Ban Ki-moon: "Handelt jetzt! Der Planet Erde brennt"

Ban Ki-moon: "Handelt jetzt! Der Planet Erde brennt"
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Von Euronews
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Im euronews-Interview spricht Ban Ki-moon, Generalsekretär der Vereinten Nationen, unter anderem über die Organisation Islamischer Staat, die internationalen Militäreinsätze im Irak und Syrien sowie die Waffenruhe in der Ukraine. Und der Koreaner nimmt Stellung zum Thema Klimawandel. Ban fordert zu unverzüglichem Handeln auf.

euronews:
Krieg, Terrorismus, Seuchen, Klimawandel. Die Politikelite ist zu einem Klimagipfel und zur Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York. Auf der Erde scheint es derzeit ziemlich ungemütlich zu sein – trotz UN-Mandaten, um Frieden und Sicherheit zu gewährleisten. Haben Sie das Gefühl, dass die Dinge aus dem Ruder laufen?

  • Ban Ki-moon befindet sich in seiner zweiten Amtszeit als Generalsekretär der Vereinten Nationen
  • Der Klimawandel ist eines der Kernthemen seiner Arbeit. Für Ban ist es "das entscheidende Problem unserer Zeit"
  • 2007 wurde er Nachfolger von Kofi Annan. Er ist der achte Generalsekretär der Vereinten Nationen
  • Ban Ki-moon war Außen- und Handelsminister Südkoreas
  • Geboren wurde er am 13. Juni 1944. Er ist verheiratet und hat zwei Töchter sowie einen Sohn

Ban Ki-moon:
Die Vereinten Nationen führen den Kampf gegen all diese Herausforderungen an. Dazu gehören die Organisation Islamischer Staat, Terrorismus und der Ebola-Ausbruch in Westafrika. Natürlich gibt es auch andere Probleme im Südsudan, in der Zentralafrikanischen Republik, Libyen, Somalia. Wir scheinen in einer Welt zu leben, in der es zahlreiche Krisen gibt. Aber wenn die Welt zusammensteht, können wir diese Krisen lösen. Es ist gut und ermutigend, dass viele der führenden Köpfe zur Vollversammlung der Vereinten Nationen kommen. Das ist der passende Augenblick, ihre Führungsqualitäten zu demonstrieren. Einigkeit in der Sache ist sehr wichtig.

euronews:
Wir haben unsere Zuschauer im Internet aufgefordert, sich an diesem Interview zu beteiligen, und wir haben hunderte Fragen erhalten. Dominik Gora fragt: Können Sie die derzeit größte Gefahr benennen?

Ban:
Diese Vollversammlung befasst sich mit drei Krisen, die am wichtigsten sind. Zunächst mit dem IS-Terrorismus, der eine Bedrohung für die gesamte Menschheit ist. Das Thema müssen wir zusammen angehen – mit großer Einigkeit und Solidarität.

Zweitens der Klimawandel, eines der entscheidenden Probleme unserer Zeit. Damit müssen wir uns befassen, um den weltweiten Temperaturanstieg unter zwei Grad Celsius zu halten. Wenn wir jetzt nicht handeln, werden wir einen viel höheren Preis zahlen.

Und ein anderes Thema ist der Ausbruch von Ebola in Westafrika. Dies sind die drei derzeit entscheidenden, wichtigsten und ernsthaftesten Krisen, die unverzügliches Handeln und die Mobilisierung enormer Mittel und politischen Willens fordern. Deswegen sind wir hier versammelt.

euronews:
US-Präsident Barack Obama sagte, er könne die Vollversammlung der Vereinten Nationen dazu nutzen, mehr Unterstützung für den Kampf gegen IS zu gewinnen. Er sagte, er wolle diese Gruppe – und ich zitiere – schwächen und schließlich zerstören. Glauben Sie, dass es tatsächlich möglich ist, eine Gruppe wie den Islamischen Staat zu zerstören?

Ban:
Wir benötigen aufeinander abgestimmte, ernsthafte Unterstützung und Solidarität, um diesen Terrorismus anzugehen und anzugreifen. Deshalb müssen wir alle Mittel mobilisieren. Ich bin Präsident Obama, den Führern der westeuropäischen Staaten wie Frankreich und Großbritannien sowie Australien dankbar, die großen Willen zeigen, ihre Mittel zur Verfügung zu stellen. Und ich bin den vielen anderen Ländern dankbar, die ebenfalls wirklich gewillt sind, dies zu tun. Geschieht das nicht, dann habe ich die Befürchtung, dass diese terroristische Gefahr sich auf der ganzen Welt ausbreitet.

euronews:
Wären Sie als der Diplomat der Diplomaten bereit, mit dem Islamischen Staat zu verhandeln?

