Der Schlüssel zum Gehirn

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Von Euronews
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Der Mai ist europäischer Monat des Gehirns – ein Event, das mit hunderten Konferenzen, Kongressen und Ausstellungen gefeiert wird.

Futuris war in Litauen, Österreich und in Frankreich: Wir geben einen Einblick in die neuesten Erkenntnisse der europäischen Erforschung des Organs, das unsere Gedanken, Bewegungen und Gefühle steuert.

Es kontrolliert unsere Gedanken, unsere Gefühle und Bewegungen: Das Gehirn.

In dieser Ausstellung in Südfrankreich können es Kinder spielerisch kennenlernen und seine Geheimnisse entdecken.

Forscher aus ganz Europa versuchen, diese Mysterien zu entschlüsseln, um mehr über die faszinierenden Fähigkeiten unseres Gehirns zu erfahren.

Vincent Jouanneau ist Kurator der Cervorama-Ausstellung in Bordeaux:

“Im Laufe der Evolution haben Gehirne sehr unterschiedliche Fähigkeiten entwickelt. Die Gehirne von zwei Menschen können sehr verschieden sein. Es kommt ganz darauf an, wie wir unser Gehirn benutzen, wie viel Wissen wir ansammeln. Das entscheidet, ob wir mehr oder weniger kognitive Funktionen entwickeln. Deshalb ist unser Gehirn ein einzigartiges Organ, das perfekt ans Individuum angepasst ist. Früher konnten wir Gehirne von Toten studieren, nach der Autopsie. Heute können wir dank der Medizintechnik auch lebende Gehirne in Echtzeit beobachten. Diese Innovationen helfen uns sehr, zu verstehen, wie unser Gehirn funktioniert. Früher konnten wir Gehirne von Toten studieren, nach der Autopsie. Heute können wir dank bildgebender Medizintechnik auch lebende Gehirne in Echtzeit beobachten. Diese Innovationen helfen uns sehr, zu verstehen, wie unser Gehirn funktioniert. Natürlich haben wir alle Angst, dieses zerbrechliche Organ zu berühren. Neurochirurgie ist alles andere als eine einfache Blinddarmoperation. Es ist normal, dass wir ängstlich sind, wenn es darum geht, dieses Organ zu berühren.”

In diesem Krankenhaus in Litauen werden ungewöhnliche Tests durchgeführt:

Dort bekommen Schädel-Hirn-Trauma Patienten seltsame Plastikbrillen aufgesetzt. Damit wird der Druck unter dem Gehirngewebe gemessen.

Bis heute sind Messungen des Drucks im Schädel der Schlüssel, um das Risiko für spätere Gehirnschäden vorherzusagen. Dafür musste bisher durch die Schädeldecke gebohrt werden. Dieses Verfahren ist kostspielig und gefährlich. Deshalb erhalten jährlich etwa eine Million europäische Patienten keine guten Untersuchungen ihrer Gehirnverletzungen.

Bald könnte das der Vergangenheit angehören.

Saulius Rocka arbeitet als Neurochirurg an der Uniklinik Vilnius:

“Neurologen können durch dieses Projekt herausfinden, wie unser Gehirn funktioniert, ohne durch die Schädeldecke bohren zu müssen. Bis jetzt ist diese Methode Standard in der Neurologie. Sie ist aber zum Beispiel nicht anwendbar, solange der Patient bei Bewusstsein ist. Unsere Ausrüstung hier ermöglicht uns, den Druck im Schädel schneller, sicherer und genauer zu messen.”

Das neue Messverfahren funktioniert mit Ultraschalltechnologie.

Eine Sonde wird leicht aufs Auge gesetzt. Dank der Schallwellen erhält man Informationen über den Blutfluss in zwei verschiedenen Regionen der Augenarterie.

Das Ultraschallsignal ist den Entwicklern zufolge sehr schnell und präzise.

Edvardas Satkauskas koordiniert das BrainSafe-Projekts in Litauen:
“Wir versuchen die Geschwindigkeit von Blutteilchen in sehr kleinen Gefäßen im Gehirn zu messen. Die große Herausforderung ist, präzise zu sein. Die Instrumente müssen sehr sensibel reagieren. Deshalb mussten wir innovative Technologien entwickeln: Leistungsfähige Produkte zur digitalen Signalverarbeitung und Filteralgorithmen, alles zusammen in einem Gerät.”

Doch das Gehirn ist viel mehr als nur ein empfindliches, menschliches Organ.

Es verfügt über die faszinierende Fähigkeit, sein eigenes Potenzial fast von selbst zu vergrößern. Doch es kann auch an Leistungsfähigkeit verlieren – wenn wir älter werden.

Vincent Jouanneau erklärt:
“Wir haben Kernspintomografien von Taxifahrern aus London gemacht. Auffällig war, dass ihr Hippocampus besser entwickelt war als bei “normalen” Menschen. Der Hippocampus ist die Gehirnregion, die für die Erinnerung zuständig ist. Warum ist sie bei Taxifahrern besser entwickelt? Weil sie den Stadtplan von London auswendig lernen mussten. So sind sie zu dieser mentalen Kapazität gekommen.
Gehirnplastizität ist das Ergebnis von vielen Faktoren: Besonders Neuronen, die Netzwerke aufbauen, sind dafür verantwortlich. Je mehr man sie stimuliert, desto besser und zuverlässiger entwickelt sich das Neuronennetzwerk. Stimuliert man sie nicht oder nur wenig, dann wird das Netzwerk langsam verschwinden.”

