Spanien: Streit ums derzeitige Abtreibunsgesetz

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In der heutigen Ausgabe von News Plus beschäftigen wir uns mit dem Abtreibungsgesetz in Spanien. Das 2010 von der damaligen sozialistischen Regierung eingeführte Gesetz wird derzeit vom Verfassungsgericht geprüft. Dies geht auf eine Initiative der konservativen Volkspartei PP zurück. Der Justizminister hatte erklärt, er wolle zu einer Fassung zurückkehren, in der Fälle von missgebildeten Föten nicht berücksichtigt werden.

Eine schwierige Entscheidung

In diesem Juli wird das gültige spanische Abtreibungsrecht drei Jahre alt. Es erlaubt Schwangerschaftsabbrüche bis zur 14., bei schweren Fehlbildungen bis zur 22. Woche. Danach müssen drei Ärzte zustimmen. Die 37jährige Carolina Barelles aus Madrid, Mutter einer kleinen Tochter, hatte vor zwei Jahren eine Abtreibung nach der 14. Woche.

Barelles berichtet: “Ich war in der 12. Woche schwanger, als sie bei der ersten Sonografie eine Fehlfunktion der Blase meines Baby feststellten. In den folgenden fünf Wochen wurde es immer schlimmer. Es griff auf die Nieren über, die Lungen und ich begann, Fruchtwasser zu verlieren. Das war eine sehr schlechte Prognose. Ich habe immer gehofft, dass sich alles noch zum Guten wenden würde und dass die Probleme mit der Blase meines Fötus’ verschwinden würden. Ich habe bis zum letzten Moment abgewartet. Die Entscheidung traf ich in der 16. Woche. Wenn es mir das Gesetz nicht erlaubt hätte, die Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch auch danach zu treffen, wie es bei mir der Fall war, dann hätte ich die Entscheidung früher treffen müssen.”

Es war eine schwierige Entscheidung für die Anwältin. Das aktuelle Gesetz hält die gläubige Katholikin und Anhängerin der konservativen Volkspartei PP für richtig.

Barelles: “Ich denke, Frauen müssen das Recht haben, bis zu einer bestimmten, festgelegten Wochenzahl selbst zu entscheiden. Danach hat dann das Recht auf Leben Vorrang.”

“Fehlbildungs-Klausel ist diskriminierend”

Die Gesellschaft zur Verteidigung der Rechte Behinderter (CERMI) kritisiert, wie das Gesetz mit Fehlbildungen umgeht. Der Präsident der Gesellschaft, Luis Cayo Pérez Bueno, erklärt, man habe keine Position zum Schwangerschaftsabbruch an sich. Jedoch halte man die Möglichkeit, fehlgebildete Föten auch später abzutreiben, für diskriminierend.

Luis Cayo Pérez Bueno: “Die spanische Gesetzgebung von 2010 erweitert die Abtreibungsfrist von 14 auf 22 Wochen. Im Gesetz steht zwar das Wort “Behinderung” nicht drin, richtig, aber es wird ein Synonym benutzt. Diese Verlängerung ist eine Ungleichbehandlung, ein Nachteil aufgrund einer Behinderung, auch wenn das Gesetz politisch korrekt ist und nicht “Behinderung” sagt. Das kritisieren wir.”

Interview: “Jetzige Lösung hat Geburten ermöglicht”

Beatriz Beiras, euronews
Uns ist jetzt aus Madrid Javier Pérez-Pedregosa zugeschaltet. Er ist Spezialist für pränatale Diagnostik und arbeitet am Sanitas La Moraleja Hospital. Doktor Pedregosa, zu Ihnen in die Praxis kommen immer wieder Schwangere, die einen Fötus mit schwerer Missbildung in sich tragen. Wann wissen Sie, dass der Fötus außerhalb des Uterus’ nicht überlebt und was unternehmen Sie in diesem Fall?

Javier Pérez-Pedregosa
“Es ist möglich, auch wenn es nicht immer einfach ist, eine Missbildung des Fötus’ zu diagnostizieren, bei dem die Anomalie so schwer ist, dass ein Überleben ausgeschlossen scheint. Aber mit den Möglichkeiten, die uns heute zur Verfügung stehen, können wir eine Diagnose stellen, die ein hohes Maß an Gewissheit bietet.

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Sprechen wir über das derzeitige Abtreibungsgesetz in Spanien, das sogenannte Zapatero-Gesetz von 2010. Kann dieses das Problem lösen, was im Falle von Missbildungen passieren soll, oder ist das Gesetz zu lasch?

Javier Pérez-Pedregosa
Viele meiner Kollegen und ich sind der Auffassung, dass das Gesetz nicht zu lasch ist. Das haben wir auch bereits mehrfach gesagt, im Gegenteil: Es bietet eine Lösung an. Was sich mit dem neuen Gesetz fundamental geändert hat, ist die Möglichkeit, dass im Falle von Missbildungen ein Schwangerschaftsabbruch auch nach der 22. Woche durchgeführt werden kann. Das betrifft aber zwei spezielle Situationen: Wenn bei einer Diagnostik herauskommt, dass der Fötus nicht überlebensfähig ist oder wenn eine schwerwiegende, unheilbare Erkrankung vorliegt. Bei letzterem entscheidet ein Komitee der Klinik, wie verfahren wird.

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Das Gesetz erlaubt also eine Abtreibung nach der 22. Woche. Wie wird denn bei diesen Fällen entschieden?

Javier Pérez-Pedregosa
Die Komitees bestehen aus drei Spezialisten aus dem pränatalen Gebiet, der Pädiatrie und der Neonatologie. Das Komitee wird in jeder Region nominiert. Das Gremium entscheidet über jeden Einzelfall auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse. Alle Gesichtspunkte werden miteinbezogen, das Paar und das ungeborene Kind, der Fötus.

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Der spanische Justizminister Alberto Ruiz Gallardón hatte zunächst angekündigt, die Klausel für Missbildung in dem neuen Gesetzesvorschlag herauszunehmen, dann schwächte er dies wieder ab. Ist es wissenschaftlich möglich, die Missbildungs-Klausel im Gesetz zu belassen?

Javier Pérez-Pedregosa
Das ist möglich, aber sehr schwierig, da wir in der Medizin immer über kranke und gesunde Menschen sprechen. Jeder Fall ist anders, der eine Fötus mit einer Missbildung im Herzen könnte sich anders entwickeln als ein anderer Fötus mit der gleichen Missbildung. Manchmal ist es eine Kombination aus verschiedenen Dingen. Es scheint uns schwierig, ein Gesetz zu entwerfen, denn es wird viele Fälle geben, die nicht mit einbezogen werden.

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Fällt Ihnen ein Fall ein, bei dem das Problem dank des aktuellen Gesetzes gelöst werden konnte, und bei dem das alte Gesetz nicht gegriffen hätte.

Javier Pérez-Pedregosa
Wir haben Fälle gehabt. Das neue Gesetz hat es uns ermöglicht, die Eltern sozusagen zu überzeugen, den Fötus nochmal einige Wochen später, untersuchen zu lassen. Bei der späteren Untersuchung stellte sich dann heraus, dass die Missbildung noch da war, sich aber nicht verschlimmert hatte, und die Schwangerschaft so fortgeführt werden konnte. Dank der Möglichkeit bis nach der 22. Woche mit einer Entscheidung zu warten, sind Kinder geboren worden, wo vielleicht sonst voreilig eine Entscheidung getroffen worden wäre.

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