Martin Schulz: "Den Interessen der Menschen Vorrang geben"

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Von Euronews
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Martin Schulz ist seit vergangenem Samstag der Kandidat der europäischen Sozialisten für das Amt des EU-Kommissionspräsidenten. Die Delegierten der Mitte-links-Parteien gaben ihm bei ihrem Kongress in Rom ihr Votum. Der 58-Jährige deutsche Politiker will für eine EU kämpfen, die Arbeitsplätze schafft. Schulz werden gute Chancen eingeräumt, doch in einigen südlichen Ländern der EU ist man zurückhaltend, weil er deutscher Politiker ist. Wir befragten Schulz zum Wahlprogramm und zu seinen Plänen. Doch unser Korrespondent Sandor Zsiros wollte auch wissen, ob das Amt des Präsidenten des Europaparlaments mit der Kampagne für die Sozialdemokraten vereinbar ist?

Martin Schulz:
“Ich bewerbe mich für einen Sitz im Europäischen Parlament, wie sich auch andere für die nächste Legislaturperiode bewerben. In meinem Verständnis ist der Präsident des Parlaments zugleich ein Mitglied des Parlaments. Für mich ist es daher normal, mich um ein Amt zu bewerben. Meine Amtszeit geht bis zum Ende der Legislaturperiode und ich will allen versichern, dass ich zwischen meinen Aufgaben als Parlamentspräsident und meiner Rolle als Kandidat für das Europaparlament einen klaren Unterschied mache.”

euronews:
“Warum sollten die Europäer für Sie stimmen? Welches ist ihr Wahlprogramm?”

Martin Schulz:
“Ich denke, dass sich die EU verändern muss. Die Menschen haben das Vertrauen verloren, das Vertrauen in die nationalen Institutionen und jenes in die europäischen Institutionen. Immer mehr Menschen
sind davon überzeugt, dass die Institutionen am Alltag der Menschen, an ihren täglichen Sorgen nicht mehr Anteil nehmen. Wir haben 700 Milliarden Euro zur Rettung der Banken und zur Stabilisierung unserer Währung bereitgestellt, doch unsere Kinder haben keine Jobs. Ich kann den Vertrauensverlust der Menschen verstehen. Vertrauen wiederzugewinnen heißt, den Interessen der Menschen Vorrang zu geben, der sozialen Sicherheit, der Schaffung von Arbeitsplätzen, der Ausbildung. An erster Stelle muss muss der Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit stehen. Dafür gehe ich in den Wahlkampf.”

euronews:
“Welches ist Ihre Botschaft an jene, die für die euroskeptischen und radikalen Parteien in Europa stimmen werden?”

Martin Schulz:
“Diese wollen glauben machen, dass es sich um ein Referendum handelt, bei dem man zu Europa ja oder nein sagen kann. Das stimmt nicht. Die Europäische Union wird es auch noch am 26. Mai geben. Es geht nicht um ein Ja oder ein Nein zu Europa. Es geht darum, welches Europa wir uns wünschen. Ob es ein faires und soziales Europa, ein Europa der Banken und Spekulationen oder um eines der kontrollierten Märkte sein soll. Ob es ein demokratischeres Europa sein soll, das Rechenschaft ablegen muss, oder eines, das Entscheidungen hinter verschlossenen Türen trifft. Um diese Dinge geht es. Was Handels-, Währungs-, Steuer-, Einwanderungs-, Klima- oder Fragen des Welthandels angeht, machen diese Parteien keinen einzigen Vorschlag. Menschen, die von der EU enttäuscht sind, was ich verstehen kann, empfehle ich daher: Wählt jene nicht, die euch weissmachen wollen, dass man die Union ersetzen kann. Stimmt für Mitte-rechts- oder Mitte-links-Parteien, stimmt für die Liberalen, die Grünen oder für wen immer, doch stimmt für jene, die eine Veränderung wollen und diese auch bewirken können.”

euronews:
“Werden die Menschen in Südeuropa für Sie, einen deutschen Politiker, stimmen?”

Martin Schulz:
“Eine berechtigte Frage. Doch ich bin nicht Botschafter der Bundesrepublik Deutschland, ich bin seit 20 Jahren Mitglied des Europaparlaments. Jene, die mich kennen, wissen, dass Deutschland für mich nie im Vordergrund, nie über allen anderen Ländern stand. Mir geht es um ein Deutschland, das zu einem fairen Vertrag zwischen den Menschen und den Nationen Europas beiträgt. Ich bin ein deutscher Europäer.”

euronews:
“Wie sehen Sie ihre Chancen, die Wahl zu gewinnen?”