Ban:
Wir haben die Grausamkeit, die Tragik, das nicht zu akzeptierende und entsetzliche Verhalten, die Brutalität gesehen. Darüber müssen wir zuerst sprechen. Wir müssen den starken Willen der internationalen Gemeinschaft zeigen, dass wir diese terroristische Gefahr niemals zulassen werden.

euronews:
Die Strategie ist sehr kompliziert, wenn man es mit einer Gruppe wie IS zu tun hat. Fühlen Sie sich wohl dabei, dass eine Koalition im Irak eine militärische Mission ohne UN-Mandat ausführt?

Ban:
Im Prinzip sind die militärischen Mittel nicht die einzigen. Sehen Sie die vier langen Jahre der Krise, der Tragödie in Syrien. Diese syrische Tragödie war die perfekte Brutstätte für den Terrorismus, dort seine Saat zu streuen. Das ist eine sehr gefährliche Situation, und wir erwarten von den führenden Politikern weltweit, dass sie auf die Menschen zugehen und dass sie hören, was die Menschen sagen. Welche sind ihre Herausforderungen, ihre Sorgen und ihre Hoffnungen?

euronews:
Aber können Sie die Bombardierungen im Irak, die von den USA und Frankreich durchgeführt werden, gutheißen?

Ban:
Ich habe die US-Militäroperationen im Irak gutgeheißen, die von der irakischen Regierung angefordert wurden. Die habe ich gutgeheißen. Natürlich brauchen wir Solidarität all der Länder, die die Mittel und den Willen haben, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Denn dies ist eine Gefahr für die gesamte Menschheit.

euronews:
Was ist mit Syrien? Wie geht man mit Syrien um? Denn die Strategie ist dort alles andere als klar. Ich zitiere den russischen Außenminister Sergej Lawrow, der sagte: “Syrien und Iran sind in diesem Kampf unsere logischen Verbündeten.” Ein Punkt für ihn. Stimmen Sie ihm zu?

Ban:
Es ist ermutigend zu sehen, dass es innerhalb der internationalen Gemeinschaft wachsende Übereinstimmung gibt, dass man sich mit diesem Terrorismus beschäftigen muss…

euronews:
Aber sollten Syrien und Iran mehr eingebunden werden?

Ban:
Die Mitglieder des Sicherheitsrates sind aktiv eingebunden, wenn es darum geht, über Optionen zu diskutieren. Verschiedene Optionen, wie man damit umgeht und auch wie man in Syrien handeln kann…

euronews:
Aber eine Resolution wäre im Sicherheitsrat praktisch unmöglich…

Ban:
Unter dem Vorsitz von Präsident Obama wird sich der Sicherheitsrat mit Themen wie ausländischen Kämpfern und Terrorismus beschäftigen. Ich hoffe, dass man sich im Sicherheitsrat einig sein und eine gute Lösung finden wird.

euronews:
Glauben Sie, dass der syrische Präsident Baschar al-Assad in diesem Kampf ein Verbündeter werden könnte?

Ban:
Die momentane Situation ist die Konsequenz der syrischen Situation. Es geht nicht um den Grund. Und er sollte alles dafür tun, dem Terrorismus entgegenzutreten. Dann gäbe es eine wachsende Koalition in der internationalen Gemeinschaft.

euronews:
Könnte er Teil dieser Koalition sein?

Ban:
Das muss man sehen und kommt auf die Möglichkeiten an, die erarbeitet werden.

euronews:
Die Art der Kriegsführung scheint sich in moralischer Hinsicht zu verschlimmern. Es gibt Enthauptungen, immer öfter werden auch Kinder ins Visier genommen. Nicht nur im Irak, sondern auch in Syrien und vor Kurzem im Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern, die sich von Ihnen wünschten, dass sie Ihre moralische Empörung ausdrücken. Ändert sich die Kriegsführung? Ist dies das Gesicht der modernen Kriegsführung?

Ban:
Es gibt moralische Empörung, und wir haben eine gemeinsame Menschenrechtserklärung. Es ist nicht so, dass wir keine Richtlinien und Prinzipien hätten. Es sind die Menschen, die diese nicht respektieren. Es sei denn, die internationale Gemeinschaft ist sich völlig einig. Führende Vertreter von Religion, Politik und Gesellschaft sollten sich miteinander austauschen, so dass es einen ganz klaren Appell aller Menschen auf der Welt gibt, sich daran zu halten.

euronews:
Aber Ideologie ist so mächtig. Kurz zurück zu Syrien und zum Islamischen Staat. Die Ideologie ist so mächtig, dass sich junge Menschen dieser Gruppe in Scharen anschließen. Sie hören diesen Appell nicht. Was setzen Sie dem entgegen?

