Anders Fogh Rasmussen: "Russland verhält sich nicht wie ein Partner"

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Im Oktober scheidet NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen aus dem Amt. Im euronews-Interview beleuchtet der Däne aktuelle Themen des Nordatlantik-Bündnisses und spricht über seine größte Errungenschaft.

euronews:
Herr Rasmussen, Sie sind seit fünf Jahren NATO-Generalsekretär. Wie beurteilen Sie die Sicherheitslage in Europa in den vergangenen Monaten?

Anders Fogh Rasmussen:
Die Sicherheitslage hat sich dramatisch verändert. Russlands illegale Militäraktionen in der Ukraine waren ein Weckruf. Sie haben uns daran erinnert, dass nichts selbstverständlich ist. Natürlich müssen wir uns auf diese neue Situation einstellen.

euronews:
Präsident Putin sagte, dass er kein Recht habe, NATO-Truppen auf die Halbinsel Krim zu lassen, deshalb sei sie annektiert worden. Haben Sie solche russischen Sicherheitsbedenken in Betracht gezogen?

Anders Fogh Rasmussen:
Ja, aber wir hatten nie die Absicht, NATO-Truppen auf der Krim einzusetzen. Das ist also eine sehr schlechte Ausrede für die illegale und unzulässige Annektierung der Krim. Es gibt dafür keine Entschuldigung. Russland hat all seine internationalen Vereinbarungen in eklatanter Weise gebrochen und ebenso die grundlegenden Prinzipien der Zusammenarbeit zwischen NATO und Russland.

euronews:
Sehen Sie nach wie vor eine Einmischung Russlands im Osten der Ukraine? Und wie ist es mit dem dortigen bewaffneten Konflikt?

Anders Fogh Rasmussen:
Es gibt keinen Zweifel, dass Russland maßgeblich daran beteiligt ist, den östlichen Teil der Ukraine zu destabilisieren. Die Russen lassen den Transfer von Waffen, militärischem Gerät und Kämpfern über die Grenze in die Ukraine zu. Wir rufen Russland auf, die Unterstützung der seperatistischen Gruppen einzustellen. Und wir rufen Russland dazu auf, Truppen von der russisch-ukrainischen Grenze abzuziehen. Kürzlich haben wir einen neuerlichen Zusammenzug russischer Truppen in der Grenzregion festgestellt.

euronews:
Verstärkt die NATO ihre Präsenz in der Nähe Russlands?

Anders Fogh Rasmussen:
Wir haben die Luftraumüberwachung über den drei baltischen Staaten verstärkt, wir haben Kriegsschiffe in die baltische See und das schwarze Meer entsandt, wir haben zusätzliche Manöver in Polen und den baltischen Staaten durchgeführt. Auf See, in der Luft und auf dem Land werden Sie also eine stärkere NATO-Präsenz erkennen. Die Ausrichtung ist nicht offensiv, sondern rein defensiv, mit dem Ziel, unsere Verbündeten wirkungsvoll zu schützen.

euronews:
Wie beschreiben Sie Russland, als Partner oder inzwischen eher als Gegenspieler?

Anders Fogh Rasmussen:
Mehr als 20 Jahre lang haben wir eine konstruktive Beziehung zu Russland aufgebaut. Aber ich muss sagen, dass sich Russland nicht wie ein Partner verhält. Und wir sehen in russischen Militärdokumenten, dass sie die NATO als einen Widersacher betrachten. Natürlich müssen wir uns darauf einstellen.

euronews:
Welche Lehren sind aus Russlands Militärtaktik gegenüber der Ukraine zu ziehen?

Anders Fogh Rasmussen:
Wir haben gesehen, dass die russischen Streitkräfte sehr flink agieren. Im Vergleich zu 2008, als sie Georgien angriffen, haben wir modernere russische Streitkräfte gesehen. Das ist der Grund dafür, dass ich die Verbündeten der NATO dazu dränge, ihre Verteidigungshaushalte zu erhöhen und die Erneuerung unserer Streitkräfte zu beschleunigen. In den vergangenen fünf Jahren hat Russland seinen Verteidigungshaushalt um 50 Prozent erhöht, während die NATO-Länder den im Durchschnitt um 20 Prozent zurückgefahren haben. Das ist natürlich nicht tragbar. Was wir in der Ukraine gesehen haben, hat die Lage verändert. Jetzt ist es an der Zeit, die Kürzungen aufzuhalten, die Richtung zu wechseln und allmählich die Verteidigungshaushalte zu erhöhen.

euronews:
Wir sprechen über die Sicherheitslage in Europa. Welche Gefahr droht von den sunnitischen Rebellen, die Teile des Iraks und Syriens erobert haben. Wie muss sich die NATO in dieser Sache verhalten?

Anders Fogh Rasmussen:
Noch einmal, die NATO konzentriert sich auf Verteidigung und den Schutz unserer Verbündeten. Deshalb haben wir Flugabwehrraketen in der Türkei stationiert, um die Türkei gegen mögliche Raketenangriffe aus Syrien zu schützen. Aber die Lage in der Region insgesamt ist zweifellos sehr besorgniserregend. Es ist öffentlich bekannt, dass die irakische Regierung die Unterstützung einzelner NATO-Verbündeter angefordert hat.

euronews:
Es werden Kampfflugzeuge aus dem Iran, aus Russland und den USA eingesetzt. Bedeutet das, dass die NATO bereits mit diesen Ländern zusammenarbeitet?

Anders Fogh Rasmussen:
Nicht die NATO als Bündnis, sondern einzelne NATO-Staaten sind beteiligt. Man sieht, wie sehr die internationale Gemeinschaft angesichts der Lage und der Ausbreitung von Extremismus und Terrorismus besorgt ist. Diese Lage fordert eine gemeinsame Antwort der internationalen Gemeinschaft – über die traditionellen Trennlinien hinaus.

euronews:
Und die letzte Frage an Sie als scheidenden NATO-Generalsekretär. Was war Ihre größte Errungenschaft?

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Anders Fogh Rasmussen:
Wir haben eine NATO, die stärker, leistungsfähiger und schneller ist. Trotz reduzierter Verteidigungshaushalte ist das Bündnis stärker. Aufgrund unserer Einsätze in Afghanistan, im Kosovo und anderswo sind unsere Streitkräfte nun darin geübt, zusammenzuarbeiten, sie sind enger verknüpft als je zuvor und so kampfbereit wie noch nie. Zugleich haben wir unsere Möglichkeiten erweitert. Unter anderem haben wir damit begonnen, Raketenabwehrsysteme aufzubauen. Wir haben uns dazu entschlossen, uns besser vor Cyber-Angriffen zu schützen. Insgesamt sind wir mittlerweile schlanker und kräftiger. Die NATO ist heute sehr viel stärker.

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