Martin Schulz:
“Es hängt davon ab, ob es mir gelingt, die Menschen zu überzeugen. Zu Beginn einer Wahlkampagne stehen die Chancen immer 50 zu 50. Wir werden sehen. Ich denke, gute Chancen zu haben, weil ich von meinem Wahlprogramm überzeugt bin. Das Programm meiner Freunde ist überzeugend.”

euronews:
“Herr Schulz, haben Sie Dank!”

Zu Gast bei uns im Studio ist Matthias Krupa, Brüsseler Korrespondent der deutschen Wochenschrift “Die Zeit”. Umfragen zufolge könnten die europäischen Sozialisten bei der Europawahl die stärkste Fraktion im Europaparlament bilden. Wird Martin Schulz Präsident der Europäischen Kommission?

Matthias Krupa:
“Ob er Kommissionspräsident wird, kann man jetzt noch nicht wissen, doch ich würde sagen, dass er Chancen hat. Im vergangenen Jahr sahen die Umfragen ganz anders aus, was bedeutet, dass er einen ersten Erfolg verbuchen konnte. Er kann inzwischen davon ausgehen, dass er Chancen hat. Ob er tatsächlich Kommissionspräsident wird, ist eine andere Frage.”

euronews:
“In vielen Ländern Europas wird die Austeritätspolitik Deutschlands heftig kritisiert. Kann der deutsche Politiker Martin Schulz die Menschen davon überzeugen, ist er glaubwürdig?”

Matthias Krupa:
“Er zählte zu jenen, die in den vergangenen Jahren, in den Krisenjahren und in der Zeit, in der man Lösungen suchte, die Austeritätspolitik kritisiert haben. Das war damals ziemlich einfach, weil die Sozialdemokraten in der Opposition waren. Inzwischen gehören sie der deutschen Koalitionsregierung an, was zur Folge hat, dass seine Kampagne schwieriger wird. Es wird schwieriger, einerseits die Austeritätspolitik in den südlichen Ländern zu kritisieren und zumindest dort Stimmen zu gewinnen und zugleich seiner Partei treu zu bleiben, die zur deutschen Koalition gehört.”

euronews:
“Beim Kongress in Rom sprach Schulz von der Notwendigkeit, die EU zu verändern. Wird er dazu imstande sein?”

Matthias Krupa:
“Im Alleingang natürlich nicht. Um in der Europäischen Union etwas zu verändern, muss man ziemlich viele Leute überzeugen, man muss viele Regierungschefs für seine Sache gewinnen, viele Kommissare, man muss das Parlament dafür gewinnen. Meiner Ansicht nach sollte diese Frage während der Kampagne geklärt werden: Um welche Veränderung Europas es geht und welche Veränderung Martin Schulz wirklich meint.”

euronews:
“Matthias Krupa, haben Sie vielen Dank.”

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Die europäischen Sozialisten planen eine großangelegte Kampagne: Aktivisten werden von Tür zu Tür gehen und um Stimmen werben. Im Februar waren wir in Brüssel bei einem Lehrgang für jene Aktivisten dabei, die quasi zum Generalstab gehören.

Freiwillige Wahlhelfer der europäischen Sozialdemokraten werden bald an die Türen der europäischen Wähler klopfen. Berater, die 2012 Francois Hollande während seines Wahlkampfs in Frankreich zur Seite standen, sollen diesmal Europas Sozialisten und Demokraten zum Erfolg führen. “Als wir zum ersten Mal eine nationale Tür-zu-Tür-Kampagne organisierten, warben 80 000 Freiwillige bei fünf Millionen Haushalten”, erläutert einer der Wahlstrategen. “Unseren Berechnungen zufolge verhalf das Francois Hollande zu 300 000 Stimmen.” Im vergangenen Monat kamen die Verantwortlichen der für ganz Europa geplanten Kampagne in Brüssel zusammen. Jeder von ihnen führt in einem der 28 Mitgliedsstaaten eine Gruppe von Helfern.
“Mit einem Zugewinn von fünf Prozent an Stimmen, was europaweit etwa 12 Millionen Wählern entspricht, können 50 bis 60 Sitze im Europaparlament gesichert werden”, fügt Brian Synnott, der für die Kommunikation zuständige Mitarbeiter hinzu. Doch es gibt auch Facebook, Twitter oder Instagram, um den Spitzenkandidaten Martin Schulz den Wählern besser bekannt zu machen. Und es gibt Leute, die mit dieser Aufgabe betraut sind. “Unser Job besteht zum großen Teil darin, zu kommunizieren und den Leuten zu zeigen, wer Martin Schulz wirklich ist, wir wollen die Person zeigen”, sagte Marte Ingul. Die deutschen Sozialdemokraten wollen im Europawahlkampf ein Rekordbudget von mehr als zehn Millionen Euro ausgeben. In 17 Städten sind Großkundgebungen geplant.

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