"Keiner hat gewonnen, deswegen hat Merkel gewonnen"

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Die Amtsinhaberin Angela Merkel hatte darauf bestanden: Nur ein einziges Mal wollte sie sich vor der Bundestagswahl ihrem Wahlvolk in direkter Konfrontation mit dem sozialdemokratischen Herausforderer präsentieren. Um es gleich vorweg zu sagen: Klaren Sieger gab es keinen. Die eine Umfrage sah Merkel vorn, die andere wollte leichte Vorteile für Steinbrück ausgemacht haben. Peer Steinbrück, sechs Jahre älter als Merkel, wie sie in Hamburg geboren, war in der “Großen Koalition” von sieben Jahren Finanzminister. Er ist das, was man in Deutschlands Norden eine “drögen Typen” nennt. Einen, der besser mit Zahlen als mit Menschen umgehen kann. Er hat es schwer gegen die Kanzlerin, die vor allem mit einem Argument punkten kann: Den Deutschen geht es besser als all ihren EU-Nachbarn. Folgreich betonte sie vor allem diesen Fakt: “Wir können einfach den Menschen in diesem Lande sagen, dass wir das schaffen können, dass es weiter aufwärts geht. Und die Arbeit ist natürlich nicht zu Ende. Natürlich gibt es viel Sorgen, viele Nöte, aber wir haben gezeigt, dass wir es können und das in einer schwierigen Zeit, in einer Zeit, in der wir die schwerste europäische Krise hatten und Deutschland steht stark da. Deutschland ist Wachstumsmotor. Deutschland ist Stabilitätsanker.”
Der Herausforderer von der SPD merkte an, dass leider nicht alle Bürger etwas haben von diesen positiven Effekten, nicht einmal alle, die Arbeit haben. Zu oft reiche ein Arbeitseinkommen nicht aus, um davon auch leben zu können. Steinbrück konterte also: “Bei Mindestlöhnen (…) ist das, was Frau Merkel als Lohnuntergrenze will, etwas ganz anderes als ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn. Das ist ein Flickenteppich von Branche zu Branche, von Region zu Region unterschiedlich. Und vor allen Dingen, es gibt viele Menschen, die bereits nach einem Tarifvertrag bezahlt werden – aber unter 8 Euro 50. Und die gucken durch die Röhre, das sind die Gelackmeierten bei der Lohnuntergrenze von CDU/CSU.”
A propos CDU/CSU – die im Bundestag immer gemeinsam als die “Unionsfraktion” auftreten. Geschlossen hinter der Kanzlerin in Berlin stehen die Bayern von der CSU keineswegs. Eben hat ihr Parteichef seiner Forderung nach einer PKW-Maut für Ausländer auf deutschen Autobahnen bekräftigt, obwohl Merkel sich am Vortrag klar dagegen ausgesprochen hatte.

Kirsten Ripper
euronews:
Das Fernsehduell vom Sonntagabend und den Wahlkampf analysieren wir jetzt mit dem Journalisten René Pfister, der im Hauptstadtbüro des Nachrichtenmagazins Der Spiegel arbeitet. Nach der Debatte sieht jedes Lager die eigene Kandidatin oder den eigenen Kandidaten als Sieger. Wer hat Ihrer Meinung nach am besten von dem Duell profitiert?

René Pfister
Der Spiegel:
Keiner hat gewonnen, deswegen hat Angela Merkel gewonnen. Es war ja für Peer Steinbrück die Chance, in diesem TV-Duell noch mal aufzuholen. Ich glaube, er hat sich ganz ordentlich geschlagen, aber es ist ihm eben nicht gelungen, wie man’s in der Boxersprache sagt, diesen LUCKY PUNCH zu landen. Also ihr unerwartet so weh zu tun, sie so zu treffen, dass sich die Verhältnisse noch mal ändern, dass man den Eindruck kriegt, dieser Wahlkampf ist noch mal neu eröffnet. Also insofern würde ich sagen, es ist mit Gleichstand ausgegangen, aber mit einem Gleichstand kann Angela Merkel – weil sie eben so weit vorne liegt, besser leben als Peer Steinbrück.

Kirsten Ripper
euronews:
Wer war für Sie überzeugender?

René Pfister
Der Spiegel:
Ich fand, dass Peer Steinbrück schon gut seinen Punkt gemacht hat, es ist ja die Strategie der Kanzlerin, dass sie sagt, das Land läuft gut. Und da ist es Steinbrück schon sehr gut gelungen, seinen Punkt zu machen – nämlich zu sagen, in Deutschland ist nicht alles toll, in Deutschland gibt’s eine soziale Spaltung. Also insofern hat er schon mal die Möglichkeit einfach auf Augenhöhe mit der Kanzlerin zu agieren.

euronews:
Und hätte er aggressiver sein können, Steinbrück?

René Pfister:
Ach, ich glaube, dass das etwas ist, was die Deutschen nicht so mögen: Einen keifenden Kanzlerkandidaten, der eine Frau rüde und hart attackiert, darin besteht ja die Schwierigkeit, er steht einer Frau gegenüber. Ich glaube, das ist etwas, das die Deutschen nicht mögen. Also die Deutschen sind sehr harmonieorientiert.

euronews:
Was ist Ihrer Meinung nach das entscheidende Thema in diesem Wahlkampf?

René Pfister:
Das Problem ist, dass es kein entscheidendes Thema gibt. Das ist ja die große Kunst der Angela Merkel, dass sie alle Themen, die irgendwie strittig sein könnten, abgeräumt hat. Also bei allem, was Emotionen, was Leidenschaft erzeugen könnte, solche Fragen wie Mindestlohn, …kriegen Leute, die einfache Arbeit machen, genug Geld etc.
Es liegt aber natürlich auch daran, dass es den Deutschen im Moment verhältnismässig gut geht – es gibt natürlich viele Probleme, aber die meisten Deutschen sagen doch: Unterm Strich geht es uns gar nicht so schlecht, auch im Vergleich zu anderen Ländern in Europa. Und deswegen gibt’s keine Wechselstimmung.

euronews:
Glauben Sie, dass es nach der Wahl eine große Koalition geben wird?

René Pfister:
Hm, das ist sehr schwer zu sagen. Ich glaube, wenn’s noch mal reicht für Schwarz-Gelb, dann wird es Schwarz-Gelb geben. Aus meiner Sicht wird sich die SPD sehr genau überlegen, ob sie noch mal eine große Koalition eingeht. Sie hatte bei der letzten Wahl um die 23 Prozent, wenn es da nochmal weiter runtergeht… und die Parteien gar nicht mehr auf einer Linie miteinander verhandeln können. Sondern die CDU ist ganz klar der große Koalitionspartner und die SPD ist ganz klar der kleine, dann wird es sich die SPD überlegen, denn sie hat ja schon aus der letzten Koalition das Trauma, dass sie für die Erfolge der Regierung überhaupt nicht verantwortlich gemacht wird im positiven Sinne. Also dass das bei ihr nicht einzahlt, sondern dass das allein bei der CDU, bei der Kanzlerpartei einzahlt. Und das glaube ich, ist ein Trauma, das die SPD bis heute verfolgt.

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