Ein Überlebender erinnert sich an die Geiselnahme von Beslan

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Von Euronews
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Es war der 1. September 2004 in Beslan, Nordossetien und damit Schulbeginn nach den großen Ferien. Die neuen Schüler und ihre Eltern wurden feierlich begrüßt. Rund 1300 Menschen hielten sich in der Schule Nr.1 auf, als das Drama seinen Lauf nahm. Um 9.30 stürmte eine Gruppe von 32 Geiselnehmern die Schule. Sie trieb über 1100 Menschen in die Turnhalle. Nur rund 50 Menschen gelang die Flucht.

Es folgte ein dreitägiges Geiseldrama. Aus der Halle drangen schockierende Bilder nach außen. Die Fenster waren vermint, Sprengsätze hingen in Basketballkörben, unter denen die Geiseln saßen. Es war brütend heiß, doch niemand durfte trinken oder essen. Einige Gefangene tranken ihren eigenen Urin, um nicht zu verdursten. Neben ihnen lagen Leichen.

Alle Verhandlungsversuche scheiterten, Die Kämpfer stammten überwiegend aus den Nachbarrepubliken Inguschetien und Tschetschenien. Sie forderten den Rückzug aller russischen Truppen aus der Region. Die Lage eskalierte am 3. September mit einer bisher ungeklärten Explosion. Sprengsätze detonierten und die brennende Decke der Turnhalle stürzte über den Geiseln ein. Daraufhin folgte ein stundenlanges Feuergefecht mit den Sicherheitskräften. Es herrschte Chaos, die Bilder von flüchtenden Kindern in Unterwäsche erschütterten die Welt.

Um 15 Uhr war die Schule komplett zerstört. Die Bilanz ist verheerend: 334 Menschen wurden getötet, darunter 186 Kinder. Nie starben mehr Kinder bei einem Anschlag. Die meisten wurden im Kugelhagel getötet oder verbrannten. Mehr als 700 Menschen wurden verletzt. Die Hintergründe der Katastrophe wurden nie ganz aufgeklärt. Offiziell übernahm der radikalislamische Rebellenführer Schamil Bassajew aus Tschetschenien die Verantwortung.Angehörige beklagen, dass auch 10 Jahre nach dem Blutbad die Verantwortlichen noch immer nicht bestraft worden seien.

Alexei Doval, euronews: “Am 1. September 2004 ist der damals 14-jährige Soslan Kokaev wie andere Kinder in Beslan zur Schule gegangen. Er lebt heute in Moskau und hat sich bereit erklärt, seine Erinnerungen mit uns zu teilen. Soslan, was ist damals geschehen?”

Soslan Kokaev: “Wie Sie wissen, hat es am 1. September begonnen. Der Morgen verhieß nichts Schlechtes. Ich traf ein paar Freunde, wir wollten den Schulanfang zusammen verbringen. Plötzlich hörten wir Schüsse. Anfangs schenkte dem niemand Aufmerksamkeit. Man dachte, es ist ein Feuerwerkskörper oder platzende Luftballons. Dann begannen die beiden Gruppen, die Schule einzukreisen, bewaffnete Männer in Tarnkleidung, die meisten mit Bart. Es wurde klar, dass das kein Freudentag ist. Gegen Mittag waren wir alle in der Turnhalle versammelt. Und dann begann das, was im Fernsehen gezeigt wurde. Sie haben es wahrscheinlich gesehen. Sie zerschlugen die Fensterscheiben, installierten Bomben. Um uns Angst zu machen, töteten sie zwei Männer in der Mitte des Raumes.”

euronews: “Was sagten die Terroristen zu Ihnen und wie haben sie sich Ihnen gegenüber benommen?”

Soslan Kokaev: “Sie verhielten sich brutal, sie haben geschrien, geflucht, in die Luft geschossen und uns bedroht. Sie haben alles getan, um die Menschen in Schrecken zu versetzen, damit niemand ihre Pläne stören konnte.”

euronews: “Wie und wann ist es Ihnen gelungen, zu fliehen?”

Soslan Kokaev: “Am Morgen des 3. September, ich hatte mich bereits vollständig in die Situation ergeben, ich war nicht bereit für den Schlag aus heiterem Himmel. Plötzlich hörte man die erste Explosion, viele Menschen um mich herum, fast alle, waren benommen. Überall Staub und Asche. Instinktiv lief ich zu den Fenstern, die durch die Explosion zerbrochen waren. Ich kletterte auf ein Fensterbrett. Die zweite Explosion warf mich fünf Meter nach draußen. Dann bin ich weggelaufen.”

euronews: “Was ist nach Ihrer Flucht passiert?”

Soslan Kokaev: “Es war fürchterlich, die Angst hat mich eine ganze Weile nicht verlassen. Aber – vielleicht weil ich so jung war – , habe ich die Ereignisse bereits zwei Wochen später als banal angesehen. Ich sah dieses Ereignis in meinem Leben als einen sehr intensiven schwarzen Blitz.”

euronews: “Haben diese Ereignisse, diese tragischen Tage, Ihr Leben verändert?”

Soslan Kokaev: “Nach diesen Ereignissen wurde ich sehr schnell erwachsen. Bestimmte Ereignisse, die ich im Fernsehen sehe und alles, was unser Leben betrifft, beurteile ich jetzt anders. Aber wegen der Ereignisse von Beslan, wurde ich eingeladen, an der von Michail Chordorkowski gegründeten Schule zu lernen. Das ist eine Wohltätigkeitsorganisation.”

euronews: “Besuchen Sie Beslan?”

Soslan Kokaev: “Ja, ich bin oft zu Hause, zweimal im Jahr. Im Moment studiere ich an der staatlichen Universität Moskau und mache meinen Master in öffentlicher Verwaltung. Ich arbeite auch für die Delegation von Nord-Ossetien, die in engem Kontakt mit der russischen Regierung stehen. Und während der ganzen zehn Jahre war ich oft zu Hause.”

euronews: “Besuchen Sie auch die Schule?”

Soslan Kokaev: “Ja, ich besuche sie, aber ich versuche, allein hinzugehen und nicht wenn ich versehentlich an diesen denkwürdigen Tagen des 1. bis 3. September in Ossetien bin. Ich fühle mich entspannter, wenn ich dort allein bin.”

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euronews: “Vielen Dank. Bei uns in der Sendung in Moskau war Soslan Kokaev, ein ehemaliger Schüler der “Schule Nr. 1” aus Beslan, die vor zehn Jahren von Terroristen angegriffen wurde.”

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