Iraks Christen leben in doppelter Angst

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Von Euronews
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Seit Anfang Oktober sind die katholischen Kirchen von Lyon und von Mossul durch eine Partnerschaft verbunden. Ein Festakt, den 800 Menschen im Garten des französischen Erzbischofs Kardinal Barbarin feierten. Neben religiösen Persönlichkeiten war unter den Gästen auch der Patriarch der chaldäisch-katholischen Kirche Louis-Raphaël Sako I..
Im Nordirak lebt neben der muslimischen Mehrheit auch die christliche Minderheit in ständiger Angst vor ISIL.

Eine irakische Frau meint, “meine Schwestern und ihre Kinder sind aus dem Dorf Batala vertrieben worden, sie lebten einen Monat lang auf der Straße und schliefen auf dem Gehweg. Bis zu dem Moment, als sie nach Kirkuk kamen.”

Das Essen wurde von der irakischen Gemeinde in Lyon zubereitet, als Unterstützung für die Christen der Ostkirche.

Der Präsident der irakischen Bruderschaft Faraj-Benoît Camurat erinnert sich, “als wir im größten Lager in Erbil ankamen, gab es für 700 Familien nur vier Duschen. Wir haben schnell versucht, weitere Duschen zu bauen, weil es schon Hautkrankheiten wie Krätze gab, die sich ausbreiteten. Es ist ein Akt der Menschlichkeit, dass man sicher stellt, dass die Menschen den Winter nicht bei Null Grad im Zelt verbringen. Mit Regenfällen, die alles überschwemmen.”

Mitglieder der katholischen Kirche versuchen, irakischen Flüchtlingen bei ihrer Ankunft in Frankreich unter die Arme zu greifen.

Der chaldäisch-katholische Priester der Lyoner Gemeinde Muhannad Al-Tawil erklärt, “sie waren traurig, weil sie alles zurücklassen mussten, und weil sie alles auf einmal verloren haben. Aber auch, weil sie sich von ihren Nachbarn verraten fühlten, die sie stigmatisierten, weil sie Christen sind. Als sie ankamen, standen sie unter Schock. Sie hatten nichts mehr, sie hatten große Angst und ihr einziges Ziel war, hier Ruhe und Frieden zu finden. Nun müssen sie die Aufenthaltsformalitäten regeln, was sich als großer Aufwand entpuppt. Mir erscheint es, als ob sie vom Regen in die Traufe kommen. Von der Gefahr, die sie hinter sich gelassen haben zu den bürokratischen Hürden. Es ist ein Teufelskreis.”

Um die Lage im Irak zu verbessern, hat die katholische Kirche von Lyon an dem Abend auch Hilfsmaßnahmen feierlich besiegelt.

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euronews befragte das Oberhaupt der chaldäisch-katholischen Kirche Louis-Raphaël Sako I. zum Schicksal der Christen im Irak.

Louis Raphaël Sako I., Oberhaupt der christlich-assyrischen katholischen Kirche:
“Ich lebe dort und ich sehe, wie die Menschen leiden, ich sehe ihre Ängste und ihre Hoffnungen. Man muss der Öffentlichkeit erklären, was die Christen vor Ort durchmachen – nicht nur die Christen, auch die anderen Minderheiten. Ihre Existenz ist wichtig – für die Menschen dort und die ganze Welt. Sie sind wie ein Baustein, man muss ihn erhalten.”

Raphaelle Djebardi, euronews:
“Den Vereinten Nationen zufolge gibt es im Irak derzeit die volle Bandbreite an Menschenrechtsverletzungen. Stimmen Sie dem zu?”

Louis Raphaël Sako I.:
“Ja, vollkommen. Es gibt keine Ordnung. Die irakische Armee kontrolliert weniger als die Hälfte des Landes. Es ist keine professionelle Armee, noch nicht mal in Bagdad. Nicht nur die Christen haben Probleme mit Milizen. Es gibt Entführungen und andere Bedrohungen. Man muss der irakischen Regierung weiterhelfen und eine professionelle irakische Armee aufbauen, damit diese alle Bürger schützen kann.”

euronews:
“Barack Obama sagt, es braucht mindestens drei Jahre, um den Konflikt im Irak und in Syrien zu regeln. Ist es Ihrer Meinung nach wichtig, sich auf ein Datum festzulegen?”

Louis Raphaël Sako I.:
“Die Äußerungen von Politikern müssen ausgewogen sein und dürfen keinen Zündstoff bergen. Zuerst sagte er, die USA sowie der US-Geheimdienst hätten keine Ahnung von der Macht und dem Gewicht der ISIL gehabt. Sie haben doch Satelliten, sie kontrollieren mehr oder weniger alles! Dann spricht er von diesen drei Jahren. Das ist aber eine doppeldeutige, eine falsche Botschaft. Die IS-Milizen denken, sie haben nun drei Jahre, in denen sie sich neu organisieren, in denen sie neue Anhänger rekrutieren, in denen sie weiteres Öl verkaufen können. Das Signal an die Vertriebenen lautet: Ihr müsst euch irgendwie durchschlagen, ihr könnt noch nicht nach Hause zurückkehren, weder jetzt noch in naher Zukunft. Es werden mehr Menschen weggehen, sie sind verzweifelt. Sie haben keine Geduld mehr. Es ist besser, nichts zu sagen und weitere Luftangriffe zu fliegen, als eine Zeitangabe zu machen. Denn das entmutigt die Bevölkerung nur und gibt ISIL Rückenwind.”

euronews:
Sie haben gesagt, Sie sind für den Einsatz von Bodentruppen. Ist das Ihrer Meinung nach die Lösung?

Louis Raphaël Sako I.:
“Angesichts solcher Milizen hilft nur eine militärische Streitmacht. Es reichen also nicht nur Bombardierungen, sondern es werden auch Bodentruppen als Unterstützung fü die irakische oder kurdische Armee gebraucht.”

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