Hamid Rahimi: "Sportler sind bessere Vorbilder als Soldaten"

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Von Euronews
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Am 30. Oktober dieses Jahres gab es in Kabul den ersten professionellen Boxkampf im kriegsgeplagten Afghanistan. Im Ring standen der Deutsch-Afghane Hamid Rahimi und Said Mbelwa aus Tansania. Rahimi gewann nach sieben Runden durch technischen K.o., er holte sich damit den Intercontinental-Titel des Boxverbands WBO im Mittelgewicht. Das aber war dabei noch nicht einmal das wichtigste, wenn man Rahimi und seinem Team glaubt. Denn der Schlagabtausch sollte vor allem ein “Kampf für den Frieden” sein. So zumindest hatten die Organsiatoren die Veranstaltung getauft. Rahimi und seinem Team gelang es, Millionen Afghanen, Männer und Frauen verschiedener Volksgruppen, vor den Fernsehern oder am Ring zusammenzubringen und zu begeistern. Der heute 29 Jahre alte Hamid Rahimi kam 1994 nach Deutschland, seine Familie floh damals vor dem Bürgerkrieg nach Hamburg. Dort hat Euronews den Boxer nun zum Gespräch getroffen.

euronews: Hamid Rahimi. Ihr Kampf in Kabul wurde als “Kampf für den Frieden” bezeichnet. Afghanistan ist seit bald 40 Jahren im Krieg. Kann denn ein Boxkampf die Dinge wirklich ändern?

Hamid Rahimi: Oh ja. Ich glaube fest daran, dass der Boxkampf eine friedensfördernde Wirkung hat. Ich habe zwei Jahre lang an diesem Projekt gearbeitet, wir haben viel Arbeit da reingesteckt, damit es ein Erfolg wird. Mir lag wirklich enorm viel an diesem Kampf. Ich lebe seit 20 Jahre hier in Deutschland. Ich bin hier aber nicht hergekommen, um die deutsche Staatsbürgerschaft zu bekommen, sondern weil hier Frieden herrscht. Mein Traum ist es nun, Frieden auch in mein Heimatland Afghanistan zu bringen. Ich habe den Krieg erlebt, und er fügt den Menschen unheilbare Verletzungen zu, er nützt niemandem. In Afghanistan hat er viele Menschen das Leben gekostet, ich glaube, dort sind mehr Menschen im Krieg gestorben, als in irgendeinem anderen Land der Welt.

euronews: Sie haben gesagt, dass Sie mit dem Kampf auch die Rechte der Frauen verteidigen wollten. Sie trainieren ja auch Boxerinnen in Afghanistan. Aber sind Sie da nicht ein bisschen zu schnell für die afghanische Gesellschaft? Vergessen wir nicht: Unter den Taliban hatten die Frauen nicht einmal das Recht zu arbeiten oder auszugehen.

Rahimi: Ich bin mit neun Jahren nach Deutschland gekommen und dann mit meiner Schwester und meiner Mutter aufgewachsen. Ich habe sie immer verteidigt wie ein Löwe. Ich habe so viel von ihnen gelernt und wären sie nicht an meiner Seite gewesen, hätte ich nicht so viel in meinem Leben erreicht. Ich denke, wir müssen unseren Schwestern und Müttern beistehen, sie müssen zur Schule gehen können, sie müssen Seite an Seite mit Männern arbeiten können, wenn wir wollen, dass unsere Heimat Afghanistan Fortschritte macht. Das ist sehr wichtig für mich.

euronews: Viele Afghanen vergleichen Sie bereits mit Muhammad Ali. Sie sagen, so, wie er sich für die Schwarzen einsetzte, so setzen Sie sich heute für die Afghanen ein. Glauben Sie, eines Tages auch so weit zu kommen wie Muhammad Ali?

Rahimi: Naja, Clay, also Muhammad Ali, ist eine Legende, er hat den Völkern Afrikas, den Schwarzen, enorm geholfen. Er ist mein Vorbild, mein Held, aber ich bin Hamid und Clay ist Clay. Ich versuche, alles für mein Land zu tun. Ich glaube, wir können Frieden nach Afghanistan bringen. Man muss es nur wollen, wir brauchen den unbedingten Willen dazu. Andernfalls wird es auch tausenden Soldaten und Ordnungskräfte nicht gelingen, Frieden zu schaffen. Alexander der Große, Dschingis Khan, die Briten und sogar die Russen sind gekommen und gescheitert. Derzeit sind gut 50 Nationen in Afghanistan präsent – und was haben sie erreicht? Das afghanischen Volk ist heute so schlecht dran wie nie zuvor. Ich kenne Kabul und seine Einwohner sehr gut und die Situation hat sich im Vergleich zur Zeit unter den Taliban verschlechtert. Damals sah man nicht so viele arme Kinder in den Straßen wie heute. Gut, es ist wahr, dass die Ausländer auch ein klein wenig zum Guten geändert haben. Sie haben ein paar Schulen gebaut, aber ich denke, alles in allem hätten sie mit all dem Geld, das sie ausgegeben haben, mehr erreichen können. Heute gibt es eine Minderheit von Afghanen, die es zu Milliardären gebracht haben. Und der Rest der Bevölkerung ist arm wie eh und je. Es gibt so viele Menschen, die ihre Kinder nicht mehr zur Schule schicken können, sie müssen betteln, oder sie arbeiten rund um die Uhr. Nennen Sie das eine Verbesserung der Lage? Nennen Sie das Hilfe? Diese Kinder haben nicht mal einen Platz zum Schlafen, sie nehmen Drogen, sie haben kaputte Zähne. Es sind diese Kinder, die am Ende Bomben legen und Selbstmordattentate begehen.

