"Es gibt in Russland keinen Staatskapitalismus"

"Es gibt in Russland keinen Staatskapitalismus"
Von Euronews
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Igor Shuvalov ist eines der dienstältesten Mitglieder des russischen Kabinetts, verantwortlich für die Budget- und Wirtschaftspolitik. Sein derzeitiger Chef ist Dmitri Medwedew, der im Frühjahr mit Wladimir Putin den Platz getauscht hat. Shuvalov ist anlässlich des 60. Jahrestags der Gründung des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft nach Berlin gereist und hat dort Euronews getroffen.

Euronews:
Wir sind in Berlin, der Hauptstadt des wirtschaftlich stärksten Landes in Europa. Aber die jüngsten Daten auch für Deutschland waren bedenklich. Gleichzeitig wird Russland immer stärker. Wie sieht die russische Strategie gegenüber dem schwächelnden Westen aus? Will Russland Boden gutmachen?

Shuvalov:
Es ist schwierig, zu sagen, dass der Westen schwächelt. Für ein paar Jahre werden wir alle in einer recht instabilen Situation leben. Manchmal wird der Westen stärker sein, manchmal wird er schwächer sein. Ich hoffe, dass Russland in diesen Jahren stärker wird, weil wir die Möglichkeiten dazu haben. Aber natürlich ist der Ausgangspunkt ein anderer. Die deutsche Wirtschaft zum Beispiel, die schon sehr stark und sehr gut entwickelt ist, steht ganz anderen Schwierigkeiten gegenüber als die russische. Wir befinden uns in einer Übergangsphase. Und wir haben natürlich selbst jede Menge Herausforderungen zu bewältigen, wir müssen unsere Wirtschaft zum Laufen und zum Wachsen bringen. Aber für Russland gibt es einen ganz klaren Fahrplan: Wir müssen mit der EU zusammenarbeiten, gleichzeitig aber auch mit der Asien-Pazifik-Region. Wir wollen einen gemeinsamen Wirtschaftsraum aufbauen, der auf gemeinsamen wirtschaftlichen Regeln und Regulierungsinstrumenten basiert. Die Länder in diesem Wirtschaftsraum werden ihre politische Unabhängigkeit behalten, während sie gemeinsame politische Institutionen aufbauen. Es wird so ähnlich sein wie die EU mit ihrer Euro-Bürokratie in Brüssel. Russland, Kasachstan und Weißrussland arbeiten an diesem gemeinsamen Wirtschaftsraum. Ab dem Januar 2015 wollen wir die Eurasische Wirtschaftsunion starten. Gleichzeitig beginnt Russland in östlicher Richtung mit einem sehr wirksamen Entwicklungsprogramm, indem es mit einigen Staaten eine Freihandelszone bildet. Um genau zu sein beginnen wir Verhandlungen mit Vietnam.

Euronews:
Orientiert Russland sich nun mehr und mehr nach Osten?

Shuvalov:
Nein. Russland ist ein europäischer Staat. Unser Gebiet umfasst Eurasien, aber unsere Kultur ist europäisch. 50 Prozent unserer Exporte gehen in die EU. Diese Zusammenarbeit wollen wir nicht einschränken, sondern vielmehr ausbauen. Aber wenn man die Größe Russlands betrachtet und die Tatsache, dass der Großteil des Landes in Asien liegt, müssen wir die Handelsbeziehungen mit asiatischen Ländern ausbauen.

Euronews:
Hilft Russland Europa in der derzeitigen Krise mit seiner Stärke?

Shuvalov:
Russland ist ein sehr lukrativer Konsumgütermarkt. Es wäre etwa für ein Land wie Deutschland unmöglich, sein Exportpotential ohne Russland auszuschöpfen. Wir interagieren mit Deutschland, wir haben Handelsbeziehungen, wir helfen Deutschland und der EU. Unsere Fremdwährungsreserven bleiben größtenteils im Euro. Daher können wir die europäische Wirtschaft in allen Bereichen der Zusammenarbeit zwischen Staaten, Regierungen und Unternehmen zweifellos sehr stark unterstützen.

Euronews:
Zypern, das derzeit die Ratspräsidentschaft der EU innehat, hat um finanzielle Unterstützung gebeten. Werden Sie dieser Bitte Folge leisten?

Shuvalov:
Unser Finanzminister befasst sich mit diesem Antrag. Wir haben keine speziellen Fonds, um die europäische Wirtschaft zu unterstützen, aber wir prüfen solche Anträge. Natürlich muss das in Zusammenarbeit mit der EU geschehen. Ich glaube nicht, dass solche Probleme in der derzeitigen, unruhigen Situation auf bilateraler Basis gelöst werden können.

