Romano Prodi: "Politische Union für Europa überlebenswichtig"

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euronews hat Romano Prodi, den ehemaligen Präsidenten der Europäischen Kommission und früheren italienischen Ministerpräsidenten, in Paris zum Interview getroffen. Das Thema: Europa und die Krise.

euronews:
“Um effektiver zu arbeiten, muss die EU den Weg einer politischen Union einschlagen. Ist das ein realistischer Weg?”

Romano Prodi:
“Langfristig ist das für das Überleben notwendig. Kurzfristig ist eine politische Einheit schwierig. Es gab Spannungen, dann die Debatten um “Euro oder nicht Euro” – Europa ist dieser Tage geteilt. Aber das ist nicht neu. Früher gab es die so genannte “Politik des leeren Stuhls” der Franzosen, die zu den Gründern Europas gehören. Insgesamt bin ich nicht pessimistisch. Allerdings brauchen wir eine Menge Geduld und das Verständnis, dass kein europäisches Land – auch Deutschland nicht – allein groß genug ist, um eine Rolle in der Globalisierung zu spielen. Und das ist beeindruckend.”

euronews:
“In vielen Ländern erhalten die Euro-Skeptiker wieder Zulauf – wegen der EU, aber auch wegen der Einheitswährung. Ist das das Ergebnis der Krise oder steckt etwas Anderes dahinter?”

Prodi:
“Das ist eine Konsequenz, die durch die Wirtschaftskrise aufgezeigt wurde. Als wir den Euro schufen, haben wir spezielle Stufen als Stützen zur Verteidigung des Euro eingebaut. Alles war ganz klar: Erst machen wir das, dann dieses, dann jenes. Und dann bekam Europa Angst: Angst vor der Globalisierung, Angst vor den Chinesen, Angst vor den polnischen Klempnern. All das hat uns geschwächt. Diese Krise hat die Schwächen dann besonders herausgestellt.”

euronews:
“War das Agieren während der Krise aus Ihrer Sicht richtig?”

Prodi:
“Richtig…? Wenn schlafen richtig ist, dann ja. In dem Sinne haben wir geschlafen – bis auf die Europäische Zentralbank, die gut gearbeitet hat. Wir steckten in endlosen technischen Debatten fest, ohne das eigentliche Problem der europäischen Seele und ohne unsere Stellung in der Welt zu thematisieren. Zu der Zeit kam die Krise, ausgelöst von den Vereinigten Staaten. Obama hat 800 Milliarden Dollar in die Hand genommen, China 585 Milliarden, und Europa hat jahrelang nur mit einigen Milliarden Euro hantiert. Kurzum, all das hat die politischen Schwierigkeiten verdrängt, die nur überwunden werden können, wenn wir den Atem der neuen Globalisierung im Nacken spüren, wenn wir verstehen, dass wir an den Rand gedrängt wurden.”

euronews:
“Bei welchen Interventionsmaßnahmen sollten wir Änderungen vornehmen oder Fortschritte machen, um das Vertrauen der Bürger in die EU zurückzugewinnen und die EU beliebter zu machen?”

Prodi:
“Eine beliebtere EU bedeutet zuerst, ein Mindestmaß an Solidarität zu haben. Ich spreche nicht von Wohltätigkeit, sondern ich meine eine interessierte, intelligente Solidarität. Zum Beispiel glaube ich, dass die Sparpolitik Deutschland ganz und gar nicht geholfen hat. Ich habe alle denkbaren Rechnungen durchgeführt, und bin der Meinung, dass die Sparpolitik das Wachstum Deutschlands zu einer Zeit, in der es sehr stark hätte sein können, nur gedrosselt hat. Aber uns muss klar sein, dass man bei 28 Mitgliedsstaaten keine einstimmigen Entscheidungen mehr erwarten kann. Es ist in sich widersprüchlich, bei 28 Ländern einstimmige Entscheidungen zu treffen. Um das Vertrauen in die Europäische Union zurückzugewinnen, müssen wir die Botschaft aussenden, dass man entscheiden kann und dass man nicht in jeder Frage unterschiedlicher Meinung sein muss, nur weil es kleine Unterschiede gibt. Denn dann ist klar, dass die etablierte europäische Politik nicht dazu geeignet ist, Europa zu Größe zu verhelfen.”

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