsfähig sein?”

Olli Rehn: “Griechenland gewinnt in einigen Gebieten bereits an Boden. Der Exportsektor zeigt erste Zuwächse. Die Kurskorrektur muss aber weitergehen, da Griechenland leider über seine Verhältnisse gelebt hat.”

Euronews: “Der Europäische Krisenfonds spielt in der Lösung der Schuldenkrise eine wichtige Rolle, doch offenbar reicht das nicht. Jetzt geht es um Fremdkapitalaufnahme. Welche Lösung finden Sie am besten?”

Olli rehn: “Wir schlagen keine Erhöhung der Garantien vor, sondern wir wollen, dass bestehende Ressourcen besser genutzt werden. Wir müssen die ansteckende Wirkung, die derzeit auf den Finanz- und Staatsanleihenmärkten Europas stattfindet wirksam eindämmen. Wenn man nach Italien oder sogar Spanien und Belgien schaut, ist diese Auswirkung im Gange. Deswegen müssen wir für Griechenland eine nachhaltige Lösung finden, denn dort liegt der Ursprung. Außerdem müssen wir finanzielle Brandschutzmauern für die einzelnen Staaten hochziehen und gleichzeitig den Kapitalpuffer der Banken erhöhen, um so sicher zu stellen, dass Kredite weiter Huashalten und Unternehmen in Europa zugute kommen.

Euronews: “Wie sehr enttäuscht sie, dass der Euro so an Fahrt verloren hat? Sie nennen Italien und Spanien, das Wachstum stagniert. Meinen Sie nicht, dass das von Europa ausgearbeitete Sparpaket überarbeitet werden müsste?”

Olli Rehn: “Ich bin enttäuscht, dass wir die Marktturbulenzen zunehmen ließen. Wir hätten sie mit einer umfassenden Strategie stoppen können, wenn wir sie schon zu Jahresbeginn ausgearbeitet und verabschiedet hätten. Wären wir früher aktiv geworden, hätten wir viele Turbulenzen vermeiden und Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze besser schützen können. Jetzt stellen wir leider fest, dass die Turbulenzen einen hohen Tribut von Wachstum und Arbeitsmarkt fordern. Genau deswegen sollte die offizielle Lösung in diesem Zusammenhang zuerst die Staatsschuldenkrise in Angriff nehmen.”

Euronews: “Sie sagen gewissermaßen, dass Europa hinter den Märkten herhinkt. Jetzt ist die Rede von einem Europäischen Finanzminister. Welche Aufgaben wird dieser Minister haben?”

Olli Rehn: “Die wirtschaftliche Einflussnahme muss verstärkt werden. Am wichtigsten ist es, eine einheitliche Politik in Europa voran zu treiben, die der starken Währungsunion gegenüber steht und diese zu einer echten Wirtschaftsunion macht.”

Euronews: “Würden Sie den Job übernehmen?”

Olli Rehn: “Ich kandidiere nicht. Derzeit sehe ich da keine offene Stelle.”

Euronews: “Danke, Olli Rehn.”

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