Bildung in der Türkei: Zwischen Religion und Chancengleicheit

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Von Euronews
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Bildung ist ein ein heißes Thema in der Türkei. Reformen im System haben heftige Debatten ausgelöst. Doch was genau sind die Vorschläge und warum werden sie kontrovers diskutiert? Um das zu untersuchen, ist Learning World in dieser Woche in der Türkei.

Ist es in Ordnung, wenn 10-jährige Kinder das Bildungssystem verlassen können? Und wie ist die Situation für Mädchen und Frauen? Wir sind hier in der Türkei, um das zu untersuchen.

Zurück in die Zukunft

Neben einer weiten Debatte über die Identität der Türkei und darüber welche Rolle Religion im öffentlichen Leben spielen soll, wird kontrovers über die steigenden Schülerzahlen an Islamschulen diskutiert.

Bis zum vergangenen Jahr war es noch schwieriger, von einer dieser Schulen als von staatllichen Schulen auf eine Universität zu wechseln.

Das hat sich mit der Reform geändert, weiß Schüler Mohammed Fatih Arishen: “Mit der neuen politischen Linie wurden alle Hindernisse für Absolventen dieser Schulen aus dem Weg geräumt, wie die Möglichkeiten für den Hochschulzugang. Dadurch können die Kinder von konservativen Familien unterschiedliche und gute Jobs bekommen. Unsere osmanischen Vorfahren waren immer Vorreiter, sowohl was die normalen als auch die Religionswissenschaften betrifft. Darum habe ich die Iman-Hatip-Schule gewählt.”

Mittlerweile gibt es immer mehr Iman-Hatip-Schulen in der Türkei. Dies hat eine landesweite Debatte über die Rolle der Religion in der Bildung ausgelöst. Viele Menschen Sorgen sich auch über die Ziele dieser Schulen.

Es sind jedoch nicht nur die Koran-Vorträge und der Religionsunterricht, den diese Schulen bieten. Die neuen Iman-Hatip-Schulen mischen den Islamunterricht mit einem normalen modernen Lehrplan. Für die 1300 Schüler kann sich jeder Berufswunsch erfüllen – egal ob sie eine geistliche oder berufliche Laufbahn anstreben. Schulleiter Cavit Erdem sagt: “Es gibt keinen großen Unterschied zwischen diesen und anderen Schulen. Aber man könnte sagen, dass diese besser zu unserer Geschichte, Tradition und Kultur passen. Türken erkennen sich selbst wieder in dieser Art von Schule und darum haben sie uns unterstützt.”

Viele Menschen und Lehrer protestierten gegen die Bildungsreform, die den Weg für Iman-Hatip-Schulen öffnete. Bildung wurde zum Kampfplatz für Politiker und Pädagogen.

Technologischer Fortschritt

Ob an staatlichen oder religiösen Schulen gelehrt werden soll, ist sicher eine wichtige Frage. Aber es geht auch um die Qualität der Bildung in Schulen. Um in internationalen Ranglisten bestehen zu können, versucht die türkische Regierung mehr Technik in die Schulen zu bringen.

Dazu hat sie im vergangenen Jahr das Projekt FAITH gestartet, mit dem Tablet PCs und Bildschirmtafeln in 52 Schulen in der Türkei verteilt wurden. Ein ehrgeiziges Vorgehen in einem Land, dessen Schulsystem im aktuellen Ranking auf Platz 32 von 34 OECD Ländern steht und wo es 40 % der 15-Jährigen Schülern an grundlegenden Mathekenntissen mangelt.

Nun werden Animationen und andere visuelle Hilfen benutzt. Ein großer Vorteil findet Mathelehrer Hakan Budak: “Mit Hilfe dieser Technik können wir den Unterricht besser gestalten. Wir können an mehr Beispielen arbeiten. Die Studenten müssen nicht alles mitschreiben. Zuhause können sie sich die Animationen noch einmal auf dem Tablet anschauen. Sie können so lange studieren, wie sie brauchen um die Dinge zu verstehen.”

Dieses Projekt, das umgerechent vorraussichtlich über 1 Milliarde Euro kosten wird, ist die höchste Einzelinvestition in Bildung in der Geschichte der modernen Türkei. Zum Ende wird es vorraussichtlich an 42.000 Schulen der Türkei Tablet PCs geben.

Gleiche Chancen

Gleichberechtigung – oder ein Mangel daran – beeinflusst die Bildung der Frauen. Ein Problem in der Türkei – besonders in den ländlichen Gebieten.
Dank des Einsatzes der Regierung und Nichtregierungsorganisationen verbessert sich die Situation jedoch.

In manchen abgelegenen Dörfern der Türkei ist man immer noch der Meinung, dass Bildung für Jungen wichtiger ist, als für Mädchen. Diese müssen zu Hause mithelfen oder sind dem Schicksal einer frühen Ehe ausgeliefert. Wir trafen eine Frau im Osten der Türkei, die nie eine Schule besucht hat. Sie heiratete mit 17 und muss nun vier Kinder versorgen, während ihr Mann im Gefängnis sind. Necla Celik sagt: “Ich bin die Älteste von 8 Geschwistern. Ich war nicht in der Schule, weil ich zu Hause bleiben musste, um meiner Mutter zu helfen und mich um die Brüder zu kümmern. Ich weiß nicht wie alt ich bin, weil ich nicht lesen und schreiben kann. Aber die Leute sagen, dass ich laut meinem Personalausweis 30 Jahre alt bin.”

Ein paar Meter weiter, in der einzigen Schule des Dorfs, gibt es eine Grundausbildung für Jungen und Mädchen. Nach der Einführung einer Schulpflicht bis 12 Jahre für beide Geschlechter, besuchen nun rund 98 Prozent der Mädchen die Grundschule – aber nur noch 66 Prozent die weiterführenden Schulen.

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Verschiedene NGOs versuchen das zu ändern. Und so heißt eine ihrer Kampagnen “Papa schick mich zu Schule”. Nilgün Yorgancılar Erekli arbeitet für die Aktion, die Mädchen helfen soll, eine Schulbildung zu bekommen: “Laut Statistiken aus den Jahren 2004 und 2005 haben rund 1 Million Mädchen nicht die Schule besucht und es gibt eine riesigen Unterschied in der Bildung zwischen Jungen und Mädchen. Deshalb war es notwendig Aktionen wie “Papa schick mich zu Schule” und “Kardelen” – Schneeglöckchen” ins Leben zu rufen.”

Die Aktion ““Papa schick mich zu Schule” hat einen Schlafsaal nahe einer weiterführenden Schule gebaut, um Mädchen zu helfen, die nicht in der Nähe wohnen. Außerdem verteilen die NGOs Stipendien, um armen Familien bei den Schulgebühren zu helfen.

Doch – Bildung ist nur der Anfang. Nach der Ausbildung einen Job zu finden bleibt noch immer eine große Harausforderung für viele türkische Frauen.

Das wars für diese Woche aus der Türkei, aber warum nehmen sie nicht an der lebhaften Debatte auf unseren Social Media Seiten teil? Und nicht vergessen: Unser Twitter-Hashtag ist “Learnworld”.

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