Ungeahnte Machtfülle für Frankreichs Sozialisten

Ungeahnte Machtfülle für Frankreichs Sozialisten
Von Euronews
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Die Wahlen der letzten Zeit haben Frankreichs Sozialisten eine ungeahnte Machtfülle beschert. Ein sozialistischer Staatspräsident regiert mit sozialistischen Mehrheiten in beiden Parlamentskammern. Dazu kontrolliert die Partei um
François Hollande auch den größten Teil der Rathäuser und der Regionalparlamente.

Man habe hier einen direkt vom Volk gewählten Präsidenten, meint der französische Politikforscher Frédéric Sawicki; mit starker Mehrheit und einem ehrgeizigen Programm für Europa. Dagegen regiere
die deutsche Kanzlerin Angela Merkel in einer Koalition und habe nächstes Jahr die Wahl erst vor sich. Hollande könne jetzt seine Führungsrolle
innerhalb Europas ausbauen.

Hollande bringt in der Krise ganz neue Vorstellungen
mit. Partner wie Deutschland mögen diese Vorstellungen – wie die Idee der Eurobonds, der gemeinsamen Staatsanleihen aller Euroländer – nicht unbedingt, haben sie aber als wahlkampfbedingt hingenommen. Jetzt wird sich aber zeigen, was davon Hollande ernst meint.

OK Was bewirkt der französische Linksruck?

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Um das Wahlergebnis auch in seinen europäischen Dimensionen zu verstehen sprechen wir mit Marion Gaillard. Sie ist Historikerin am Pariser Institut für politische Wissenschaften und Spezialistin für Europapolitik. Frankreich verfügt nun über eine absolute Mehrheit, über einen linken Präsidenten und ein linkes Parlament. Können die versprochenen Reformen jetzt ohne Hindernisse umgesetzt werden? Erwarten uns grundlegende Veränderungen?

Marion Gaillard
Man kann sagen, dass dieses Votum Francois Hollande einen gewissen Komfort gibt bei der Umsetzung der Reformen, deretwegen er gewählt wurde. Soweit die Innenpolitik. Und in Europa hat er jetzt den Vorteil, in den europäischen Verhandlungen freier auftreten zu können, besonders wenn es um die Rettung der Eurozone geht. Mit einer Linksfront, die nicht wirklich bei den Entscheidungen ins Gewicht fällt, was unseren Partnern Sicherheit geben und die Atmosphäre entspannen wird.

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Eine Regierung der Sozialisten ist in Europa gegenwärtig eine Rarität. Es gibt nur 5 davon. Wie interpretieren Sie angesichts dieser massenhaften Ablehnung des Sozialismus oder der Sozialdemokratie den Sieg der Linken in Frankreich?

Marion Gaillard
Das kann man auf zweierlei Weise interpretieren.
Zuerst aus europäischer Sicht, denn die Krise hat mehrere europäische Regierungen hinweggefegt. Berlusconi in Italien, Zapatero in Spanien zum Beispiel oder auch Papandreou in Griechenland.
Man kann das einfach so sehen, dass die Krise die amtierenden Regierungen beseitigt. Man kann es auch mehr innenpolitisch betrachten. Danach hat es seit 10 Jahren in Frankreich keinen Wechsel mehr gegeben. Man kann es einfach als den klassischen politischen Ausgleich betrachten, bei dem diesmal noch eine stärkere Ablehnung des alten Präsidenten und seiner Politik dazu kam.

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Man ist noch weit entfernt von einer roten Welle in Europa. Aber kann das Modell von Hollande, wenn noch Wachstum hinzu kommt, Nachahmer finden?

Marion Gaillard
Man sieht, dass bereits einige der Vorschläge von Francois Hollande in mehreren Ländern ein zustimmendes Echo finden, selbst bei jenen politischen Führern, die ihn während seines Wahlkampfes nicht empfangen wollten wie die Herren Rajoy und Monti. Jetzt findet er Nachahmer, wodurch eine Debatte eröffnet wird, Vorurteile verschwinden und das ist wichtig für die Zukunft.

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Stellt der Erfolg von Francois Hollande eine Gefahr für Angela Merkel dar, der in gut einem Jahr auch Wahlen bevorstehen? Könnte die Unterstützung von Hollande den deutschen Sozialdemokraten zum Sieg verhelfen? Wie wird die Zusammenarbeit von Merkel und Hollande aussehen?

Marion Gaillard
So schnell geht das nicht. Frau Merkel hat noch nicht verloren. Außerdem hat in der Vergangenheit die Zusammenarbeit von Politikern aus unterschiedlichen Lagern immer produktive Impulse für Europa geliefert. Man denke an Valery Giscard d´Estaing und Helmut Schmidt, an Francois Mitterrand und Helmut Kohl.
Die andere politische Richtung hat noch niemals der französisch-deutschen Zusammenarbeit geschadet.
Man hat auch heute Mittel, um zwischen Kanzlerin und Präsident Einigung herzustellen in Bezug auf die Eurozone. Gleiches schon zur politischen Union zu behaupten, wäre vielleicht ein wenig gewagt, weil man sieht, wie sich Frankreich in dieser Frage noch zögerlich gibt hinsichtlich der deutschen Erwartungen.

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Vom EU-Gipfel im Juni werden Entscheidungen zur Eurozone erwartet. Kann es sein, dass einige Länder aussteigen? Und was würde das für die gesamte europäische Konstruktion bedeuten?

Marion Gaillard
Man kann so ein Szenario nicht ausschließen. Aber persönlich glaube ich, dass alles getan wird, um solche für die Eurozone und die europäische Konstruktion schwerwiegende Entscheidungen abzuwenden. Die europäische Konstruktion hat schon Krisen erlebt wie 1954 die Ablehnung einer europäischen Verteidigungsgemeinschaft oder 2005 die Ablehnung des Verfassungsvertrages.
Aber keines dieser Ereignisse hat zu Auflösungserscheinungen geführt.
Das waren Präzedenzfälle, die meiner Meinung nach schwerwiegende Konsequenzen hatten.

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Vielen Dank für diese Analyse an Marion Gaiilard, Spezialistin für französisch-deutsche Beziehungen und Europafragen. Danke und bis bald.

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