EU-Kommissar Barnier: "Banken sollen für Banken zahlen"

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“Was haben wir denn aus der Krise gelernt, wenn wir riskante Geldgeschäfte zulassen – neben den geregelten und soliden?” Michel Barnier versucht, die Finanzindustrie zu zähmen – seit gut zwei Jahren ist er EU-Kommissar für Binnenmarkt und Dienstleistungen. Eine sportliche Herausforderung, aber Barnier kommt schließlich aus der Gegend der Olympiastadt Albertville. Weiteres Mammutprojekt: Die Vollendung des Europäischen Binnenmarktes -als Balanceakt zwischen Sparzwang und Wachstum.

Audrey Tilve, euronews:

“In der Europäischen Kommission sind Sie einer der Vorkämpfer gegen die Krise und ihre Ursachen, davon später mehr. Aber zuerst zum Frust der Europäer über das Dogma eines harten Sparkurses. In den Niederlanden ist kürzlich die Regierung darüber gestolpert. Ist jetzt Zeit zum Nachdenken über diesen bedingungslosen Gewaltmarsch? Inzwischen finden viele Wachstum wichtiger…”

Michel Barnier:

“Was man den Sparkurs nennt, den jetzt verschiedene Länder verfolgen, soll die Defizite reduzieren und letztendlich die Schulden. Und dieser Sparkurs oder diese Härte ist umso einschneidender, je schlechter Länder die vergangenen 20 oder 30 Jahre gemanagt wurden. Da wurden Blankoschecks oder windige Wechsel auf künftige Generationen ausgegeben, wurde mehr verpulvert als man einnahm. Heute ist das nicht mehr so leicht und muss schnell anders werden. Wenn diese Länder – nicht nur Griechenland – sich nicht die Mühe machen, ihre Finanzen in den Griff zu bekommen, dann leiht ihnen keiner mehr etwas oder bestenfalls zu Wucherzinsen.”

euronews:

“Aber es gibt viele Länder, die kämpfen schon gegen Rezession und steigende Arbeitslosenzahlen. Fast 25% Arbeitslose in Spanien. Einige Länder fordern einfach nur etwas mehr Zeit, um auf unter 3% Defizit (Neuverschuldung im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung) zurückzukehren, weil manchmal das Ziel einfach nicht zu ereichen ist. Aber Flexibilität ist nicht vorgesehen im Europäischen Fiskalpakt.”

Michel Barnier:

“Dieser Vertrag ist ein Pakt einer Eigentümergemeinschaft. Er wurde nicht hier in Brüssel beschlossen, von Technokraten oder Bürokraten. Die Regierungen haben ihn diskutiert, die Staatschefs.”

euronews:

“Da steckte doch vor allem Deutschland dahinter…”

Michel Barnier:

“25 Regierungen waren beteiligt, 25 Regierungs- und Staatschefs, demokratisch Gewählte, die sich gemeinsam zu dem durchgerungen haben, was wir schon seit 10 Jahren hätten anpacken sollen: Eine europäische Wirtschafts- und Haushaltsunion, begleitend zur Währungsunion. Wenn wir diese Anstrengung, die Sie Härte nennen, überstehen wollen, wenn man will, dass die Menschen hinter diesem Fiskalpakt stehen und hinter einer gemeinsamen Wirtschaftspolitik, dann braucht man auch Wachstum und Arbeit.”

euronews:

“Zum Wachstum: Das muss wieder in Gang kommen, da sind alle dafür, auch in Deutschland. Allerdings gibt es da doch Nuancen. Einfach ausgedrückt, gibt es solche wie Frau Merkel und Herrn Draghi, die setzen auf Strukturreformen. Jeder weiß, was das bedeutet: Flexiblerer Arbeitsmarkt, Liberalisierung … und dann gibt es die, die wollen einen Neustart durch Investitionen, soll heißen öffentliche. Wo steht Michel Barnier?”

Michel Barnier:

“So eindeutig sind Die Dinge nicht. Ich wünsche mir, dass die Staats-und Regierungschefs, die sich bald im Europäischen Rat treffen, all das diskutieren und zu einer Strategie finden, wie Mario Draghi das nennt, oder zu einer Initiative – wie ich sie vorgeschlagen habe – für Wachstum in Europa.

Kurzfristig machbar wäre zum Beispiel: Strukturfonds gemeinsam besser nutzen, die Mittel der Europäischen Investitionsbank besser nutzen oder ausweiten. Oder was die Europäische Kommission vorgeschlagen hat, sogenannte Projekt-Bonds,das heißt gegenseitige Kredite, auf europäischer Ebene geprüft, für Investitionen in Infrastruktur, in Netze, in Netzwerke für die digitale Wirtschaft, in Energie oder nachhaltigen Verkehr.

