Shirin Ebadi: "Irans Geheimdienst kontrolliert die Justiz"

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Von Euronews
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Die Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi hat in Brüssel den diesjährigen Sacharowpreis des Europaparlaments entgegengenommen. Doch nicht für sich, sondern für die Preisträgerin Nasrin Sotudeh. Die konnte selbst nicht anreisen, denn sie sitzt im Iran in Haft. Den Preis hat Sotudeh gemeinsam mit ihrem Landsmann, dem unter Hausarrest stehenden Filmemacher Jafar Panahi, erhalten. euronews traf Ebadi zum Gespräch.

Hossein Alawi, euronews:

Welche Botschaft sendet die Verleihung des Sacharow-Preises an Nasrin Sotudeh und Jafar Panahi aus, und welche Wirkung hat dies im Iran?

Shirin Ebadi:

Die Botschaft ist die, dass sich die Welt des friedlichen Kampfes der Iraner für Demokratie und Menschenrechte bewusst ist. Es zeigt der Welt, wie sehr die persönlichen und politischen Freiheiten im Iran eingeschränkt sind. Das geht so weit, dass ein berühmter Regisseur, der einen Film drehen wollte, festgenommen und zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt wird, ehe er seinen Film beenden und zeigen kann. Und die Anwältin Nasrin Sotudeh wurde zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt und darf 20 Jahre lang ihren Beruf nicht mehr ausüben. Das zeigt, was im Iran vor sich geht.

euronews:

Sie haben bereits in der Vergangenheit immer wieder gefordert, dass der Westen nicht nur auf das Atomprogramm des Iran, sondern auch auf die Menschenrechte und die Sicherheit der Bevölkerung dort schauen sollte. Was erwarten Sie genau von der Europäischen Union?

Shirin Ebadi:

Die Europäische Union sollte die Liste der Personen erweitern, die sie wegen Menschenrechtsverletzungen mit Sanktionen belegt. Sie sollte daneben Sanktionen gegen den Iran erlassen, die den Menschen dort nicht schaden, aber darauf zielen, das Regime zu schwächen. Ich halte es auch für wichtig, dass die iranische Regierung nicht länger europäische Fernsehsatelliten nutzen, beziehungsweise missbrauchen kann, um über sie Hass und Lügen zu verbreiten. Außerdem sollte die EU die kommenden Wahlen im Iran überwachen.

euronews:

Vergangenen Monat starb der inhaftierte Blogger Sattar Beheshti nach – wie es hieß – Verhören im Gefängnis. Viele sprechen aber von Folter. Sein Fall wurde von zahlreichen Menschen im Iran und auf der Welt als klare Verletzung der Menschenrechte angesehen. Die Justiz hat sogar Ermittlungen aufgenommen. Dennoch scheint es nun so, als laufe alles auf das Fehlverhalten eines einzelnen Polizisten hinaus. Welche Verantwortung hat die iranische Justiz hier?

Shirin Ebadi:

Das größte Problem ist, dass die iranische Justiz ihre Unabhängigkeit verloren hat und zu einer Abteilung des Geheimdienstministeriums geworden ist. Bedauerlicherweise können Sicherheitsbeamte nun einfach diktieren, was immer sie wollen, und die zuständigen Richter zeichnen diese Befehle dann einfach ab und setzten sie somit in Kraft. Als Allererstes müssen wir daher die Justiz wieder unabhängig machen, aber das geht nicht, solange das Justizsystem nicht komplett geändert wird.

euronews:

Nach wie vor ist unklar, ob der UN-Sonderberichterstatters für die Menschenrechte im Iran, Ahmed Schahid, in den Iran fliegen kann. Die dortigen Behörden haben ihm bisher die Einreise verweigert. Welche anderen Möglichkeiten hat die UNO bei diesem Thema in der Hand?

Shirin Ebadi:

Die Vereinten Nationen haben sehr gut verstanden, dass die iranische Regierung versucht, die Zustände zu verbergen, deshalb gibt sie Herrn Schahid kein Visum. So will sie zum Beispiel die Art und Weise verschleiern, wie im Iran Wahlen abgehalten werden. Die iranischen Behörden tun so, als gäbe es freie Wahlen. Ich wünsche mir, dass unabhängige Beobachter die nächsten Wahlen genau anschauen, vor Ort, und dass sie prüfen, ob die Präsidentschaftswahl wirklich den Regeln von freien, gesunden Wahlen folgt oder nicht. Ich spreche von den Regeln der Interparlamentarischen Union, die ja auch der Iran unterzeichnet hat. Die Beobachter sollten schauen, ob die Wahlen auf den Menschenrechtserklärungen fußen, die der Iran ja auch unterschrieben hat.

euronews:

In den iranischen Gefängnissen sitzen neben Journalisten, Anwälten und Menschenrechtsaktivisten wie Frau Sotudeh, Abdolfattah Soltani, Ahmad Zeidabadi, Isa Saharkhiz und Mohammad-Sedigh Kabudvand Dutzende andere politische Häftlinge, die niemand kennt und auf die laut Menschenrechtlern zusammen mit ihren Familien enormer Druck ausgeübt wird. Was können Menschenrechtsaktivisten und die die internationale Gemeinschaft für diese Häftlinge tun?

Shirin Ebadi:

Wir sollten die Namen dieser Menschen immer und immer wieder nennen, sie sollten überall und auf jede nur mögliche Art und Weise unterstützt werden. Zum Beispiel kann eine Preisverleihung sie ins öffentliche Bewusstsein bringen. Einer dieser unbekannten Menschen, der in den übelsten Umständen lebt, ist Dschawid Hutan-Kian, der Anwalt von Sakineh Mohammadi, der Frau, die gesteinigt werden sollte, was aber durch internationalen Druck dann nicht geschah. Dschawid Hutan-Kian ist ihr Hauptanwalt, und er wurde zu sechs Jahren Haft verurteilt. Seit mehr als zwei Jahren sitzt er nun in Täbris im Gefängnis und ist heftigen körperlichen und seelischen Belastungen ausgesetzt. Dieser mutige Anwalt muss unterstützt werden.

euronews:

In diesem Jahr wurde im Iran eine beträchtliche Zahl an Menschen hingerichtet, meist wegen Drogenschmuggels, so die offizielle Begründung der islamischen Republik Iran. Menschenrechtsaktivisten aber vermuten, dass unter dem Deckmantel dieser Anschuldigungen auch manche politische Dissidenten hingerichtet wurden. Wissen der UN-Menschenrechtsrat oder andere internationale Organisationen davon?

Shirin Ebadi:

Es werden so viele Menschen hingerichtet, ohne, dass irgendjemand davon wüsste. Die Frage bleibt, ob das alles Drogenschmuggler waren, oder ob darunter auch Dissidenten starben. Wir verurteilen diese Hinrichtungen, vor allem aber verurteilen wir ein Rechtssystem, das solche Verfahren hinter verschlossenen Türen abhält. Vor zwei Monaten wurde vier Frauen zu Tode gesteinigt, ihre Körper wurden vom Leichenbeschauer gesehen. Aber wann genau wurden sie gesteinigt? Wie verlief der Gerichtsprozess? Kann man solche Strafen im 21. Jahrhundert überhaupt noch anwenden? Das sind die Fragen iranischer Anwälte und leider hat das Regime keine Antworten darauf.

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