Ban:
Diese Art von Ideologie oder mancher Glaube, der den Glauben anderer Menschen bestimmt, machen mir Sorgen. Das ist völlig inakzeptabel. Wir können das nicht von einem Tag auf den anderen ausrotten, deshalb müssen wir für beständige Bedingungen sorgen. Wir erwarten von den politisch Mächtigen, dass sie mehr einbeziehend führen, dass sie auf das hören, was die Menschen sagen, dass sie potentielle Konfliktherde ausschalten und Leid von Menschen verhindern. Das ist sehr wichtig, und deshalb sage ich das immer wieder klar und deutlich: Hören Sie den Menschen zu! Weil das nicht geschieht, gibt es so viele äußere und innere Konflikte.

euronews:
Ich habe den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern schon kurz angesprochen. Beide Seiten scheinen mehr zu polarisieren als je zuvor. Glauben Sie, dass innerhalb Ihrer Amtszeit, die im Dezember 2016 endet, ein Friedensabkommen möglich ist?

Ban:
Es ist ermutigend, dass die Waffenruhe weitgehend hält. Aber sie ist sehr zerbrechlich. Deshalb arbeiten wir ohne Unterlass, indem wir mit den führenden Köpfen auf allen Seiten sprechen. Sie haben die grundlegenden Probleme und die Wurzeln dieser Probleme erkannt. Wenn sie das Übel nicht an der Wurzel packen, dürfte die Waffenruhe nur vorübergehend bestehen und es zu neuer Gewalt kommen.

euronews:
Das passiert alle zwei, drei Jahre…

Ban:
Das ist sehr traurig. Deshalb habe ich die führenden Köpfe beider Seiten gedrängt, sich zusammenzusetzen – und sie haben alle Probleme bereits erkannt. Es geht um Flexibilität und Verständnis – mit der Vision einer besseren Zukunft.

euronews:
Sind Sie da optimistisch?

Ban:
Ich arbeite immer mit Optimismus. Als Generalsekretär muss ich ständig Botschaften der Hoffnung und des Optimismus senden. Natürlich sind wir bereit, Gaza wieder aufzubauen…

euronews:
Der Wiederaufbau ist nicht das eigentliche Problem.

Ban:
Wenn der Wiederaufbau ohne das solide Fundament einer politischen Lösung vollzogen wird, ist er sinnlos, wie wir gesehen haben. 2009 gab es eine Reihe von Störungen, und wir haben wiederaufgebaut. 2012 wurde alles wieder zerstört. Es wurde wieder und wieder zerstört. Deshalb sage ich, dass wir so nicht weitermachen können. Aufbauen, zerstören, aufbauen, zerstören… Diesmal sollte es das letzte Mal sein, dass wir aufbauen. Wir sind bereit aufzubauen, aber es muss eine politische Lösung her.

euronews:
Und diese Lösung muss auf der Ebene des UN-Sicherheitsrates gefunden werden. Es muss für Sie äußerst frustrierend sein, dass die fünf Veto-Länder ihr Vetorecht oft zum eigenen Nutzen gebrauchen. Wir haben diese Frage von Kary Ma bekommen: “Haben die Vereinten Nationen eine Stimme, die den fünf UN-Vetomächten widerspricht?”

Ban:
Natürlich. Die Vereinten Nationen sind da sehr engagiert. Es waren US-Außenminister John Kerry und ich sowie Schlüsselländer wie Ägypten und andere, die deutlich versucht haben zu helfen, die Gewalt zu beenden und einen Waffenstillstand zu erreichen. All das sollte in einem politischen Dialog behandelt werden.

euronews:
Das muss sehr frustrierend sein.

Ban:
Zweifellos ist es frustrierend. Aber es ist ermutigend, dass die Mitglieder des Sicherheitsrates über eine Resolution diskutieren, um erstens den Wiederaufbau Gazas zu unterstützen und zudem eine wirkungsvolle Überwachung und Überprüfung des Waffenstillstandes sicherzustellen.

euronews:
Wir müssen noch über andere Themen sprechen, und ich komme kurz zur Lage in der Ukraine. In der Ukraine gibt es ein provisorisches Friedensabkommen und ich betonte das Wort provisorisches Friedensabkommen. Sind Sie mit der dortigen Situation zufrieden?