Euronews:
In den großen östlichen Volkswirtschaften wie etwa China spielt der Staat eine große Rolle in der Wirtschaft. Ist das ein Problem für Russland? Wirkt ein dominanter Staat stärkend oder schwächend? Funktioniert ein staatlicher Kapitalismus?

Shuvalov:
Wir haben keinen Staatskapitalismus. Das ist ein Klischee. Wir sind dabei, staatliche Konzerne zu privatisieren. Die Regierung ist mehr denn je entschlossen, die Wirtschaft zu unterstützen und das Wirtschaftklima zu verbessern.

Euronews:
Aber wenn Rosneft jetzt TNK-BP übernimmt, ist das nicht eine Stärkung der staatlichen Kontrolle in einem so wichtigen Bereich?

Shuvalov:
Nein. Erstens kennen wir die genauen Bedingungen des Deals nicht, wir sind noch nicht darüber informiert worden. Wir kennen nur die grundlegenden Fakten. Aber wenn diese Fakten letztlich in die Verträge aufgenommen werden, würde das eine weitere Konsolidierung der Vermögenswerte von Rosneft und die weitere Privatisierung des Konzerns bedeuten. BP, einer der Aktionäre von TNK-BP, wird als Ergebnis der Übernahme einer der größten Aktionäre von Rosneft. Das bedeutet, dass man sich innerhalb des Unternehmens konsolidiert, es wird der größte Ölkonzern der Welt und der Konzern mit den größten Kapazitäten, mit den größten bekannten Reserven. Wenn BP Aktionär wird, ist das sehr wichtig für die Unternehmensführung und den Prozess der Privatisierung. Wenn Rosneft nur TNK-BP gekauft hätte, würde ich Ihnen zustimmen. Aber es geht nicht nur darum. Es ist ein sehr komplexer und guter Deal. Das Wichtigste ist, dass er genau so umgesetzt wird, wie er angekündigt wurde.

Euronews:
Gazprom ist ein anderer Rohstoffkonzern. Die EU untersucht gerade seine dominante Rolle, denn der Gaskonzern wird verdächtigt, seine Kunden zu beeinflussen, sie zu zwingen, mit bestimmten, Gazprom genehmen Unternehmen zu kooperieren und so weiter…

Shuvalov:
Meine Meinung dazu ist einfach: All diese Maßnahmen dienen nur einem Zweck, nämlich, Gazprom dazu zu bringen, seine Gaspreise zu senken. Aber wenn die Gaspreise sehr niedrig sind, geht die Produktion zurück und später würde das zu einem heftigen Anstieg der Rohstoffpreise führen.

Euronews:
In den vergangenen zwölf Jahren waren Sie der zweite Mann in der Regierung, als Wladimir Putin erst Präsident und dann Ministerpräsident war. Ändert sich jetzt mit Dmitri Medwedew die Atmosphäre, geht die Regierung in eine andere Richtung?

Shuvalov:
Natürlich ändert sich das. Wladimir Putin hat der Regierung seinen Stempel aufgedrückt und jetzt, mit Dmitri Medwedew, kommt etwas Neues. Aber die grundlegende Richtung bleibt dieselbe. Die Regierung muss schnell arbeiten, sie muss darauf achten, dass das Land auf dem Weg der Modernisierung bleibt.

Euronews:
Es geht um Modernisierung…

Shuvalov:
Es geht um die Modernisierung des privaten, des politischen, des sozialen und des wirtschaftlichen Lebens. Wenn wir bessere Arbeit für die Bürger leisten, ist das zu unserem Vorteil – wenn nicht, werden die Wähler uns korrigieren.

Euronews:
Die Sozialpolitik ist ein Schwerpunkt und dafür wird viel Geld ausgegeben. Ist das ein Linksruck der Regierung oder schlichter Populismus?

Shuvalov:
Die Zahl der Reichen steigt jedes Jahr an. Auf der anderen Seite gibt es sehr viele arme und hilflose Menschen. Wenn zwischen Arm und Reich ein so großer Graben klafft, fehlt es an Schutz für den Mittelstand und das könnte für unser Wachstum und unsere Modernisierungsziele sehr problematisch werden. Daher bedeuten die Sozialprogramme, die Putin unterstützt, nicht, dass wir nach links rücken oder populistisch agieren. Sie sollen nur eine Basis für die Modernisierung schaffen.

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