Wollen die Briten wirklich aus der EU austreten?

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Von Euronews
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Über die EU-Mitgliedschaft Großbritanniens sollen dessen Bürger spätestens in fünf Jahren entscheiden, so der britische Premierminister David Cameron in seiner Rede zur Europapolitik. Sein Land wünsche zwar, zwar Bestandteil der EU zu bleiben, wolle aber EU-Regelungen neu verhandeln, die für London als hinderlich gälten. “Die öffentliche Enttäuschung über die EU hat einen Höhepunkt erreicht”, so Cameron. “Dafür gibt es mehrere Gründe. Die Menschen fühlen, dass sich die EU in eine Richtung bewegt, die nicht vereinbart worden ist. Regelungen, die keinen Nutzen haben, wirken sich auf nationaler Ebene aus. Die Menschen fragen sich, welchen Sinn das haben soll.” Regieren die Konservativen auch nach den 2015 geplanten Wahlen, will Cameron das Verhältnis zu den europäischen Partnern neu gestalten. Cameron sagte: “Im Vordergrund dieser Beziehung wird der Gmeinsame Binnenmarkt stehen. Sobald das Verhältnis zur EU neu gereglt ist, wird das britische Volk in einem Referendum über den Verbleib oder den Austritt abstimmen können. Es wird darüber entscheiden können, ob es zu den neuen Bedingungen in der EU bleiben will oder nicht.”

In Großbritannien selbst gab viele positiven Reaktionen auf Camerons Rede. Wir sprachen mit Nigel Farage, dem Chef der britischen Unabhängigkeitspartei, der als Gegner der EU bekannt ist. Cameron hat ein Rein-oder Raus-Referendum versprochen. Sie wollen das auch. Sind Sie zufrieden?

Nigel Farage:
Oh ja, die gesamte politische Agenda Großbritanniens hat sich verändert, wir können jetzt offen über die Möglichkeit reden, aus der EU auszutreten. Dafür habe ich jahrelang gekämpft. Zumindest darüber bin ich erfreut. In Wahrheit aber hat Cameron die Dinge um fünf Jahre hinausgeschoben. Gewinnt er die Parlamentswahl und verhandelt danach mit der EU, könnten wir in fünf Jahren abstimmen. Das aber reicht nicht.

Euronews:
Warum nicht?

Nigel Farage:
Ich will jetzt ein Referendum. Ich habe es satt, dass wir dieser Organisation täglich 50 Millionen Pfund zahlen. Und ich bin besorgt über unsere Grenzen, die im nächsten Jahr für Arbeitssuchende aus Bulgarien und Rumänien geöffnet werden. Wird uns in einer globalen Welt verboten, unsere eigenen Handelsabkommen zu schließen, bremst uns das. Ich will heute eine Lösung. Ein Referendum sollte schon vor der Wahl stattfinden.

Euronews:
Was Cameron mit der EU neu verhandeln will, kann man nicht anderntags zur Wahl stellen. Man muss verhandeln und danach die Möglichkeiten abwägen.

Nigel Farage:
Doch, das ist sehr einfach. Als Mitglied der Europäischen Union kann man sein eigenes Land nicht mehr regieren. Bis zu 75 Prozent unserer Gesetze werden von EU-Institutionen verabschiedet. Das höchste Gericht ist nicht unser Supreme Court sondern der Europäische Gerichtshof. Als Mitgliedsland der EU kann man die Grenzen seines Landes nicht kontrollieren, denn diese stehen den armen Ländern Osteuropas offen. Dies ist eine grundsätzliche Frage von Demokratie und Selbstverwaltung.

Euronews:
Um die Vorteile zu genießen, muss Großbritannien Vollmitglied der EU bleiben. Tritt es aus, wird das teuer.

Nigel Farage:
Die Mitgliedschaft bringt uns keine Vorteile. Es werden uns so viele Regelungen aufgebrummt, dass kleine Unternehmen geschädigt werden. Die Verpflichtungen zum Klimaschutz sind so überzogen, dass das verarbeitende Gewerbe es vorzieht, in Indien oder sonstwo zu produzieren. Für diese sogenannten Privilegien und dafür, dass wir zu den Nettoimporteuren der EU zählen, zahlen wir 50 Millionen Pfund pro Tag. Ich sehe keinen einzigen Vorteil dessen, dass wir zur EU gehören.

Euronews:
Doch 50 Prozent der Exporte Großbritanniens gehen in die EU.

Nigel Farage:
Dieser Prozentsatz geht Jahr für Jahr zurück. Die EU verkalkt, sie wird alt. Die Krise der Eurozone, die noch eine ganze Dekade andauern wird, ist ein Klotz am Bein. Wir haben vor vierzig Jahren einen großen historischen Fehler gemacht. Missverstehen Sie mich nicht: Ich bin kein Anti-Europäer. Ich wünsche die Zusammenarbeit mit Europa. Wir sollten gemeinsamen Standards zustimmen – doch als Nation. Solche Kompetenzen sollten wir nicht Institutionen wie der EU-Kommission übertragen, die nicht gewählt wurden.

Danach sprachen wir mit Richard Corbett, Berater des Präsidenten des Europäischen Rates, Herman Van Rompuy. Herzlich willkommen. Hat die EU Kenntnis davon, welche Punkte Cameron neu verhandeln will?

Richard Corbett:
Die EU kann nicht wissen, worüber genau eine künftige britsche Regierung verhandeln will. Cameron hat keine Einzelheiten dazu genannt, worüber er verhandeln will, sollte er wiedergewählt werden und diesen Weg fortsetzen.

Euronews:
Es sieht aus, als wolle Cameron den Kuchen essen und gleichzeitig behalten wollen. Ist es möglich, in mancher Hinsicht EU-Mitglied zu sein, in anderer aber nicht?

Richard Corbett:
Im allgemeinen nicht. In der Vergangenheit erschloss die EU neue Gebiete der Zusammenarbeit, wie es die Währungsunion oder das Schengen-Abkommen waren. Nicht alle EU-Staaten beteiligen sich daran. Doch bisher gab es keine Fälle von Staaten, die sich aus bestimmten Bereichen der Zusammenarbeit zurückziehen wollten. Das wäre etwas völlig Neues.

Euronews:
Wohin könnte es für Großbritannien und für die EU führen, sollten sich die Briten für einen Austritt aussprechen?

Richard Corbett:
Sollten sie sich für einen Austritt aussprechen, würde sich das Königreich damit isolieren. Es würde sich von seinen wichtigsten Exportmärkten trennen, von seinen Nachbarländern trennen, mit denen es über Jahrzehnte hinweg in den Institutionen zusammengearbeitet hat, die den Staaten Europas dafür zur Verfügung stehen.

Euronews:
Welchen Verlust hätte die EU?

Richard Corbett:
Die EU verlöre einen wichtigen Mitgliedsstaat. Van Rompuy sagte vor einem Monat: Es wäre, als ginge ein Freund in die Wüste.

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