Brzezinski: "Es gibt eine Obama-Doktrin aber keine Obama-Strategie"

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Von Euronews
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Er ist einer der anerkannesten und einflussreichsten Veteranen der Außenpoltik in Washington: Zbiginiew Brzezinski, Nationaler Sicherheitsberater von 1977 bis -81 unter US-Präsident Jimmy Carter. Der heute 84-Jährige gilt als geostrategischer Denker, er ist Autor zahlreicher Bücher und internationaler Studien und hat weiter eine starke Stimme in Sachen Außenpolitik.

Brzezinski war ein scharfer Kritiker der Politik von Präsident George W. Bush und dessen “Krieg gegen den Terror”. Er war einer der ersten Unterstützer des damaligen Senators Barack Obama, doch während dessen erster Amtszeit kritisierte er die Außenpolitik des Präsidenten gelegentlich auch als “zu soft gegenüber Israel” oder “strategielos”. Den Einsatz in Libyen unterstützte er. In einem Exklusiv-Interview mit euronews lobte Brzezinski das neue außenpolitische Team Obamas.

Stefan Grobe (euronews): Dr. Brzezinski, Danke, dass Sie hier sind und uns helfen, die Außen- und Sicherheitspolitik der zweiten Amtszeit von Präsident Barack Obama zu analysieren.

Zbigniew Brzezinski: Erfreut, hier zu sein.

euronews: Er hat zwei ehemalige Sentaskollegen ausgesucht, um die Außen- und Verteidigungsressorts zu leiten, John Kerry und Chuck Hagel, beides Männer, die durch die Erfahrung des Vietnam-Krieges gezeichnet sind. Ist das ein Zufall, oder steckt da eine Botschaft dahinter?

ZB: Ein wenig von beidem. Ich denke, es geht nicht darum, speziell die Bedeutung der Erfahrungen aus dem Vietnam-Krieg zu zeigen. Aber andererseits war es natürlich eine der wichtigsten Episoden in Amerikas Abenteuern auf globaler Ebene. In diesem Sinne sind die beiden wohl weise genug, ihre eigenen Schlüsse daraus zu ziehen.

euronews: Gibt es schon so etwas wie eine “Obama-Doktrin”?

ZB: Wir haben eine “Obama-Doktrin”. Aber ich habe schon häufiger gesagt – das birgt ein gewisses politisches Risiko für mich -, es gibt eine “Obama-Doktrin”, wir haben keine Obama-Strategie Ich denke, diese beiden können die Strategie für die Doktrin liefern.

euronews: Wie sieht diese Strategie aus?

ZB: Ich denke zunächst sollte der Ausgangspunkt sein, dass man anerkennt, dass die traditionellen globalen Konflikte, wie wir sie 200 Jahre lang erlebt haben, zukünftig nicht mehr zählen werden. Die globale Hegemonie einer einzelnen Macht ist nicht mehr länger machbar, selbst wenn es die mächtigste ist. Aber gleichzeitig werden wir mit mehr Konflikten konfrontiert sein, die möglicherweise hohe Risiken bergen. Deshalb muss unsere Antwort darauf viel intelligenter, mannigfaltiger, hoffentlich kollegialer mit anderen wichtigen Staaten abgestimmt sein und eine Art “totaler Konfrontation” vermeiden, wie wir sie in unserer jüngsten Geschichte kannten.

euronews: Das erste Jahr der zweiten Amtszeit eines US-Präsidenten ist immer sehr hoffnungsvoll, denn der Präsident hat viel außenpolitisches Kapital. Er hat volle vier Jahre, um kreativ zu sein und muss sich nicht um seine Wiederwahl sorgen. Wie sollte Obama dieses Kapital anlegen? Was sollten seine Prioritäten sein?