euronews: Sie glauben also, man muss die Kultur und die Ideologie der Menschen verändern?

Rahimi: Ja genau, das ist genau das, was getan werden muss. Wenn man heute irgendwo durch Afghanistan fährt, zum Beispiel durch Kabul, dann sehen Sie überall die Bilder der dortigen Volkshelden. Und diese Helden, diese Leute, ich werde ihre Namen nicht nennen, sind alles Soldaten, sie spielen wegen ihrer militärischen Laufbahn eine wichtige Rolle für die Menschen. Ich will das ändern, ich will, dass Sportler den Platz von Soldaten einnehmen. Meine Jugendidole, das waren Leute wie Michael Jordan. In Deutschland, in den Vereinigten Staaten, überall hängen die Bilder von großen Sportlern an den Wänden. Ich will, dass das auch in Afghanistan so ist. Ob bin Laden nun lebt oder nicht, seine Ideen sind nach wie vor sehr präsent. Vor vier oder fünf Monaten hat ein elfjähriges Kind in Paktia eine Bombe gezündet. Bin Laden ist tot, aber seine Gedanken, seine Überzeugungen sind nach wie vor lebendig. Man muss den jungen Leuten sagen, dass Selbstmordattentate nicht gut sind. Das verbietet der Koran. Man muss ihnen sagen, “macht Sport, wenn Ihr Champions werden wollt, macht gute Dinge, um in Frieden zu leben. Bringt niemanden um, macht nichts kaputt. Wenn ihr an Gott glaubt, dann lasst ihn für andere entscheiden, aber nicht für euch.” Ich kann doch nicht entscheiden, ob jemand getötet werden soll, nur weil er ein Ungläubiger ist, dazu habe ich kein Recht.

euronews: Sie sind sehr populär, Sie glauben fest an den Frieden in Afghanistan. Macht das nicht die Taliban ziemlich sauer? Haben die Sie nie bedroht, damit Sie mit ihrer Arbeit aufhören?

Rahimi: Die Taliban sind nicht der einzige Gegner in meinem Land. Es gab viele andere, die sich gegen mein Projekt gestellt haben, damit es keinen Erfolg hat. Es gibt ständig Drohungen und unzählige Hürden in Afghanistan. Aber das stachelt mich erst recht an und es ermutigt mich, weiterzumachen. Wenn ich mich jetzt zurückziehe, wird es niemals Frieden in Afghanistan geben. Wissen Sie, am Tag meines Kampfes haben alle Afghanen für mich gebetet; von den Kindern in den Straßen bis hin zum Sohn von Karzai, selbst Frauen, die nie einen Boxkampf gesehen hatten, selbst unsere Väter und Großväter, alle haben für mich gebetet. Und ihre Gebete beschützen mich. Ich fürchte nichts, außer Gott. Ich bin sehr standhaft, was mein Projekt angeht. Ich habe neun Jahre im Krieg gelebt. Ich weiß, dass man in Kriegszeiten Hilfe braucht. Sonsgt ist man verloren.

euronews: Bei allem, was Sie sagen, spürt man, dass die Politik in Afghanistan Sie sehr beschäftigt. Würde es Sie reizen, eines Tages selbst in Afghanistan Politik zu machen? So, wie Vitali Klitschko in der Ukraine?

Rahimi: Ich will nicht in die Politik gehen, aber es wurde schon an mich herangetragen. In der Politik hat man verschiedene Fraktionen und Parteien. Ich aber möchte für das gesamte afghanische Volk dasein. Ich kann nicht einfach nur für einen Teil der Afghanen arbeiten. Mein Kampf ist ja auch ein politisches Projekt, es ist Politik, die von einem Sportler gemacht wird, es ist Politik, die Frieden für das Volk sucht und keine, die versucht zu töten oder jemanden zu unterdrücken. Meine Politik sagt nicht einfach, rechts ist besser als links. Am Abend meines Kampfes waren alle Geschäfte geschlossen, alle Händler machten zu, um mich zu sehen. Das ist eine Ehre für mich und mein Team. Wir haben etwas auf die Beine gestellt, das für alle Afghanen da war, etwas, das sie zusammengebracht hat. Wir konnten sie zum Lachen bringen, und das ist eine Quelle großer Freude für mich.

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