Wer mordet da in Frankreich?

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Ist da eine Serientäter am Werke? Mit rassistischem Hintergrund? Die Ermittlungen laufen mitten in der heissen Phase des französischen Präsidentschaftswahlkampfes. Die Mordtaten von Toulouse und Montauban haben im Land Entsetzen ausgelöst. Wie wird sich das auf dem Wahlkampf auswirken? Hier zunächst ein Rückblick auf die Ereignisse. Dann sprechen wir mit einem Kommunikationswissenschaftler.

Es war ein schwarzer Tag für Frankreich. Drei Kinder und ein Lehrer wurden vor einer jüdischen Schule in Toulouse erschossen. Es war der schlimmste gegen einen jüdische Gemeinde gerichtete Anschlag seit 30 Jahren. Und das 34 Tage vor der Präsidentenwahl. Der Mörder war wieder ein schwarz gekleideter Mann auf einem Motorroller. Ebenso wurde jener Täter beschrieben, den in der Woche zuvor zuerst am Donnerstag in Montauban in der Nähe von Toulouse und dann am Sonntag direkt in der Stadt Toulouse Soldaten in Uniform erschossen hatte.
Frankreichs Staatspräsident – inzwischen als Kandidat für die eigene Nachfolge im Wahlkampf – begab sich sofort nach Toulouse. Nach dem dritten Anschlag, bei dem Kinder starben, betonte Nicolas Sarkozy, dass jüdische Kinder und ihr Lehrer angegriffen wurden, weise auf ein antisemitisches Motiv hin. Dann erinnerte er daran, dass zwei der getöteten Soldaten Muslime waren und ein dritter ein Franzose schwarzer Hautfarbe. Auch wenn man dafür noch kein konkretes Motiv kenne, versäumte der Präsident nicht, jede Art von Rassismus zu verurteilen.
Auch sein linker Herausforderer, François Hollande, Kandidat der Sozialistischen Partei, änderte im Gedenken an die Opfer den Zeitplan seines Wahlkampfes und drückte zunächst einmal den Angehörigen der Opfer sein Mitgefühl aus.
Auch er ging auf den antisimitischen Zusammenhang ein, den er als “besonders verabscheuungswürdig” bezeichnete. Den Bürgern der Stadt Toulouse, die soviel Leid erlitten haben, bekundete er seine Solidarität. Hier sei Frankreich als Ganzes betroffen
Frankreichs Medien haben nichts als die schlimmen Fakten, die Namen der Opfer – und sonst nur Spekulatutionen.
Auch die Kandidatin der rechtsrextremen Partei “Front National” , Marine Le Pen, mochte in einem solchem Moment nicht mehr über Politik sprechen. Sie sagte, jetzt gehe es nicht mehr um rechts oder links, sondern nur noch um das französische Volk, das in seinem Herzen getroffen sei.

Überall im Land weht die Trikolore auf Halbmast.
Und noch niemand weiss so recht, wie es weitergehen soll mit dem Wahlkampf.

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Wir sind verbunden mit Dominique Wolton, Direktor des Institutes für Kommunikationswissenschaften beim CNRS, einem großen Spezialisten der Medien und der politischen Kommunikation. Eine einfache Frage. Wird sich das, was in Toulouse passiert ist, auf den Wahlkampf auswirken?

Dominique Wolton
Das weiss man nicht. Sicher ist es schon eine positive Reaktion, dass alle Kandidaten übereinstimmend gesagt haben, man müsse das Wichtigste retten, nämlich die Republik oder die Demokratie, und man müsse die Mordtat verurteilen.

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Wird sich der Ton ändern? Werden sich die Themen ändern, die sich in letzter Zeit vor allem um die Krise gedreht hatten?

Dominique Wolton
Es geht nicht darum, dass für diese Begriffe der Ton jetzt leise gestellt wird. Es geht vielmehr darum, dass der verbale Schlagabtausch weniger gewalttätig wird, weil das Land ja schon in einer Krise steckt, wo ein großer Teil der Wählerschaft
sich nicht engagiert und wo sehr viele nicht zur Wahl gehen werden. Es geht nicht darum, das Vorhandensein von Auseinandersetzungen zu legnen. Denn wenn wir eine Lektion in Sachen Demokratie wollen, dann müssen wir einander repektieren. Und gerade in diesem Wahlkampf, in dem das große Risiko besteht, dass viele Wähler zu Hause bleiben, müsste man auf weitgehende Toleranz zurückkommen. Ich denke, dass der Schock, den nicht zuletzt Frankreich erlitten hat, sich auswirkt auf die bedeutenden drei Institutionen der Republik, die dadurch getroffen wurden. Da ist zuerst die Armee, mit der das alles begonnen hat, ein Faktor der Integration.
Dann kommt die Schule, ein zweiter Faktor der Integration in unserer Gesellschaft.
Und auch die Laizität. Die steht für den Respekt gegenüber allen Religionen. Dass alle Kandidaten und auch die Öffentlichkeit so stark betroffen reagieren, das zeigt, dass diese drei Grundpfeiler unserer Gesellschaft angegriffen wurden, die auf die eine oder andere Art für die Integration von Bedeutung sind. Es zeigt die Verletzlichkeit dieser Institutionen, das ist die wichtige Lehre.

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Die Politiker haben in letzter Zeit viel über Immigration diskutiert, gelegentlich sehr scharf.
Kommt denen jetzt ein Teil der Verantwortung zu?

Dominique Wolton
Nein, das ist nicht die Ursache. Im Gegenteil, es ist das Problem für Frankreich, auch für ganz Europa, weil wir zum demokratischsten Teil der Welt gehören und wir haben in Hinsicht auf Immigration eine Verfestigung des Vokabulars, der Haltungen, des Rassismus, des Populismus, die nicht mit der großen Mission der Demokratie in Übereinstimmung zu bringen sind, welche Europa für sich selber in Anspruch nimmt. Wenn wir die Zuwanderer zu Sündenböcken machen wollen, dann erwächst daraus eine Form verbaler Gewalt, die man in 18 der 27 EU-Länder wiederfinden kann. Da besteht die Gefahr einer Selbstzerstörung Europas in Bezug auf seine eigenen Werte.

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Man sieht eine große Solidarität unter der Gemeinden, ein Bedürfnis sich verbunden zu fühlen.
Ist das nicht schwierig in Wahlkampfzeiten, wo man doch die Gräben zu vertiefen bemüht ist?

Dominique Wolton
Ich glaube nicht, dass durch die Tragödie diese Frage aufgeworfen wird, wenn die wichtigsten Religionen ihre Solidarität bekunden. Ich denke, man muss noch 4, 5 Tage abwarten, bis der politische Wahnwitz vorbei ist. eutzutage sieht die Welt dank der Medien alles sofort. Das zwingt die Politiker, die religiösen Kräfte und die Europäer, sehr treu zu ihren Werten zu stehen.

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