Mehr Gegenwind für Merkel aus Paris: "Ein neu gewählter Präsident wird selbstbewusster Forderungen stellen"  

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Von Euronews
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Für die deutsche Regierung dürfte es nach der Präsidentschaftswahl in Frankreich schwieriger werden, da sind sich Kommentatoren und Politikforscher einig. Wie geht es weiter mit dem “deutsch-französischen Motor”?

Wir sprachen mit der Europapolitikforscherin und Spezialistin für deutsch-französische Beziehungen an der Freien Universität Berlin, Sabine von Oppeln.

Margitta Kirstaedter, euronews: “Ist Frankreich überhaupt noch so ein wichtiger Partner für Deutschland?”

Sabine von Oppeln: “Deutschland und Frankreich sind die beiden großen, ökonomisch und politisch wichtigen Länder, die nach wie vor für das Vorankommen der europäischen Politik verantwortlich sind. Sicherlich steht Frankreich wirtschaftlich etwas schlechter da, es ist strategisch
an die Peripherie Europas gerückt, während Deutschland mehr im Zentrum liegt, aber Deutschland kann nicht ohne Frankreich Europapolitik machen. Deutschland ist auf den vertrauten Partner angewiesen, auch um nicht in den Geruch zu kommen, eine sehr deutsche Europapolitik zu machen.”

“Es gibt zwar viele andere Partner in der EU, aber letztlich sind es immer diese beiden Länder, die zur Kompromissbildung beitragen. Sie vertreten gegensätzliche Positionen: Frankreich steht mehr für den Süden, Deutschland mehr für West- und Nordeuropa. Und das führt dazu, dass, wenn diese beiden Länder einen Kompromiss finden, sie das quasi stellvertretend für die EU tun.”

euronews: “Viele sehen in François Hollande wieder den ersten echten Wiedersacher nach langem für Angela Merkel. Worauf muss sich die Kanzlerin einstellen, wenn er die Wahl gewinnt?”

von Oppeln: “Frau Merkel wird dann erst einmal einen diplomatischen Scherbenhaufen aufräumen müssen, weil sie sich ja sehr dezidiert für Sarkozy und gegen Hollande eingesetzt hat. Dadurch hat sie
Hollande und die französischen Sozialisten vor den Kopf gestoßen. Zweitens muss sie sich damit auseinandersetzen, dass der Fiskalpakt nicht so reibungslos durchgesetzt werden kann, wie sie sich das mit Sarkozy erhoffte. Auf der anderen Seite muss man fragen, wie viele der Wahlkampfforderungen dann wirklich hinterher durchgesetzt werden. Hollande wird den Fiskalpakt nicht in Frage stellen, er wird ihn präzisieren, insbesondere im Hinblick auf die Sanktionen, und eventuell ergänzen durch eine Verstärkung der Wachstumspolitik, was ja sowieso breit diskutiert wird in der EU.”

euronews: “Mit Hollande würde ein Politiker aus dem
linken Spektrum in den Reigen der konservativen Regierungschefs der großen EU-Staaten stoßen. Wie
wird das sich auf die Zusammenarbeit auswirken?”

von Oppeln: “Das finde ich nicht so erheblich, denn wenn man die deutsch-französische Zusammenarbeit anschaut, lässt sich immer wieder erkennen, dass die Parteiprägungen nicht so eine große Rolle spielen. Denken Sie an Schmidt und Giscard d’Estaing, Kohl und Mitterand – das waren alles Tandems, in denen unterschiedliche Parteifärbungen verbunden waren. Und es zeigt sich auch in zahlreichen Studien zur europäischen Politik und gerade zur französischen Politik, dass nicht die parteipolitischen Prägungen, sondern die nationalen Paradigmen der Europapolitik ausschlaggebend sind.”

euronews: “Was wird, wenn entgegen den Umfragen
doch Nicolas Sarkozy siegt?”

von Oppeln: “Er wird dann, befreit von der Last des Wahlkampfes, ähnliche Forderungen stellen wie Hollande. Mit ‘Merkozy’ wird es dann wieder schwieriger, wir kommen zu normalen Zeiten zurück,
so wie es anfänglich war zwischen Merkel und Sarkozy. Das war schon immer ein spannungsreiches
Tandem. Ein neu gewählter Präsident, egal wie er heißt, wird selbstbewusster der deutschen Politik gegenüberstehen und selbstbewusster Forderungen stellen. Aber gerade weil Deutschland und Frankreich für die Europapolitik nach wie vor wichtig sind, werden sie gezwungen sein, sich zusammenzuraufen. Das gilt für Hollandes wie für Sarkozys Sieg.”

euronews: “Worin unterscheiden sich Hollande und Sarkozy europapolitisch?”

von Oppeln: “Wenn man genau hinguckt, sind ihre Vorstellungen gar nicht so unterschiedlich: Beide stehen für eine starke politische Steuerung in der Eurozone; beide stehen für eine Stärkung der Rolle der EZB; beide haben sich in unterschiedlichen Zusammenhängen für Eurobonds ausgesprochen, die
ja die deutsche Seite gar nicht so liebt; beide stehen für eine aktive Wachstumspolitik in der EU, auch im Blick auf die soziale Dimension. Dies sind klassische Paradigmen französischer Europapolitik.”

“Möglicherweise wird Hollande etwas dezidierter die Wachstumspolitik verfolgen und Sarkozy dezidierter die Stabilitäts- und Sparpolitik. Aber es gibt viele Parallelen. Und Frankreich war schon immer für Deutschland ein wichtiger, aber auch schwieriger Partner, weil die Grundmuster der französischen und
der deutschen Europapolitk nicht unbedingt übereinstimmen.”

euronews: “Wird sich nach der Wahl etwas im deutsch-französischem Tandem ändern?”

von Oppeln: “Ich glaube nicht, dass sich so wahnsinnig viel ändern wird. Ich glaube, dass die üblichen Reibereien im deutsch-französischen Kontext weitergehen, und dass beide Seiten sich weiterhin bemühen werden, zusammenzuarbeiten. Sie können gar nicht nicht anders, weil beide auf den Erfolg europäischer Politik angewiesen sind – und weil dieser Erfolg, auch wenn es viele andere Partner auch gibt, doch sehr wesentlich von dem Einvernehmen zwischen Deutschen und Franzosen abhängt.”

euronews: “Und was die Persönlichkeit der beiden Kandidaten angeht?”

von Oppeln: “Von der Persönlichkeit her gab es ja viele Schwierigkeiten zwischen Merkel und Sarkozy, und ich denke, dass Herr Hollande möglicherweise der ruhigere Kollege ist und es von daher sogar besser gehen kann zwischen Merkel und Hollande.”

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