Preise für Autoren, die vom Krieg erzählen: "Gewalt darf uns nicht stumm machen"

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Von Kirsten Ripper
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“Vom Krieg erzählen”, das ist in diesem Jahr das Motto der Herbsttagung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt – und Autoren, die dies besonders gekonnt tun, werden 2014 geehrt.

“Gewalt darf uns nicht stumm vor Angst, wehrlos von Entsetzen werden lassen, Gewalt darf uns nicht so bannen, dass sie uns ihre Logik diktiert.” Das sagt die Publizistin Carolin Emcke, und sie analysiert vor dem im Staatstheater Darmstadt versammelten Publikum Szene um Szene das Video der Hinrichtung des Journalisten James Foley, das die IS-Dschihadisten ins Internet gestellt haben. Carolin Emcke ruft nicht dazu auf, das Video anzuschauen, aber sie möchte, dass sich die, die ihr zuhören, dort hin-denken. Emcke sagt, “nur, wenn wir Gewalt rekonstruieren, Moment für Moment, nur dann wird sie sichtbar als etwas Gewordenes, etwas von Menschen Gemachtes. Und nur dann ist sie auch als Vermeidbare beschreibbar. Nur dann lassen sich auch all die Momente aufzeigen, an denen jemand hatte Nein sagen und aussteigen können.”

Die 1967 geborene Journalistin Carolin Emcke erhält den Johann-Heinrich-Merck-Preis für literarische Kritik und Essay. Jahrelang bis 2006 war sie als Auslandsreporterin für den SPIEGEL in Afghanistan, Irak, Pakistan, Kosovo, Kolumbien…

Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung lobt Emckes Reportagen und Essays als “frei von Sensationslust und getragen von dem Bemühen, den Sprachlosen Gehör zu verschaffen.”
Carolin Emcke hat aus vielen Konfliktgebieten berichtet – so aus Gaza. Und in ihren Texten spürt der Leser auch die jetzt gelobte Empathie, wenn sie in einer Reportage für DIE ZEIT im von der Welt abgeschnittenen Gazastreifen einen jungen Mann, dessen Mutter sie in Ramallah getroffen hat, umarmen soll, weil die beiden sich seit Jahren nicht treffen können. Aber im von der islamistischen Hamas regierten Gaza kann eine Reporterin nicht einfach so auf der Straße einen Mann umarmen: “Da braucht es sie schon wieder: die Lüge, die keine Lüge ist, die Geste, die aus Not geboren wird, die Phantasie, die es zu schützen gilt in Gegenden wie diesen. Unter den Augen der erstaunten Passanten auf der Straße umarmt sich schließlich, in einem Reigen, wer sich umarmen darf, und reicht es weiter: also die Reporterin, die die Mutter umarmt hatte, den Photographen, und der Photograph anschließend den Sohn. Mustafa strahlt.”

Der wichtigste Preis für deutschsprachige Literatur geht an den schon 82-jährigen Jürgen Becker, der vor allem für seine Lyrik bekannt ist und auch experimentelle Texte geschrieben hat, die zwar beeindruckende Sprachwelten schaffen, dem allgemeinen Publikum jedoch unzugänglich bleiben werden. In der Begründung für die Auszeichnung Beckers heißt es: “Seine Gedichte leben aus einer sensiblen, sinnlichen, neugierigen Weltzugewandtheit und einer vollendeten, dabei ganz unaufdringlichen Sprachkunst. Bei aller bildlichen Brillanz und aller Lust am leuchtenden Detail der umgebenden Natur erkunden sie stets eine von den Spuren der Geschichte und ihren Katastrophen gezeichnete Landschaft.”

Auch in Jürgen Beckers Prosa hinterlässt oft der Krieg die bleibendsten Eindrücke. So schreibt er in “Aus der Geschichte der Trennungen”, wie Jörn zum Ende des Zweiten Weltkriegs mit dem Dackel im Keller sitzt: “Er dachte nur an die Brüder seiner Mutter, die um den gefallenen Hans und den verschollenen Erich trauerte: er dachte an seinen einarmigen Offiziersfreund, an Rosis gefallenen Vater und das tote Mädchen in der Gartenstraße, und wenn er, wie alle die Erwachsenen immer geglaubt hatte, die Toten müßten sein, damit wir weiterlebten, dann war dieses Glauben jetzt weg, ganz plötzlich, wie eine ausgeblasene Flamme. Er sah vor sich hin, und es kam ihm vor, als schaute er in Dunkles und Leeres, in dem etwas herandämmerte, so etwas wie ein Wissen, daß der Kampf vorbei und der Krieg wirklich verloren war, und daß sein bebendes Miterleben in all den Jahren umsonst, vielleicht ganz falsch gewesen war. Er wußte es nicht so genau wie später, aber er begann zu spüren, daß alles nicht gestimmt hatte, was von den Erwachsenen gesagt und von ihm geglaubt worden war…”

In Beckers Werken spiegelt sich sein Leben: die Kindheit im Krieg, wechselnde Orte immer wieder eindringlich beschrieben.

Die Neue Zürcher Zeitung beschreibt Jürgen Beckers Werk als “Journal der Wiederholungen” und ihn als Schriftsteller, der sein Thema von Beginn an hatte, aber nie müde geworden ist, seine Mittel zu verfeinern.
Am Ende seiner Dankesrede für den Büchnerpreis in Darmstadt sagt Jürgen Becker, der dezidiert die alte Rechtschreibung gebraucht und sich auch fragt, ob er für den Preis schon zu alt sei: “Meine Skrupel hindern mich nicht länger daran, daß mich die Auszeichnung freut. (…) ich begreife sie als Aufforderung, nicht stehen zu bleiben.”

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