Qualität in der Nische: Europas Unternehmen wehren sich gegen Abwanderung

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Von Euronews
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Sie sind keine ganz gewöhnlichen Ski-Fahrer. Die Aufgabe von André-Jean Kruajitch und seinem Kollegen ist es, die Bretter zu testen, die von einem der weltweit führenden Ski-Hersteller stammen.

André-Jean Kruajitch: “Diese Skier haben eine ganz eigene, französische Note, einen french touch. Mit unserem Know-How können wir etwas sehr Lebendiges, Verspieltes herstellen. Als wir von Taiwan nach Sallanches in Frankreich zurückkehrten, stellten wir sofort einen erheblichen Qualitätsanstieg bei der Fertigung fest. Dass wir nach Frankreich zurückgekehrt sind, hat die Leute sehr gefreut.”

Am Fuße des Mont Blanc im Tal von Chamonix im Osten Frankreichs, ist eines der Hauptwerke der Gruppe Rossignol. Lange wurde hier auf kleiner Flamme gekocht, doch 2010 kam das Gros der Skiherstellung aus Taiwan zurück an den lange problemgeplagten Standort. Der ist nun gesichert, es entstanden neue Stellen.

Der Mitarbeiter Anthony Girard sagte: “Wir können mehr Skier herstellen, was sehr gut für die Zukunft der Fabrik ist, das ermutigt uns.”

Und seine Kollegin Encarni Carreres ergänzt: “Der Umstand, dass wir französische Skier in Frankreich herstellen, wertet das Produkt an sich bereits deutlich auf.”

Europäische Unternehmen nähern sich ihren Hauptmärkten in Europa wieder an. Rossignol lässt zwar nach wie vor viel in Asien und Osteuropa fertigen. Doch die Rückverlagerung der Ski-Produktion nach Frankreich hat sich als rentabel erwiesen.

Rossignol-Chef Bruno Cercley: “Am anderen Ende der Welt Waren herzustellen, die man dann hier wieder einführen muss, ist sehr teuer beim Transport, sehr teuer, was die Flexibilität angeht, denn man ist alles andere als flexibel. Der wichtigste Markt für uns ist hier in Europa. Wenn wir näher an unserem Markt sind, laufen die Dinge schneller ab, die Waren sind schneller auf dem Markt, man kann besser reagieren, das ist ein sehr wichtiger Wettbewerbsvorteil.”

Seit 2008 sind in Europa fast 4 Millionen Stellen in der Industrie weggefallen, das Produktionsniveau ist um 10 Prozent gesunken. Zaghaft wenden sich europäische Unternehmen wieder den heimischen Standorten zu. Mitten im Jura liegt Morez, die Wiege der französischen Brillenindustrie. Auch sie hat eine massive Abwanderung ins billigere Ausland erlebt, doch manche Betriebe widerstehen der Versuchung. Zu ihnen gehört auch das 1886 gegründete Unternehmen Albin Paget. Es gehört zu den letzten, die ihre Brillen noch in Morez produzieren. Aus Sicht von Hersteller und Abnehmern ein großer Vorteil.

Der Mitarbeiter José Correia poliert ein Gestell. Dann sagt er: “Na bitte, das glänzt. Ich denke, wir machen hier eine gute Arbeit. Wenn ich Markenbrillen sehe, sage ich mir, dass sie nicht so gut gemacht sind wie unsere.”

Die Herstellung in Frankreich und die Möglichkeit, schnell zu liefern, sind entscheidende Vorteile gegenüber großen Konkurrenten. Die Brillen sind etwas teurer als Produkte aus Asien. Und doch finden sie ihre Kunden.

Unternehmenschef Jean-Michel Werling: “Wir können nicht mit chinesischen Gehältern konkurrieren, aber das französische Design, die Herstellung in Frankreich und die Reaktionsfähigkeit erlauben es uns, auf dem Markt weiter zu bestehen. Wir garantieren Qualität. Nur sehr wenige Produkte werden zurückgeschickt. Weniger als ein Prozent, das heißt, wir stellen wirklich qualitativ hochwertige Ware her.”

Worunter das Unternehmen leidet, ist ein Mangel an Know-How. Denn das Fachwissen ist mit der Abwanderung ebenfalls geschwunden.

