Die Botschaft von Washington an Kiew: eine große Chance für Reformen

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Von Euronews
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Der US-Präsident hat die Wahlen in der Ukraine gelobt. Barack Obama nannte sie einen “Meilenstein” in der demokratischen Entwicklung des Landes. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) bestätigte einen freien und fairen Ablauf der Wahlen. Der Urnenausgang: ein überwältigendes proeuropäisches Votum. Und ein Vertrauensbeweis für die Arbeit von Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk.

Auch Staatspräsident Petro Poroschenko genießt den Sieg. Er überraschte alle bei einem Blitzbesuch eines Wahllokals in der Ostukraine. Diese Wahlbestätigung sollte ihm helfen, seinen Friedensplan zu verfolgen und das Land aus dem russischen Einfluss zu lösen, der traditionell das Land beherrschte. Russlands Chefdiplomat Sergei Lawrow erkannte das Wahlergebnis am Montag an: “Ich bin sicher, es gibt Ansprechpartner für uns im ukrainischen Parlament und in der Regierung, vor allem weil die führende Kraft im Parlament der Block von Petro Poroschenko ist. Er ist unser Partner, Partner unseres Präsidenten beim Minsker Friedensabkommen zwischen der Kiewer Regierung und den Rebellen von Luhansk und Donezk. Wie Sie wissen, wurde dieser Friedensplan mithilfe Russlands und der OSZE erreicht.”

Aber der Silberstreif am Horizont ist getrübt: Rund drei Millionen Wähler in den von den Rebellen kontrollierten Regionen der Ukraine waren von den Parlamentswahlen am Sonntag ausgeschlossen. Die Separatisten im Osten wollen am 2. November eigene Wahlen abhalten. Moskau hat verlauten lassen, diese Abstimmung im Gegensatz zu Kiew und dem Westen anzuerkennen.

In Washington sprach euronews mit dem ehemaligen US-Botschafter in der Ukraine Steven Pifer über die Parlamentswahlen in der Ukraine.

Euronews-Reporter Stefan Grobe: “Bei mir in der Denkfabrik Brooking Institution ist jetzt der ehemalige US-Botschafter in der Ukraine Steven Pifer. Botschafter Pifer lassen Sie uns über die wichtigsten Folgen dieser Wahlen sprechen: ein durchschlagender Erfolg für die pro-europäischen Parteien. Gleichzeitig steht das prorussische Lager kurz vor dem Aus. Waren das die Ergebnisse, die sich Washington erhoffte?”

Steven Pifer: “Washington hat sich einiges erhofft, und es gibt zwei gute Nachrichten von diesen Wahlen: Eine ist der Wahlprozess. Laut OSZE- und anderen internationalen Wahlbeobachtern ist die Wahl demokratisch abgelaufen. Das war unsere erste Hoffnung, dass diese Wahl demokratisch abläuft, dass die Ergebnisse legitim sind und den Willen der Bevölkerung widerspiegeln. Also gute Nachrichten in dieser Hinsicht. Und dann die Tatsache, dass eine Mehrheit der Sitze von Pro-Reform- und pro-europäischen Parteien besetzt werden. In Washington wird das als die logische Ausrichtung der Ukraine angesehen. Dass es jetzt diese potenzielle Konstellation im Parlament gibt, ist ein gutes Zeichen.”

Euronews: “Die neue Regierung steht vor großen Herausforderungen. Und Moskau ist natürlich nicht bereit, zu akzeptieren, dass die Ukraine engere politische und wirtschaftliche Beziehungen zu Europa knüpfen will. Wird die Haltung Moskaus gegenüber der Ukraine härter und aggressiver werden?”

Steven Pifer: “Was wir bisher gesehen haben, deutet nicht daraufhin hin, dass die Russen bereit sind, eine Einigung bezüglich der Ostukraine zu erleichtern. Und dann gibt es natürlich das längerfristige Problem mit der Krim, das strittig ist. Die Russen sind mit dem Wahlergebnis vom Sonntag wohl nicht glücklich, auch wenn Außenminister Sergej Lawrow am Montag erklärte, dass Russland die Ergebnisse anerkennt. Aber wenn Sie sich anschauen, was passiert ist, gibt es nur eine Partei, den “Oppositions-Block”, der geringe pro-russische Sympathien aufweist. Dass es im neuen Parlament so wenige Parteien gibt, die mit Russland sympathisieren, ist wirklich Russlands Schuld. Zunächst einmal hat die Aggression gegen die Ukraine eine nationale Identität in der Ukraine befördert, das Land orientiert sich eher in Richtung Europa. Und zweitens, die Unmöglichkeit auf der Krim, in Donezk und Luhansk zur Urne zu gehen. Das sind Regionen, in denen die Wähler traditionell pro-russisch abstimmen. Russland hat also die prorussische Abstimmung unterdrückt, weil es die Menschen nicht hat wählen lassen. So bekamen sie das Ergebnis, dass es nur eine Partei gibt, die Verständnis für die russische Politik aufbringt.”

Euronews: “Kann das Pendel zurückschwingen, wenn die neue Regierung nicht in der Lage ist, Arbeitsplätze zu schaffen sowie Inflation und Korruption nicht bekämpfen kann?”

Steven Pifer: “Diese Möglichkeit gibt es. Obwohl, es scheint mir, dass Menschen wie Pedro Poroschenko oder der Präsident Arsenij Jazenjuk verstanden haben, dass die Ukraine diese eine große Chance hat. Würde man sie verpassen, wäre das sehr destruktiv für die Ukraine und es würde das Land für Jahre, wenn nicht für Jahrzehnte zurückwerfen.”

Euronews: “Sie kennen das Land sehr gut, sie waren US-Botschafter in der Ukraine. Wenn Sie den Posten heute hätten, was würden Sie Präsident Obama raten?”

Steven Pifer: “Ich denke, Amerika und auch Europa müssen jetzt eine politische Botschaft an die Ukraine schicken. Sie haben eine bestmögliche Konstellation bezüglich des Aufbaus einer Mehrheitskoalition im Parlament, vielleicht sogar groß genug, um Verfassungsänderungen zu beschließen. Und einige der Dinge, die sie vorhaben, verlangen eine Verfassungsänderung, wie beispielsweise die Dezentralisierung der Macht, was sie machen müssen, wenn sie die Amtsgewalt von Kiew in die Regionen verlagern wollen. Es gibt diese Mehrheitskoalition, einen Premierminister und den Präsidenten, die zusammenarbeiten können. Das ist die beste Gelegenheit für die Ukraine, wenn auch unter sehr schwierigen Umständen. Meiner Meinung nach muss die Botschaft aus dem Westen sein: Jetzt wirklich ernsthaft mit Reformen anfangen, die die Werte abbilden, die in den vergangenen sechs oder sieben Monaten artikuliert wurden, und diese Dinge real werden lassen.”

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