"Europa könnte von der Krise profitieren"

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Von Euronews
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Der diesjährige Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften ist an die US-Ökonomen Thomas Sargent und Christopher Sims vergeben worden. Sie werden für ihre Forschungen in der Makroökonomie zu der Frage ausgezeichnet, wie sich wirtschaftspolitische Entscheidungen auf die ökonomischen Rahmendaten von Volkswirtschaften auswirken und umgekehrt. Für euronews hat Isabelle Kumar in Stockhlom mit Christopher Sims gesprochen.

Isabelle Kumar: Christopher Sims, vielen Dank, dass Sie unsere Fragen beantwortern. Leider konnte Thomas Sargent aus Krankheitsgründen nicht kommen, aber ich denke, Sie können auch für ihn sprechen. Warum haben Sie den Nobelpreis gemeinsam bekommen?

Christopher Sims: Tom hat den Preis für seine Arbeit an einer Theorie erhalten, die er als “rationale Erwartungen” bezeichnet hat. Die Idee dahinter ist, dass Menschen an die Zukunft denken, wenn sie heute Entscheidungen treffen. Zu der Zeit, als er an dieser vermeintlich selbstverständlichen Theorie gearbeitet hat, war sie noch nicht Teil der Modelle, anhand derer Politik gemacht wurde. Sie hat dann wirklich die Wirtschaftspolitik maßgeblich verändert. Meine Arbeit hat damit direkt nichts zu tun, nur indirekt. Zu der Zeit, als ich geschrieben habe, gab es eine Kontroverse zwischen Monetaristen und Keynesianern, diesen beiden Zweigen in der Ökonomie. Die Monetaristen dachten, dass die Versorgung mit Geld die Wirtschaft antreibt, und dass Rezessionen und ökonomische Fluktuationen größtenteils durch Fehler in der Geldpolitik ausgelöst werden. Die Keynesianer dachten, dass die Geldpolitik nicht die Hauptkraft war, die den Wirtschaftskreislauf antrieb. Ich habe daran gearbeitet, statistische Methoden zu entwickeln, die das alles entwirren.

euronews: Lassen Sie uns nun auf die Krise in der Eurozone eingehen, die seit Monaten die Schlagzeilen beherrscht. Wie nahe ist die Eurozone einem möglichen Scheitern?

CS: Ich denke, sie steht auf der Kippe. Ich habe 2002 in einem Artikel darauf hingewiesen, dass eine solche Krise wahrscheinlich kommen wird. Damals sagte ich, und ich glaube, das stimmt immer noch, auch wenn wir die Antort darauf nicht kennen, dass wir die Frage stellen müssen, ob die Menschen bereit sind, die nötigen fiskalen Institutionen aufzubauen, um den Euro damit schützen zu können. Oder ist die politische Unterstützung für den Euro so schwach, dass er scheitert.

euronews: In Europa braucht es Zeit, wenn etwas umgesetzt werden soll. Es geht recht langsam. Was geschieht also, wenn Italien in der Zwischenzeit pleite geht. Was würde das für Folgen haben?

CS: Die Europäische Zentralbank kann Italien vor der Insolvenz bewahren. Sie kann aber nicht sich selbst vor der Insolvenz bewahren. Die EZB kann tatsächlich nicht pleite gehen, weil sie Geld drucken kann. Aber wenn die Bilanz nicht mehr stimmt, könnte daraus eine Inflation entstehen. Die EZB kann frisches Geld bekommen, indem sie es druckt, daraus entsteht aber Inflation und das wollen die Deutschen verhindern.

euronews: Wir wissen also nicht, wie lange wir brauchen, um aus dieser Krise wieder herauszukommen. Wenn das aber der Fall sein wird, wird es dann eine neue Weltordnung geben, in der die einst dominierenden Staaten der Erde angesichts der sich entwickelnden Märkte zurückbleiben?

CS: Nein, das glaube ich nicht. China wächst sehr schnell, aber seine Arbeiter sind alles andere als gut ausgebildet. Das politische System ist in vielerlei Hinsicht primitiv, und wir haben in der Geschichte immer wieder Länder gesehen, die schnell wachsen, mit dem Westen gleichziehen, und die dann wieder abfallen. Das kann schreckliche Turbulenzen nach sich ziehen, wie etwa in Japan. In der Eurozone könnte es nach jahrelangem Zusammenrücken eine Periode geben, in der sie sich wieder auseinander bewegt. Ich denke aber, es geht in Richtung einer größeren Einheit in Europa weiter. Es würde ungeheuerlich viel stärker sein und könnte von der Krise profitieren.

euronews: Es heisst, wenn die USA niesen, dann fängt sich die ganze Welt einen Schnupfen ein – inklusive Europa. Es sieht nun aus, als sei es umgekehrt und die USA seien ungeheuer besorgt wegen der Krise in der Eurozone. Was steht für die USA auf dem Spiel?

CS: Wenn der Euro scheitert, dann wird es weitere Verluste geben. Viele Banken und Finanzinstitutionen werden Schwierigkeiten bekommen, und wir kennen die möglichen Folgen für die amerikanischen Finanzinstitutionen nicht.

euronews: Was ist Ihre Ansicht zu dieser Situation?

CS: Ich denke, dass ich keine Ahnung habe, was geschehen wird. Ich mache mir Sorgen, dass es zu einer Double-Dip-Rezession in den USA kommen könnte, wenn es einen europäischen Kollaps gäbe, denn es würde gewaltige Folgen für die US-Finanzinstitutionen haben.

euronews: Sie unterrichten Studenten an der Universität, die nächste Generation von Entscheidungsträgern in den kommenden Jahren. Wie sehen Sie deren Welt?

CS: Wenn wir die Situation der jungen Leute heute mit der von denen vor 80 oder 100 Jahren vergleichen, dann kann man sich wohl über nichts beschweren. Es gibt viele gute Dinge, die seitdem auf der Welt geschehen sind. Und ich denke, dass die Menschen erfinderisch genug bleiben werden, um neue politische Institionen und Technologien zu entwickeln. Ich bin optimistisch.

euronews: Professor Sims, vielen Dank für das Gespräch.

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