ZB: Ich denke die Prioritäten sind gewissermaßen bereits vorgegeben, etwa durch die Dinge, mit denen wir durch die Konflikte und Spannungen im Nahen Osten konfrontiert sind; nicht nur mit den traditionellen, wie dem zwischen Israel und den Palästinensern, sondern auch der Syrien-Konflikt hat das Potenzial zu weiteren Spannungen zu führen. Er muss sich außerdem mit den Risiken, die vom Iran ausgehen, auseinandersetzen. Wenn man sich die südlichen Grenzziehungen Eurasiens ansieht, von Nord-Korea bis ins Chinesische Meer, Indien und China, Afghanistan und Pakistan, Iran, Irak, Syrien, von Suez bis Ägypten, und dann von Niger bis Mali – wir sind einem ganzen Gürtel potenziell explosiver Umstände ausgesetzt.

euronews: Lassen Sie uns über Europa sprechen. Manche Beobachter sagen, Amerika unter Obama sei europäisch geworden. Das das sollte ich natürlich als Kompliment auffassen, aber es handelt sich natürlich um Sarkasmus. Wir wissen, dass Europa eine Menge Probleme hat, dass in Europa einiges schief gelaufen ist. Aber wir wissen auch, dass Europa Verantwortung und politische Führung gezeigt hat. Ich will Sie folgendes fragen: Gibt es derzeit etwas, das Amerika von Europa lernen könnte?

ZB: Auf eine Art: Ja. Wenn man nach Europa und auf seine Probleme blickt, dann ist das fast ein Spiegelbild einiger unserer Probleme: sozio-ökonomische Konflikte, ernsthafte innenpolitische Polarisierungen, politischer Stillstand und die Abwesenehit einer überzeugenden Vision für die Zukunft. Wir können also von den Problemen des anderen lernen. Ich denke, wir werden uns unseren Problemen stellen und die Europäer – besonders die Europäische Union – werden sie auch lösen.

euronews: Schaut man sich denn Wettstreit zwischen den USA und aufstrebenden globalen Mächten wie China, Indien und Russland an – braucht Amerika Europa dann noch, oder braucht es Europa sogar mehr?

ZB: Sie nannten China, Indien und Russland als aufstrebende Mächte. Wenn Sie sich das näher ansehen, ist nur eine von ihnen eine aufstrebende Macht, die anderen beiden sind es nicht. Die eine setzt sich mit ihrer Nostalgie für die Vergangenheit auseinander, und die andere hat eine Art überhöhter Meinung von sich selbst. Die einzige aufstrebende Macht ist China. Und darauf müssen wir natürlich Acht geben. Aber Europa ist bereits enorm wichtig. Es ist unser wichtigster Handelspartner, unser wichtigster weltweiter Verbündeter und es hat eine Lebenskraft, mit der es bedeutend die globalen Vorgänge beeinflusst. Vorausgesetzt, die Europäer teilen klar mit, was für eine Zukunft sie wollen. Es gibt einige bestimmte Tendenzen in Europa, einige nostalgische Tendenzen, die rückwärts gewandt sind. Das wird Europas Probleme nicht lösen. Europa braucht heute nach vorn gewandte politische Führungen – so wie es vor einigen Jahrzehnten war, und was heute fehlt.

euronews: Seit der Verabschiedung des Magnitsky-Gesetzes sind die Spannungen mit Russland stark eskaliert, vor allem nach dem russischen Gesetz, das es Amerikanern verbietet, russische Kinder zu adoptieren und der Entlassung der Angestellten von “Radio Liberty” in Moskau. Wie beurteilen Sie Obamas Rücksetzung in den Beziehungen zu Russland. War er zu naiv? Wie sehen Sie das?

ZB: Nun, ich denke sicher nicht, dass es ein vollkommenes Versagen und naiv war. Erstens war es sehr beschränkt, denken sie nur über den Begriff nach: “Rücksetzung.” Daran ist nichts fürchterlich Schlimmes. Er kommt aus dem Computer-Zeitalter, oder? Und was ist die Rücksetzung eines Computers? Das ist nicht eine dramatische Art, etwas sich innerhalb oder auf dem Computer befindliches zu ändern. Es ist eine Neueinstellung, eine leichte Neu-Definierung der Ziele. Ich denke, das wird weiterverfolgt, aber mit der Rückkehr Putins wird das nun unter weitaus schwierigeren Bedingungen geschehen. Putin Nummer zwei ist weiaus weniger effektiv und attraktiv als Putin Nummer eins. Er ist mit der Vergangenheit beschäftigt, mit dem Begriff einer weltweit “groß-russischen” Macht, einer Art Sowjet-Union mit neuem Namen. Das sind unrealistische Ziele, die am Ende, wie ich meine, noch nicht einmal eine Mehrheit der Russen unterstützen wird.

euronews: Denken Sie, es wird so eine Art “Rücksetzung der Rücksetzung” während Obamas zweiter Amtszeit geben?

ZB: Es wird einige Übereinkünfte und einige Unstimmigkeiten geben.

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