Italien - am Morgen danach

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In dieser Ausgabe von News plus beschäftigen wir uns mit den Folgen der italienischen Parlamentswahl, unterstützt von einem Politikwissenschaftler.
Um diese 4 Herren ging es: um den immer allen alles versprechenden Silvio Berlusconi, den sparsamen Mario Monti, den Polit-Clown Beppe Grillo und den grundsoliden Sozialdemokraten Pier Luigi Bersani. ‘‘Bye bye, Silvio. Bye bye’‘. Diese Abschiedrufe für Berlusconi tönten im November 2011 durch Rom. Da hatte der mit insgesamt 3340 Tagen Italien nach dem Kriege am längsten regierende Politiker scheinbar ausgespielt. Das Land ruiniert, Investoren abgeschreckt, die EU-Partner verärgert. Doch wer einem Berlusconi-Wort glaubt, ist schon oft hereingefallen – so kam es auch mit seim Abschiedsversprechen. Mit der Schwäche der Technokratenregierung witterte er seine Chance und war wieder da. Nach mal gerade einem Jahr versprach er wieder allen alles. Zuallererst die Rückzahlung der von Monti im Dezember erstmalig wieder kassierte Immobiliensteuer. Noch populistischer geht eigentlich nicht mehr. Und die Italiener, die so gern allen vollmundigen Versprechen glauben, folgten ihm wieder. Wie hatte sich da der grundsolide Sozialdemokrat Bersani geirrt, als er meint, Berlusconi werde verlieren! Bersani selber hat verloren – nämlich die Stimmen vor allem junger Wähler, die längst gar keinem etablierten Politiker mehr glauben und alles komplett anders machen wollen. Verloren hat er sie an Beppe Grillo, den gelernten Komiker, der nun von links mit der gleichen Tour kam wie Berlusconi seit ewigen Zeiten von rechts. Seine Bewegung “5 Sterne” verspricht eine Mischung aus vernüftigen Vorschlägen und populistischen Träumen.
Den Berufspolitikern die Diäten zu kürzen, gegen Korruption vorzugehen, Schluß mit der Sparpolitik, raus aus der Euro-Zone…und, und, und.
Und weil der Bühnen- und Fernseherfahrene das alles so mitreißend verkaufen kann, wurde aus dem Clown quasi über Nacht Italien mächtigster Parteiführer. Mario Monti konnte nichts gewinnen. Denn der Wirtschaftsprofessor setzte auf Vernunft. Vernunft, die in einem so heruntergewirtschafteten Land den Leuten zwangsläufig Opfer abverlangen muss. Dass das keiner hören wollte, konnte man sich vorher ausmalen. Und zuletzt schadete ihm sogar noch die Unterstützung aus Brüssel, wo er so viele Jahre erfolgreich und geachtet als EU-Kommissar gearbeitet hatte. Nun aber, in diesem Wahlkampf der Populisten, die letztlich die Hälfte der Wähler hinter sich brachten, da stand er auf verlorenem Posten..

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Lucio Caracciolo ist einer der wichtigsten italienischen Experten für Geo-Politik. Er lehrt “strategische Studien” an mehreren italienischen Universitäten. Unsere erste Frage betriftt den eigentlichen Wahlsieger Beppe Grillo. Ausländische Beobachter bewerten das als den Sieg des Populismus, der Anti- Politik. Was wird Grillo mit Italien machen und was Italien mit Grillo?

Lucio CARACCIOLO
Ich weiß nicht ob Anti-Politik das richtige Wort ist, denn mit Sicherheit ist Grillo ein Politiker, auch wenn er sich vom Parlament fernhält.
Aber er ist heute der Führer der wichtigsten Partei in Italien. Auch wenn diese Partei als einzige virtuell entstanden ist und überwiegend virtuell funktioniert. Ich nehme Herrn Grillo durchaus ernst – ebenso wie die Möglichkeit, dass aus seiner Bewegung heraus für die Zukunft neue Kräfte erwachsen, neue politische Formationen.

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Könnte eine symbolische Präsenz von Mario Monti das “Europa der Sparpläne” beruhigen?

Lucio CARACCIOLO
Natürlich nicht. Erstens weil es keine Mehrheit von Bersani plus Monti gibt. und zweitens, weil Monti diskreditiert ist als Chef einer Technokratenregierung. Außerdem ist er jetzt Senator auf Lebenszeit, was bedeutet, dass er nicht für die Abgeordnetenkammer kandidieren kann.
Ich glaube nicht, dass er in Italien oder in Europa noch irgend eine Zukunft hat.

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Welches sind die wichtigsten Argumente, denen sich eine künftige Regierung auf internationalem Niveau stellen muss?

Lucio Caracciolo
Zuerst muss sich einmal eine Regierung bilden. Denn ohne Regierung ist es schwer, ein Programm zu haben. Zweitens muss über die Wirtschaftspolitik entschieden werden, vor allem die Fiskalpolitik. Und drittens muss diese Regierung ihre eigenen Entscheidungen einer desorientierten Öffentlichkeit verkaufen. Das sind wirklich schwere Aufgaben, aber die Italiener sind fantasiebegabt.

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Welches werden die internationalen Schwerpunktthemen für die kommenden Jahre sein?

Lucio Caracciolo
Das Gewicht Italiens wird in den kommenden Jahren sicherlich niedriger sein als aktuell, weil es im Moment das wichtigste Land der Welt ist –
in dem Sinne, dass es alle Systems destabilisieren kan, wirtschaftlich wie politisch. Künftig könnten wir entweder außerhalb oder innerhalb der Euro-Zone sein. In beiden Fällen hätten wir weniger Einfluß als heute.

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Im Wahlkampf kam Außenpolitik kaum vor. Gibt es im heutigen Italien noch Außenpolitik?

Lucio Caracciolo
Ich würde sagen: NEIN.

euronews:
Und was sollte man tun?

Lucio Caracciolo:
Ganz einfach, wir navigieren auf Sicht, ohne Kompaß. Klar ist, es gibt keine Strategie, kein Programm, man mogelt sich von Tag zu Tag durch.
Zuerst würden wir eine Idee brauchen, um eine Regierung zu bilden. Möglicherweise eine Minderheitsregierung, weil es keine klare Mehrheit gibt.
Ich denke an eine Technokraten-Regierung, die von den wichtigsten Parteien unterstützt wird und die erst einmal ein neues Wahlmodel entwickeln kann, eine neue Art von Wahl, aber das ist ein Projekt mit offenem Ausgang. Anderenfalls werden wir nach diesen Regeln die nächsten 10 Jahre ständig neu wählen

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