Russland: Der Kreml und der Mauerfall

Russland: Der Kreml und der Mauerfall
Von Andrei Belkevich
Diesen Artikel teilenKommentare
Diesen Artikel teilenClose Button
WERBUNG

“Mr. Gorbachev, open this gate.” Es sind Worte, die in die Geschichte eingingen. 1987 hielt US-Präsident Ronald Reagen seine berühmte Rede vor dem Brandenburger Tor in Berlin – zwei Jahre später sollte die Berliner Mauer Geschichte sein.

Pawel Palatschenko dolmetschte bei vielen Gesprächen von Michail Gorbatschow und Reagen.
Ironie der Geschichte: Beide konnten sich später nicht an Reagens Sätze erinnern, so Palatschenko.

“Sicherlich, es war ein glänzender Auftritt”, so der Dolmetscher. “Aber in Moskau wurde er als theatralische Geste angesehen. Gorbatschow sagte später, wenn er danach gefragt wurde: ‘Wir wussten ja, dass Präsident Reagens eigentlich Beruf ja Schauspieler war.’ Denn es war klar, dass Gorbatschow die Mauer nicht einreißen konnte. Und als die Mauer fiel, geschah das durch den Willen der Deutschen und weil die sich dafür entschieden hatten.”

Ein Stück der Berliner Mauer steht auch heute noch im Büro des früheren sowjetischen Präsidenten – mittlerweile selbstverständlich. Doch vor 25 Jahren hätten sich weder Gorbatschow noch der deutsche Kanzler Helmut Kohl eine so schnelle Wiedervereinigung Deutschlands vorstellen können. Großbritannien und Frankreich machten sich durchaus Sorgen.

“Thatcher war sehr besorgt, das kann ich mit Sicherheit sagen”, so Palatschenko. “Ich sah sie in den Monaten und Jahren. Und ich sage ihnen noch etwas: Sie war sogar über die Umbrüche in Mittel Europa besorgt. Eine paradoxe Situation. Denn was da geschah, das waren kapitalistische Revolutionen. Und wenn es einen Verfechter des echten, unregulierten Kapitalismus gab, dann war das Thatcher. Aber sie sehnte sich auch nach Stabilität. Mitterand sah das ähnlich. Er unterstütze uns aktiv in unserem Wunsch, dass in Ost-Deutschland kein weiteres Militär und keine Atomwaffem stationiert werden und dass die Zahl der Soldaten reduziert wird.”

Igor Maksimtschew arbeite 1989 als Botschaftsrat in der sowjetischen Botschaft in der DDR. Er erinnert sich, dass der Fall der Berliner Mauer für den Kreml keine Tragödie war.

“Gorbatschow war froh”, so Maksimtschew. “Froh über die Tatsache, dass das Problem der Mauer beseitigt war. Es existierte nicht mehr. Und es wurde von den Deutschen selbst beseitigt. Wir hatten damit nichts zu tun und waren auch nicht für die Folgen verantwortlich.”

Im Kreml denkt man heute anders. Viele Kritiker meinen, Gorbatschow hätte im Tausch gegen die deutsche Wiedervereinigung Garantien dafür verlangen sollen, dass Moskaus Interssen in Europa gewaht bleiben.

“All das wurde uns versprochen aber nur mündlich”, so Maksimtschew. “Es gibt keine Dokumente, nichts Schriftliches. Und schließlich wurde klar, niemand schuldet uns etwas. Und gab es eine Osterweiterung der NATO? Ja, die gab’s.”

Anders die Erinnerungen von Dolmetscher Palatschenko: “Damals konnte man keine Garantien über die Zukunft Osteuropas geben. Denn diese Länder gehörten noch zum Warschauer Pakt. Und selbst als der Warschauer Pakt aufhörte zu existieren, wurde die Frage eines Beitritts dieser Länder zur NATO nicht aufgeworfen.”

Die geopolitischen Verschiebungen haben auch in den Biographien der einstigen Sowjetbürger ihre Spuren hinterlassen.

Andrej Rakhmanin und Alexander Balaschow dienten bei der Westgruppe der sowjetischen Streitkräfte. Am 9.November, an dem Tag als die Mauer fiel, stand Rakhmanin an einem Kontrollpunkt, als eine Gruppe Deutscher an dem Tor seiner Einheit auftauchte. Sie feierten, tranken und brüllten herum.

“Ich ging raus und sagte: Ich versteh schon, das ist ein besonderer Tag aber trotzdem dürfen Sie hier keinen Alkohol trinken”, so Rakhmain. “Und sie antworteten: ‘Ja, ein großes Ereignis. Eine furchtbare Tragödie. Diese Idioten wollen uns mit dem Westen wiedervereinigen. Kommen Sie, trinken Sie mit uns, russischer Offizier.”

Die Zeit zwischen dem Fall der Mauer und der Wiedervereinigung war schwierig für die sowjetischen Soldaten. Galten die Soldaten erst als “Verbündete” wurden sie nun gelegentlich als “Besatzer” bezeichnet.

Alexander Balaschow erzählt: “Einige Jungen, vielleicht zehn Jahre alt, spielten Krieg. Die Stöcke in ihren Händen waren Gewehre. Und dann marschierte unsere Kolonne an denen vorbei. Und die heben ihre Stöcke und schießen auf uns. Das war nicht schön.”

Ein Vierteljahrhundert später sind die Souvenirstände auf dem Roten Platz so etwas wie ein politisches Barometer. Die Nachfrage entscheidet über das Angebot. Man findet Matroschkas der russischen Hardliner – Putin, Stalin, Lenin. Aber eine Matroschka von Michail Gorbatschow, einem der Väter der Einheit und ein großer Freund des Westens, findet man immer seltener.

Diesen Artikel teilenKommentare

Zum selben Thema

Schwarzmeer-Sicherheitskonferenz: "Russland versteht nur Sprache der Gewalt"

Land unter in Zentralrussland: Mehr als 15.000 Familien fliehen vor Hochwasser

Politiker-Prügelei: Im Parlament in Georgien flogen die Fäuste