Spanien: "Rajoy hat seine Glaubwürdigkeit verloren"

Spanien: "Rajoy hat seine Glaubwürdigkeit verloren"
Von Euronews
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Nach 14 Monaten an der Spitze der spanischen Regierung hat Mariano Rajoy von der konservativen PP, Partido Popular, vor dem Parlament Rechenschaft abgelegt und seine Landsleute darauf vorbereitet, dass sie auch in Zukunft weiter Opfer bringen müssten. Mariano Rajoy erklärte: “Ich spreche nicht von vorüberziehenden Wolken oder dem Heranbrechen des Frühlings. Denn die wirtschaftliche und soziale Realität unseres Landes sieht anders aus. Unsere Arbeit hat gerade erst begonnen. Der Weg, der vor uns liegt, ist noch weit. Wir können uns keine Minute ausruhen.”

Oppositionsführer Alfredo Perez Rubalcaba von den Sozialisten (PSOE) sagt, die Lage der Nation sei kritisch und er wirft Rajoy ein katastrophales Management vor: “Sechs Millionen Arbeitslose, ein Fünftel der spanischen Bevölkerung am Rande der Armut, 33.000 Geschäfte mussten 2012 Bankrott anmelden. Millionen Bürger haben den Glauben an die Politik verloren. Das ist die Lage der Nation im Februar 2013.”

Die Korruptionsskandale innerhalb der Regierungspartei (der ehemalige Schatzmeister Luis Barcenas soll illegale Konten für Parteimitglieder unterhalten haben), auch sie wurden von Rajoy in seiner Rede zur Lage der Nation angesprochen: “Korruption ist ein Problem und es setzt unserem Image zu. Korruption kann nicht geduldet werden. Es verletzt die Demokratie und schadet Spanien. Die Regierung wird daher ein Gesetz zur Kontrolle der finanziellen Aktivitäten politischer Parteien vorlegen.”

Wir sprachen mit dem spanischen Journalisten Inaki Gabilondo, um besser zu verstehen, was Spanien momentan durchmacht. Die Korruptionsfälle in der konservativen Volkspartei haben das ganze Land erschüttert. Wie geht Ministerpräsident Mariano Rajoy mit den Vorwürfen um?

Inaki Gabilondo:
Er weicht aus, er versucht dem Problem aus dem Weg zu gehen. Rajoy ist davon überzeugt, dass sich viele Probleme nach einer gewissen Zeit in Luft auflösen, er versucht sich also rauszuhalten. Er hat z.B. den Schatzmeister Luis Barcenas nicht erwähnt in der Hoffnung, dass das Problem Barcenas auf diese Weise verschwindet. Wenn sie mich fragen, beweisen seine Ausweichtaktiken, dass er den Korruptionsfällen nicht auf den Grund gehen möchte. Er versucht sich einfach mit Tricks aus der Zwicklage zu befreien.

euronews:
Glauben Sie, dass Rajoys Plan zur Bekämpfung der Korruption die Spanier zufriedenstellt?

Gabilondo:
Mariano Rajoy hat ein großes Problem. Er hat seine Glaubwürdigkeit verloren. Rajoy zählt auf die Unterstützung der europäischen Institutionen. Die Europäische Zentralbank, die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und die Bundesbank glauben an ihn, aber die Spanier haben jegliches Vertrauen in ihn verloren, weil er kein einziges seiner Versprechen gehalten hat. Das ist also sein größtes Problem. Es ist schwierig Prognosen abzugeben, weil noch keine Umfragen gemacht wurden, aber ich halte es für sehr unwahrscheinlich, dass sein Plan zur Bekämpfung der Korruption einen Einfluss auf die Volksmeinung haben wird. Die Spanier misstrauen nämlich seinen Versprechen.

euronews:
Seit Rajoy an der Macht ist, ist die Arbeitslosigkeit weiter gestiegen. Wie lange noch wird er der früheren sozialistischen Regierung dafür die Schuld zuschieben?

Gabilondo:
Ich glaube nicht, dass er weiter von einem sozialistischen Erbe sprechen wird. Rajoy hofft, dass der Wind sich demnächst drehen wird. Das Problem für Rajoy ist der Zustand der Nation, der Zustand der Staatskonten. Er sieht nur die Statistiken, die Grafiken. Was er dabei übersieht, ist die Wirklichkeit und das Leiden der spanischen Bevölkerung hinter den Zahlen. Die Arbeitslosigkeit ist für ihn ein unbequemer, störender Faktor, aber es ist für ihn kein wahrhaftiges Drama. Das Schlimmste ist, dass er nichts unternimmt, er ergreift keine Initiativen, die uns zeigen würden, wie es mit Spanien wieder bergauf gehen kann, welchen Weg wir einschlagen können, um die Wirtschaft anzukurbeln, welche Sektoren in Europa für Spanien lohnend wären; kurz, wie wir aus diesem Schlammassel herauskommen.

euronews:
Sie waren als Journalist Zeuge der spanischen Geschichte seit dem Ende der Diktatur. In welcher Situation befindet sich Spanien heute?

Gabilondo:
Spanien ist wie ein Haus, das von Termiten befallen ist. Spanien hat in kurzer Zeit unglaublich viel vollbracht, aber die Nähte sind dabei zu reißen. Wie ein Kleidungstück, aus dem man eigentlich herausgewachsen ist und das jetzt zu klein ist. Wir haben Probleme mit der Glaubwürdigkeit der Politiker, die Bürger misstrauen ihnen. Wir haben auch Probleme mit der Führung des Staates, mit der Krone, mit dem Ansehen der Justiz, mit den Chefs der Unternehmen, mit den Gewerkschaften und den Medien. Viele sind davon überzeugt, dass eine Ära zu Ende geht und, dass bald eine neue Ära anbrechen wird. Wir benötigen einen neuen sozialen Pakt zwischen der Gesellschaft und der Politik. Aber das ist Aufgabe der Politiker und nicht die eines Mannes oder einer Frau, die plötzlich auftauchen und uns auf wundersame Weise retten würden.

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