Wie weiter, Katalonien?

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Von Euronews
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Er erwachte mit Kopfschmerzen nach dieser Wahlnacht, Artur Mas, der amtierende Präsident der katalanischen Regionalregierung. Auf die absolute Mehrheit hatte er gehofft – und statt dessen rund 20 Prozent verloren. Mas steht mit seiner Partei der Mitte-Rechts-Nationalisten eigentlich für eine erweiterte Autonomie, ohne gleich den spanischen Staat verlassen zu wollen. In diesem Wahlkampf aber war er ein Stück weit jenen Kräften entgegen gekommen, die per Referendum einen eigenen Staat erzwingen wollen. Die Basis seiner Partei liegt u.a. im Stadtteil Les Corts von Barcelona. Hier wohnt der gehobene Mittelstand, Leute wie die Architektin Elena Turalló. Für sie steht nicht ein unabhängiger Staat auf der Tagesordnung sondern weitergehende Autonomie.
Allerdings will auch sie eine Volksabstimmung innerhalb der nächsten vier Jahre. Sie sagt:” Ich glaube an die Demokratie und wir müssen uns als Demokraten erweisen.”
In ihrem Viertel bekamen die regierenden Mitte-Rechts-Nationalisten 38% der Stimmen. Die insgesamt zweitstärkst Partei, die “Republikanischen Linken Kataloniens” , bekamen 11%.
Euronews-Korrespondent Francisco Fuentes, steht genau an der Grenzlinie, an der sich in Barcelona die Vorstellungen über die Zukunft Kataloniens scheiden. Das Viertel Les Corts ist nur eine Straßenbreite von der Vorstadt L’Hospitalet entfernt. Und hier wurden die “Katalanischen Sozialisten”, die insgesamt auf den 3. Platz kamen, mit fast einem Viertel der Stimmen stärkste Kraft.
Das hat, wie nicht anders zu erwarten, soziale Ursachen, wie José Vicente Muñoz erklärt. Der alte Gewerkschafter ist wie gut die Hälfte der Bewohner in diesem Arbeiterviertel vor Jahrzehnten aus einer anderen Region Spaniens nach Katalonien gekommen, weil es hier Arbeit gab. Katalonien war schon immer eine der reichsten Regionen Spaniens, eine Region, in der lange die Industrie boomte. In dieser einen von 17 Regionen werden noch heute fast 20 Prozent des spanischen BIP erwirtschaftet.
Folglich hat der Nationalismus hier sowohl traditionelle wie auch wirtschaftliche Gründe. Jetzt in der Krise werden die Stimmen jener Einwohner lauter, die meinen, ihre Region müsse zuviel an die ärmenen Regionen abgeben. Das geschieht in einem Verfahren, das mit dem deutschen Länderfinanzausgleich zu vergleichen wäre.
José Vicente Muñoz meint, dass seine “Partei der Katalanischen Sozialisten” zunächst die sozialen Probleme auf die Tagesordnung setzen müsse. Das dann aber durchaus im Rahmen eines neuen föderalen Systems für Spanien, das die Verschiedenheit seiner Regionen besser berücksichtigt. Föderalismus meint die Partei der “Katalanischen Sozialisten” etwa so ähnlich wie in Deutschland. Die “Republikanische Linke”, die insgesamt auf den zweiten Platz kam, will aber weiter gehende Autonomie. Mit einer dieser Parteien werden die Mitte-Rechts-Nationalisten koalieren müssen, um weiter regieren zu können.

Vicenç Batalla, Euronews:
Aus Barcelona wird uns der Chefredakteur von “La Vanguardia”, José Antich, seine Analyse des Wahlausganges liefern. Der amtierende Präsident der Regionalregierung, Artur Mas, ist durch dieses Ergebnis sehr geschwächt.
Gleichzeitig haben andere Seperatistenparteien Auftrieb bekommen, die möglicherweise ein Referendum organisieren werden. Welche Strategie wird Artur Mas jetzt verfolgen?

José Antich:
Es ist völlig klar, dass Mas nicht allein regieren kann. Er hat fast 20 Prozent der Sitze seiner Partei im Regionalparlament verloren. Dadurch wird er zu einer Koalition gezwungen. Es ergeben sich zwei sehr verschiedene Möglichkeiten. Entweder eine Regierung zusammen mit der Sozialistischen Partei Kataloniens. Das könnte aber in eine Sackgasse führen, was den Plan ein Referendum zur Unabhängigkeit Kataloniens anbelangt, den er verfolgt. Oder die Partei der “Republikanischen Linken von Katalonien”, die auch für eine Abspaltung von Spanien eintritt und bei dieser Wahl zweitstärkste Kraft wurde. Diese Variante dürfte Vorrang haben.

Euronews:
Die gesamt-spanischen Parteien haben von den Verlusten der rechten Nationalisten nicht profitieren können. Die Sozialisten haben ihren zweiten Platz verloren und die Konservativen konnte nur wenig zulegen. Ist dieser Wahlausgang eine Beruhigung für Madrid?

José Antich:
Für die Regierung in Madrid ist es eine gute Nachricht, dass die Partei von Mas die angestrebte absolute Mehrheit verfehlt hat.Bei genauer Betrachtung der Zahlen sieht man: an erster Stelle eine nationalistische Partei, an zweiter Stelle eine nach Unabhängigleit strebende. Und die für Gesamt-Spanien stehenden Parteien kamen auf den dritten und vierten Platz. Als Wahlsieger kam die Partei von Mas auf 1,6 Millionen Stimmen, die “Republikanische Linke” kam auf eine Million. Das sind immerhin 600.000 Stimmen Differenz.
Die Parteien in Madrid sollten die Ergebnisse in aller Ruhe studieren, um sich keine falschen Vorstellungen von der Realität zu machen.

Euronews:
Am meisten gewonnen haben Parteien, die bisher in der Minderheit waren. Vor alle linke. Heisst das, eine neue Regierung wird eine andere Wirtschaftspolitik im Umgang mit der Krise machen müssen?

José Antich:
Die Wahl hat die politische Landkarte Kataloniens weiter aufgefächert. Es gibt jetzt mehr Pluralität. Das wird die Arbeit einer Regionalregierung sehr viel schwieriger gestalten. Warum? Weil es heute keine klaren Mehrheiten gibt. Und weil zusätzlich die Krise in ganz Europa an allen Regierungen nagt. Man sieht, wie die bisher Regierenden für ihre Haushaltspolitik abgestraft wurden. Und wie linke und radikale Kräfte Zulauf bekommen, die die liberale Entwicklung Europas kritisieren.

euronews
Dieses magere Resultat lässt dem Regionalpräsidenten Mas gegenüber der EU kaum noch Argumenten für seine Unabhängigkeitsbestrebungen.

José Antich
Die Führung ist geschwächt, auch wenn sich an der Mehrheit nicht viel geändert hat. Vor der Wahl kamen die Partei von Mas und die “Republikanische Linke” zusammen auf 73 Sitze. Nachdem Mas für diese Wahl mit seinem Projekt eines unabhängigen Staates geworben hat, sind es 72. Man erwartet in den kommenden Tagen bzw. Wochen eine Reaktion der Europäischen Union. Die EU hat bereits klar gesagt, dass sie keinen neuen Staat Katalonien sieht. Man wird also sehen, zu welcher Strategie die neue katalanische Regionalregierung greift.

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