Ist das katalanische Referendum rechtmäßig?

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Von Euronews
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Die Katalanen sollen am 9. November über ihre Unabhängigkeit abstimmen – geht es nach dem Willen der katalanischen Regionalregierung. Deren Ministerpräsident Artur Más unterzeichnete am Samstag ein entsprechendes Dekret. Die Tinte war noch nicht getrocknet, als die spanische Regierung eine Verfassungsklage in die Wege leitete. Der juristische Schlagabtausch ist vorprogrammiert.

Der katalanische Regierungschef Artur Más begründet, “Katalonien will über seine politische Zukunft friedlich und demokratisch abstimmen lassen. In einer Demokratie muss man den Herausforderungen mit noch größerer Demokratie begegnen. Niemand sollte Angst vor dem Ausgang einer Volksbefragung haben. Wir haben das Mandat einer großen Mehrheit der Katalanen, die uns im vergangenen Herbst gewählt hat. Katalonien will seine Meinung aussprechen, gehört werden und abstimmen.”

Eine große Uhr im Zentrum Barcelonas zeigt die Tage, Stunden und Minuten bis zum Referendum an. 8000 Wahlurnen wurden bestellt. Bei der Volksbefragung in der Region sollen zwei Fragen gestellt werden: Sind Sie einverstanden, dass Katalonien ein Staat wird? Falls ja, soll er unabhängig sein?

Ja, meinen wohl die geschätzten 1,8 Millionen Menschen, die beim letzten katalanischen Nationalfeiertag auf die Straße gegangen sind – von insgesamt 7,6 Millionen Menschen, die in Katalonien leben.

Die Fronten sind verhärtert. Rajoy bleibt bei seinem Nein. Doch auch die Separatistenbewegung gibt nicht nach. Findet das Referendum nicht statt, könnte das zu vorgezogenen Neuwahlen in Katalonien führen.
Viele Menschen dort fühlen sich finanziell benachteiligt. Im Vergleich zu allen anderen Regionen hat Katalonien die größte Wirtschaftskraft. Doch wenn es um die Staatsausgaben geht, sehen sich die Katalanen finanziell benachteiligt.

Zur rechtlichen Lage folgt nun das Interview mit Francesc de Carreras in Madrid. Er ist Experte für Verwaltungsrecht und politischer Analyst der Tageszeitungen “La Vanguardia” und “El Pais”.

Vicenc Batalla, euronews:
Kann die Klage der spanischen Regierung vor dem Verfassungsgericht das Referendum am 9. November in Katalonien aufhalten?

Francesc de Carreras, Experte für Verwaltungsrecht:
Die Verfassungsklage, wie sie gemäß Artikel 161-2 der Verfassung vorgesehen ist, stoppt die Abhaltung des Referendums, ohne dass das Gericht anders handeln könnte. Von rechtlicher Seite her ist es unmöglich, das Referendum am 9. November abzuhalten. Nichtsdestotrotz könnte eine Pseudo-Abstimmung stattfinden. Es sieht so aus, als ob die Unabhängigkeitsparteien genau das planen.

euronews:
Kann Regierungschef Mariano Rajoy den katalanischen Ministerpräsidenten Artur Más absetzen und den Autonomiestatus aufheben?

Batalla:
Nein, Ministerpräsident Rajoy kann Artur Más nicht des Amtes entheben oder die Autonomie aufheben. Zunächst würde eine Aufhebung der Autonomie bedeuten, dass man die Handlungen der autonomen Regierung und des katalonischen Parlaments für ungültig erklärt. Aber das ist nicht verfassungsgemäß. Das Aberkennen der Rechte des Ministerpräsidenten ist eine Sanktion des Strafgesetzbuches, die nur ein Richter anordnen kann. In jedem Fall kann der Ministerpräsident ihn beim Staatsanwalt anzeigen, er könnte vor den Richter treten und Klage erheben. Und dieser Richter entscheidet dann über das Strafmaß oder eine mögliche Absetzung.

euronews:
Warum ist es nicht möglich, ein Referendum in Spanien abzuhalten wie es Québec oder Schottland vor zwei Wochen getan hat? Sieht das die spanische Verfassung nicht vor?

Batalla:
Jeder Staat hat seine eigenen Gesetze. In Spanien gibt es nur Volksabstimmungen, um Verfassungsreformen abzusegnen. Sie stehen am Ende eines gesetzgebenden Prozesses.
Derzeit gibt es nur eine Art konsultatives Referendum auf Staatsebene, das vom Ministerpräsidenten mit der Mehrheit der Kammern vorgeschlagen wird, und das nur in Situation von größter politischer Wichtigkeit.
In Katalonien gibt es Zweifel an der Auslegung der Verfassung: Das heißt, ob ein solches Referendum allen spanischen oder nur den katalanischen Bürgern zur Abstimmung vorgelegt werden muss.
Wenn sie ein Referendum in Katalonien abhalten, wird es wohl ähnlich wie in Québec ablaufen, dann könnten Verhandlungen zwischen der Regierung in Madrid und Katalonien beginnen, um zu sehen, welchen Ausgang die Angelegenheit nehmen könnte.

euronews:
Mit welcher Reaktion der Katalanen ist zu rechnen, wenn kein Referendum stattfindet?

Batalla:
Die Mehrheit der Katalanen will sich zum Thema äußern, sie will abstimmen gehen. Es gibt eine Minderheit, die die Unabhängigkeit will.
Bisher hat man keine richtig tiefgehende Debatte über die Konsequenzen geführt: Also welche Folgen eine Unabhängigkeit für die Katalanen hat – sei es, was die EU betrifft, wie es ist, ein Staat zu sein oder was die Wirtschaft betrifft. Über all das hat man bisher keine Debatte geführt, weil die katalanischen Medien monopolisiert oder von Nationalisten beeinflusst werden.

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