Werling: “Wir haben ein echtes Kompetenzproblem. Wegen der Deindustrialisierung gibt es heute nur noch wenige Fabriken. Es ist daher schwierig, wirklich gutes Personal zu bekommen, das alle die Aufgaben hier bewältigen kann.”

Jedes Gestell durchläuft zahlreiche Herstellungsschritte, viele werden von Hand ausgeführt. Pierre arbeitet seit mehr als 30 Jahren hier. Neben der Herstellung von Prototypen, bemalt er die metallischen Gestelle.

“Das ist nicht kompliziert, man muss einfach wissen, wie es geht, das lernt man nicht in der Schule”, sagt Pierre. “Es wird immer schwieriger, Lackierer in Morez zu finden. Ein bestimmtes Know-How zu bewahren, ist wichtig für die Zukunft. Außerdem ist die Qualität wichtig. Ohne Qualität haben wir wohl morgen schon keine Arbeit mehr.”

Die Konzentration auf Qualität, auf Nischenmärkte, scheint der Schlüssel zum Erfolg und Überleben für europäische Unternehmen zu sein, die nicht abwandern wollen.

Es ist gleichzeitig jedoch eine Herausforderung, die hin und wieder auch fehlschlägt, wie das Beispiel dieser Schneiderei zeigt. Sie entstand als Genossenschaft im Jahr 2011 nach der Insolvenz der französischen Gruppe Lejaby. Während Lejaby wieder Wind unter den Flügeln hat, scheint das neue Projekt vor dem Aus zu stehen.

Die Unternehmerin Muriel Pernin und einige der damaligen Lejaby-Angestellten hatten Les Atelières mit Geld private Investoren und über die sozialen Netzwerke eingenommenen Spenden auf die Beine gestellt. Rund 30 Stellen entstanden. Christiane Favrin hatte eine von ihnen bekommen. Zuvor war sie fast 40 Jahre bei Lejaby und freute sich über die neue Chance:

“Das ist toll, besonders in meinem Alter. Das ist ein Neuanfang. Ich hoffe, dass viele andere Unternehmen sich wieder in Frankreich ansiedeln, damit das ganze Fachwissen erhalten bleibt und damit viele Leute wieder einen Job bekommen. Es gibt so viele Arbeitslose.”

Als wir Les Atelières besuchten, waren die Auftragsbücher voll. Aber das Unternehmen hatte es nicht leicht, rechtzeitig zu liefern, denn es hat ein Produktionsmodell, das an seinen Nischenmarkt angepasst ist. Einen Großteil des Geldes hatten Les Atelières in die Forschung und Entwicklung gesteckt, um neue Herstellungsmethoden zu finden.

Muriel Pernin: “Bei der Standortverlagerung ist die Massenproduktion ins Ausland gegangen. Wir konzentrieren uns auf eine begrenzte Produktion. Wir stellen nicht 30.000 Luxus-Stücke her, sondern 500 oder 1000. Ich setze darauf, dass es eine Marktlücke für Kleinserien gibt, aber wir müssen unsere Arbeitsweise neu organisieren. Und es gibt schon erste Ergebnisse, diese Fünferarbeitsplätze hier etwa sind ein Resultat unserer Überlegungen.”

All diese Anstrengungen waren wohl vergebens. Auch die Suche nach neuen Investoren brachte keinen Erfolg, wie es heißt wollen die Banken den Schneidern keine neuen Kredite geben. In diesen Tagen wollen Les Atelières ihre Zahlungsunfähigkeit erklären, es ist das Ende eines kurzen Abenteuers, an das doch viele noch vor wenigen Wochen so leidenschaftlich geglaubt hatten. Der Schneider Clarence Totor: “Wenn man sich in dieses Abenteuer begibt, weiß man, dass es schwierig wird, aber man sagt sich, dass man es dennoch tun muss. Denn es ist zwar schwierig, aber machbar.”

Es ist das Ende eines Projekts, eines Unternehmens, dem es nicht an Talenten mangelte, auch nicht an Kunden, an Ideen, an Visionen. Das Ende macht aber klar, dass die Herausforderungen für diese Art von neuen Unternehmen in Europa sehr hoch sind, und das Ende oft schneller da ist, als befürchtet.

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