Ban:
Es ermutigt mich, dass die Waffenruhe auf der Grundlage der Abkommen von Minsk weitgehend hält, obwohl es sporadisch wieder Gewaltausbrüche gab. Und es wurde humanitäre Hilfe geleistet. Die Vereinten Nationen waren von Anfang an darum bemüht, die ukrainischen und russischen Entscheidungsträger an einen Tisch zu bringen. Es ermutigt mich, dass sie miteinander sprechen, ich habe sie immer wieder ermuntert, das zu tun.

euronews:
Ist der Verlust der Krim der Preis des Friedens? Glauben Sie, dass die Ukraine die Krim zurückerhält?

Ban:
Ich habe unsere Sichtweise bereits ziemlich deutlich gemacht – nämlich, dass die territoriale Einheit und Souveränität von Ländern gemäß der Charta der Vereinten Nationen in Gänze respektiert werden sollte. Ich fordere die politischen Entscheidungsträger der Ukraine und Russland erneut dazu auf, sich zusammenzusetzen und über dieses Thema zu sprechen. Frieden und Sicherheit – nicht nur in der Ukraine, sondern in der Region – haben viel größere Auswirkungen als nur regionale und nationale. Sie haben weltweite Auswirkungen, sie können die politische Sicherheit beeinflussen, aber auch die Weltwirtschaft.

euronews:
Ein anderes Thema, das die Weltwirtschaft beeinflussen kann und das Ihnen sehr am Herzen liegt, ist der Klimawandel. Sie haben das Thema als das entscheidende unserer Zeit beschrieben. Immer wieder hören wir, dass es jetzt um Alles oder Nichts geht, dass jetzt gehandelt werden muss. Enea Egoli fragt: “Herr Generalsekretär, können wir den Klimawandel noch aufhalten?”

Ban:
Können wir, wenn wir jetzt handeln. Dieser Gipfel ist fast die letzte Möglichkeit für die politisch Mächtigen dieser Welt, für Wirtschaftsbosse und führende Vertreter der Gesellschaft, sich anzuschließen und zu verpflichten. Zuallererst den weltweiten Temperaturanstieg unter zwei Grad zu halten und den Ausstoß von Abgasen entsprechend unserer Maßgaben zu beschränken. Dann geht es darum, die Finanzwelt zu mobilisieren, dabei zu helfen, den Ausstoß in Entwicklungsländern zu begrenzen, die dazu nicht die Möglichkeit haben. Jeder sollte an Bord sein.

euronews:
Jeder sollte an Bord sein und diesen Gipfel auf die Beine gestellt zu haben, ist ein großer Erfolg. Aber Sie müssen enttäuscht sein, dass die wichtigsten Entscheidungsträger aus Indien, China und Russland nicht dabei sind.

Ban:
Ich habe dieses Thema ausführlich mit den Chinesen und Indern besprochen. Aufgrund der zahlreichen Termine in ihrer Heimat sind sie nicht in der Lage, persönlich hier zu sein. China ist aber durch einen hochrangigen Entscheidungsträger vertreten, die Nummer drei der politischen Hierarchie.

euronews:
Aber das sendet die falsche Botschaft.

Ban:
Der indische Premierminister kommt, nimmt aber nicht am Gipfel teil, er kommt am 27. und spricht vor der Vollversammlung. Ich erwarte, dass er sich für die indische Regierung zu ehrgeizigeren Zielen bekennt.

euronews:
Manchmal muss Ihnen zum Heulen zumute sein, denn es war ein großer Kampf dort hinzukommen, wo Sie jetzt sind, aber es sind noch einige Hürden zu überwinden.

Ban:
Natürlich, es sind noch einige Hürden zu überqueren, aber die Zeit ist begrenzt. Mich ermutigt die große Anzahl von Staats- und Regierungschefs, die teilnimmt, mehr als 125. Dazu Dutzende Außenminister, Umweltminister. Das ist das bisher größte Treffen. Der Klimamarsch in New York mit Hunderttausenden…

euronews:
…und das gab es noch nie, dass Sie beim Marsch dabei sind…

Ban:
Es ist das erste Mal, dass der UN-Generalsekretär an diesem Marsch mit vielen Hunderttausenden teilnimmt und eine kräftige Botschaft sendet.

euronews:
Welches ist Ihre Kernbotschaft? Sie haben das Megafon in der Hand: Welches ist Ihre Botschaft, wenn Sie durch die Straßen New Yorks gehen?

Ban:
Handelt jetzt! Wenn wir das jetzt nicht tun, müssen wir das teuer bezahlen. Dies ist unsere Welt, und der Planet Erde brennt. Im Namen des Wohlstandes müssen wir den Planeten in Sachen Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft nachfolgenden Generationen gut übergeben. Dies ist unsere Welt – und die Welt der nachfolgenden Generationen. Wir haben eine moralische und politische Verantwortung.

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