Teil zwei: Der Binnenmarkt. Da kommen wir zu den Strukturreformen. Wir haben etwa 50 Regeln oder europäische Gesetze vorgeschlagen, um Mobilität zu unterstützen, Investitionen zu erleichtern, Innovation zu fördern.”

euronews:

“Wenn man Binnenmarkt hört, denkt man an Harmonisierung, an Wettbewerb mit gleichen Startchancen. So ist der Wettbewerb unter den europäischen Ländern aber bisher nicht. Da gibt es zum Beispiel ein riesiges Lohngefälle. Die Folgen kennt jeder, bis zur Auslagerung von Arbeitsplätzen. Dieser Binnenmarkt hat Grenzen.”

Michel Barnier:

“Natürlich sind nicht alle gleich in diesem Markt. Wir haben einen Weg eingeschlagen, der heißt “harmonisieren”. Immer ähnlicher werden, mit gemeinsamen Standards und Regeln. Also: nicht den Wettbewerb behindern, Wettbewerb ist Teil des Lebens, aber fairer und gerechter
Wettbewerb, dafür arbeite ich. So ein Markt ist die beste Basis für Wachstum.”

euronews:

“Michel Barnier, Sie sind auch verantwortlich für die Regulierung der Finanzmärkte in Europa. In diese Regulierung stecken Sie seit zwei Jahren eine Menge Energie. Trotzdem halten die Finanzmärkte nach wie vor die Regierungen im Würgegriff. Gibt es einen Weg aus dieser Abhängigkeit?”

Michel Barnier:

“Kein Finanzmarkt, kein Finanzakteur, kein Finanzprodukt wird der wirksamen Regulierung und Aufsicht entrinnen. Das sage ich klipp und klar. Das ist mein Job, zurück zur Transparenz, zu Regeln, Aufsicht. Kurz gesagt: Moral soll zurück dahin, wo sie seit 15, 20 Jahren verschwunden ist. Die Finanzmärkte sollen wieder im Dienst der Realwirtschaft stehen.

Am Ende dieses Vorhabens – stimmt, da sind wir noch längst nicht, aber wir haben große Fortschritte gemacht – entkommt kein Markt, kein Akteur, kein Produkt dieser Regulierung.”

euronews:

“Noch ein Wort zu den Rating-Agenturen: Sie sind allmächtig, wenigstens die drei dominanten. Sie versuchen, diesem Problem beizukommen, aber Sie stoßen auf Widerstand. Zum Beispiel wollten Sie nicht, dass Länder am Finanztropf bewertet werden. Das kam nicht durch. Sie hatten sich, meine ich, auch eine europäische Ratingagentur ausgedacht – auch nichts geworden. Wie kann man den Einfluss der Rating-Agenturen bändigen?”

Michel Barnier:

“Wie gesagt: Alle Akteure im Bereich Finanzdienstleistungen – allen voran die Agenturen – müssen sich auf staatliche Regulierung gefasst machen, keine Ausnahme für die Agenturen. Also habe ich vorgeschlagen, in unseren Gesetzesprojekten die Abhängigkeit von deren Noten zu reduzieren.

Interessenkonflikte muss man aufspüren und ausschalten – zwischen denen, die Bewertungen brauchen, die dafür zahlen, die sie machen. Da ging vieles durcheinander, da müssen Transparenz und Regeln her.

Ich führe keinen Krieg gegen die Agenturen. Ich denke nur, es gibt zu wenige und sie haben Fehler gemacht in der Vergangenheit. Als sie zum Beispiel in den USA toxische Finanzprodukte salonfähig gemacht haben. Oder Banken gut fanden, die ein paar Wochen später pleite waren.”

euronews:

“Ein letztes Wort zu den Banken: Sie wollen sie widerstandsfähiger machen. Garantieren Sie dem Steuerzahler, dass er ihnen nicht länger aus der Patsche helfen muss, so wie in den letzten Jahren?”

Michel Barnier:

“Das genau ist das Ziel des Pakets, des Werkzeugkastens, den ich bereitstelle. Er ist im Moment in der letzten Abstimmungsphase. Ich meine ja schon länger, dass vorbeugen billiger ist als reparieren. Und wenn man reparieren muss, dann muss das vorbereitet sein. Eine vorbereitete Reparatur ist billiger als eine Reparatur Hals über Kopf oder eine ungeordnete Insolvenz, die wir den Steuerzahlern aufbürden. Ich will, dass Banken für Banken zahlen, wenn sie Schwierigkeiten bekommen. Nicht der Steuerzahler. “

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