In diesem einzigartigen Labor in Wien arbeiten Forscher an echten Gehirnen.

Sie möchten die molekularen Geheimnisse des Alterungsprozesses enthüllen.

Besonders interessiert sie, warum einige Gehirne im Alter gesund bleiben, während andere Erkrankungen wie Alzheimer entwickeln.

Gabor G. Kovacs ist Neurologe an der Medizinischen Universität Wien:
“Die Neuronen, die Nervenzellen, sind normalerweise vernetzt. In einem kranken Gehirn verlieren die Zellen zuerst die Kontakte, dann sterben sie. Gleichzeitig häufen sie Proteine an, pathologische Proteine. Genau das passiert bei Alzheimer. Wir möchten herausfinden, was diesen Prozess auslöst. Was vor der Erkrankung passiert. Wenn ein Patient mit Alzheimersymptomen zum Arzt kommt, dann sind die Neuronen bereits tot. Wir möchten wissen, was fünf bis acht Jahre vorher passiert. Zum Zeitpunkt des Krankheitsursprungs.”

Die Wissenschaftler haben schon einiges herausgefunden:

Sie glauben, dass die Proteine und Gene, die in an der Entwicklung des Gehirns beteiligt sind, beim Verlust der Nervenzellen ebenfalls eine Rolle spielen.

Diese Entdeckung könnte wesentliche Hinweise für die Diagnose und Therapie von Alzheimer geben, so Gabor G. Kovacs:
“Es wäre sehr wichtig, zu verstehen, warum nur manche Menschen dement werden. Sind die, die gesund bleiben, genetisch vor der Krankheit geschützt? Wir erforschen nicht nur Risikofaktoren, sondern auch Schutzfaktoren: Welche genetische Konstellation könnte uns vor Alzheimer schützen? Wenn wir dieses genetische Muster finden würden, dann könnten wir es in einen Proteinspiegel aufschlüsseln. Dadurch könnten wir versuchen, eine Therapie zu entwickeln. Wenn wir wissen, was das Gehirn beschützt, dann könnten wir etwas entwickeln, das sehr nützlich für viele Menschen sein könnte.”

Unser Gehirn hat viele unerforschte und faszinierende Kapazitäten.

Roboter und Maschinen werden bisher per Knopfdruck bedient.

Wissenschaftler arbeiten aber an komplexen Technologien, so genannten “Gehirn-Computer-Schnittstellen”. Sie sind eine große Hoffnung für Menschen mit eingeschränkter Mobilität.

Vincent Jouanneau spricht über die Möglichkeiten dieser Programme::
“Für Querschnittsgelähmte zum Beispiel könnten diese Schnittstellen zwischen Mensch und Maschine sehr nützlich sein. Sie könnten mit ihren Gedanken eine Maschine steuern. Wir wissen, dass das Gehirn viele Möglichkeiten hat. Es kommt ganz darauf an, womit man es verbindet – das Gehirn wird mit dem Gerät interagieren. Es ist schwer zu sagen, wo die Grenzen unseres Gehirns liegen.”

In diesem Labor in Linz kann man bereits durch Gedankenkraft das Licht an- und ausschalten.

Elektroden am Schädel messen die elektrischen Signale unseres Gehirns.

Ein Computer liest die Gehirnaktivität und übersetzt sie in Befehle für die Glühlampen.

Doch die Wissenschaftler meinen, dass unser Gehirn zu weit mehr fähig ist.

Querschnittsgelähmte könnten etwa mit ihren Gedanken ein Videospiel steuern.

Oder Brettspiele spielen…

Oder Türen öffnen…

Und das Beste, so die Forscher, kommt erst noch…

Stefan Parker arbeitet als Informatiker an der Johannes Kepler Universität:
“Brain Computer Interfacing funktioniert im Prinzip so: Man hat Elektroden, die im Kopf an den richtigen Stellen platziert werden, wo bestimmte Gehirnströme messbar sind. Für unser System genügt es, eine Veränderung in nur einem Signal zu haben, um eine Computersteuerung zu bauen. Genauso wie wir mit einem einzelnen Schalter eine Steuerung bauen können, können wir das auch mit einem einzelnen Signal, das wir vom Gehirn abnehmen.”

Diese Wissenschaftler suchen nach Möglichkeiten, einen hoch entwickelten Flugkörper zu steuern. Die Technologie ist eine Kombination aus einem Sensor, “Computer Vision” und Hirnwellen.

Auch extrem praktische Anwendungsmöglichkeiten sind in der Entwicklung:

Gerhard Nussbaum vom Kompetenznetzwerk Informationstechnologie zur Förderung der Integration von Menschen mit Behinderungen:

“Ein Beispiel wäre die Steuerung eines elektrischen Rollstuhls, sehr robust und sehr genau. Oder direkte Computersteuerung, die könnte viel schneller werden. Beziehungsweise natürlich auch die Steuerung von Orthesen, damit hoch querschnittsgelähmte Personen die Möglichkeit bekommen, wieder etwas zu greifen.”

Diese Zukunftsvisionen sind nicht mehr fern, beteuern die Wissenschaftler.

Dennoch muss noch viel geforscht werden, um das wissenschaftliche Puzzle unseres hoch entwickelten Gehirns zu lösen.

Mikroskopbilder von www.biolution.net

www.fp7brainsafe.com
www.develage.eu
www.asterics.eu
www.cap-sciences.net

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