Islam-Experte zur Lage im Nahen Osten

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Der Konflikt im Nahen Osten spitzt sich dramatisch zu. Ein Ende der Gefechte zwischen radikalen Palästinensern und Israel ist nicht abzusehen. Die israelische Armee griff Hunderte von Zielen im Gazastreifen an. Die Zahl der Opfer steigt stündlich. Die israelischen Angriffe sind nach Armeeangaben intensiver als im letzten Gaza-Krieg 2012.

Auslöser der jüngsten Krise waren der
gewaltsame Tod dreier jüdischer Jugendlicher und der mutmaßliche Rachemord an einem palästinensischen Jungen.

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon drängt zu einer Waffenruhe, doch die scheint in weiter Ferne. Für den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu steht dies nach eigener Aussage nicht zur Debatte.

Euronews hat mit einem Experten über die Lage im Nahen Osten gesprochen.

Euronews: Gilles Kepel, Sie sind Islam-Spezialist. Wir haben hier eine komplexe Situation mit Israel auf der einen, der Hamas auf der anderen Seite und der Palästinenser-Organisation Fatah in der Mitte: Jeder von ihnen kann die Ereignisse entscheidend beeinflussen. Beginnen wir mit der Hamas: Die Bewegung, die mehr und mehr isoliert ist, nachdem sie von Ägypten fallen gelassen wurde, sind ihre Provokationen gegen Israel eine Flucht nach vorn? Was streben sie an?

Gilles Kepel, Islam-Experte: “Die Hamas spielt ein schwieriges Spiel. Natürlich wollen sie zeigen, dass sie noch existieren, dass sie immer noch ein Symbol der palästinensischen Identität sind – und das als sie gerade ihre Unabhängigkeit aufgeben und akzeptieren mussten, dass der Gazastreifen wieder unter der Autorität der PLO steht. Zudem mussten sie auch der nationalen Regierung zustimmen. Auch wenn es noch viele Waffen im Gazastreifen gibt und wenn man sie vor Ort herstellen kann, nichtsdestotrotz wird sie aufgrund der Haltung Ägyptens und des Irans irgendwann dazu gezwungen sein, ihre letzten Schüsse abzugeben.”

Euronews: Paradoxerweise nach der inkonsequenten Aussöhnung zwischen Fatah und Hamas, hat Mahmoud Abbas nichts dafür getan, um das Kommando im Gazastreifen wieder zu übernehmen. Die Menschen fühlen sich dort verlassen, und die Hamas stärkt sich wieder unter den Palästinensern, darunter auch im Westjordanland. Welche Optionen hat Abbas?

Gilles Kepel, Islam-Experte: “Im Moment kann Mahmoud Abbas nicht viel machen, er hat diese politische Macht nicht. Er steckt in der Zwickmühle. Wenn die Hamas ausreichend geschwächt ist, wäre das gut für ihn, denn dann würde er allein auf politischer Bühne zurückbleiben. Sollte aber die Hamas an politischer Schlagkraft gewinnen, dann muss Abbas darauf warten, dass Hamas finanziell ruiniert ist oder militärisch geschlagen.”

Euronews: In Israel haben Pazifisten einige Demonstrationen veranstaltet, gleichzeitig wird der Extremismus stärker. Die Parolen lauten nicht mehr “Tod den Terroristen”, sondern “Tod den Arabern”. Kann Netanjahu sich erlauben, diesen Weg einzuschlagen?

Gilles Kepel, Islam-Experte: “Von Beginn an hat sich Netanjahu gegen eine Einheitsregierung gewehrt – trotz der Empfehlungen seiner Berater. Dann wurde er zunehmend nervöser und kriegerisch. Er dachte, er könnte die Hamas mit Gewalt schlagen. Die Konsequenz dessen ist, dass er nun die Stimmen verstärkt hat, die die Theorie “Auge um Auge, Zahn um Zahn” vertreten. Das ist außer Kontrolle geraten, als ein junger Palästinenser ermordet wurde. Denn bis zu diesem Zeitpunkt hatte Israel das Gesetz bis zu einem gewissen Ausmaß auf seiner Seite und die Kritik gegen Israel war gering. Aber was die internationale Meinung nun betrifft, nehmen sich die Fehler auf beiden Seiten nichts. Das bringt Netanjahu in eine schwierige Situation, was sein internationales Image betrifft.”

Euronews: Was sind die Risiken, wenn wir über die Dschihadisten im Irak und Syrien sprechen. Sie warten, werden sie versuchen die Kontrolle im Gazastreifen zu übernehmen?

Gilles Kepel, Islam-Experte: “Es gibt bereits Dschihadisten im Gazastreifen. Die Hamas kontrolliert nicht die gesamte islamische Szene. Der Hamas könnte man fast eine gemäßigte Position zuschreiben. Sie besteht auch aus der Muslim-Bruderschaft, aber hat natürlich auch einen bewaffneten Flügel, der bis zu einem gewissen Punkt der politischen Führung folgt. Wenn die Hamas politisch niedergeschlagen wird, dann werden sich die autonomen, bewaffneten Mitglieder nicht mehr unterordnen, sondern
die Oberhand im Gazastreifen gewinnen.”

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