Alles, was Sie über das transatlantische Handelsabkommen TTIP wissen müssen

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Von Euronews
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Die EU und die USA verhandeln über die Errichtung der weltweit größten Freihandelszone, das sogenannte Transatlantischen Freihandelsabkommen (TTIP). Die Partner gehen davon aus, dass das Wirtschaftswachstum in beiden Regionen mit diesem Abkommen auf ein bisher unerreichtes Maß steigt. Kritiker zweifeln an den wirtschaftlichen Vorteilen. Zudem würden die umstrittenen Passagen zum Investorenschutz, die Investor-Staats-Klagen, demokratische Regelungen unterlaufen.

Die Verhandlungen über das Abkommen begannen im Juli 2013. Seitdem sind die Unterhändler sieben Mal zusammengekommen, zuletzt im Oktober dieses Jahres in den USA. Der ehemalige EU-Handelskommissar Karel De Gucht hält es für nicht unwahrscheinlich, dass die Verträge schon 2015 oder Anfang 2016 unterzeichnet werden können. Um die Verhandlungen zwischen den USA und der neuen Europäischen Kommission wieder aufzunehmen ist seine Nachfolgerin Cecilia Malmström gerade erst nach Washington geflogen.

Warum brauchen wir einen Handelsvertrag zwischen der EU und den USA?

Ein mögliches Handelsabkommen zwischen der EU und den USA wird seit Jahrzehnten diskutiert. Grund für die Aufnahme der Verhandlungen war die Wirtschaftskrise 2008. Das Volumen der Handelsbeziehungen zwischen beiden Regionen war bereits zu dieser Zeit weltweit am größten. Das Abkommen könnte eine relativ günstige Möglichkeit sein, um beide Wirtschaftszonen noch zu stärken, so der Gedanke auf beiden Seiten. Wenn die Handelsbarrieren wegfallen, werde es einfacher, Güter und Dienstleistungen in die jeweils andere Richtung zu verkaufen oder dort einzukaufen. Handelsbarrieren sind unter anderem unterschiedliche spezifische Vorschriften oder Standards. Ein Beispiel, das die EU nennt, ist die Autoherstellung. Ein Fahrzeug, das die Sicherheitsvorschriften in der EU erfüllt, muss bei Verkauf in die USA noch einmal nach den dortigen Regelungen überprüft werden.

Welche Vorteile bringt TTIP?

Mit der Aufhebung der Zölle und der Vereinheitlichung bestimmter Richtlinien könnten die EU und die USA ihr Wirtschaftswachstum deutlich vergrößern, so ein Bericht des nach eigenen Angaben unabhängigen britischen Zentrums für wirtschaftspolitische Forschung (CEPR). Demnach würde die EU-Wirtschaft jährlich um 119 Milliarden Euro wachsen. In den USA könnte das Wachstum bei 95 Milliarden Euro liegen. Die Forscher gehen zudem davon aus, dass durch das Abkommen neue Arbeitsplätze für hoch und wenig qualifizierte Arbeitnehmer geschaffen werden. Andere Experten stellen diese Zuwächse infrage.

Gabriel Siles-Brügge ist einer dieser Kritiker. Dem Politikwissenschaftler an der Universität Manchester zufolge sind die Zahlen des CEPR „stark aufgeblasen und fehlerhaft“.Zudem würden den Berechnungen der EU zufolge fast alle Wirtschaftsbereiche genormt. Dieses Vorhaben sei jedoch kaum realistisch, so Siles-Brügge. Ein Bericht des Kampagnen-Netzwerkes „Seattle to Brussels“ geht in die gleiche Richtung: Das Netzwerk bezweifelt, dass so viele Arbeitsplätze entstehen wie angekündigt. Es verweist auf das 1993 beschlossene Nordamerikanische Freihandelsabkommen Nafta, das Investitionen und den Handel zwischen den USA, Kanada und Mexiko stärken sollte. Tatsächliche habe es zu dem Verlust von fast einer Million Arbeitsplätzen geführt., so der Bericht.

Was sind die wichtigsten Knackpunkte?

Einer der zentralen Unterschiede zwischen den EU und den USA ist die Haltung zu gentechnisch veränderten Lebensmitteln. Bei der Herstellung der Gen-Nahrung werden die Produkte mit andersartiger DNA versetzt, um bestimmte Vorteile zu erreichen. Ein Argument der Befürworter der Gen-Manipulation ist zum Beispiel, dass Getreide auf diese Art und Weise weniger anfällig für Schädlinge sei und so der Ertrag gesteigert werden könne.

Die EU-Regeln zur Genveränderung gehören zu den weltweit strengsten. Jeder neue Fall muss von der Europäischen Behörde für Nahrungsmittelsicherheit wissenschaftlich geprüft werden und geht anschließend an die EU-Kommission. Bisher ist die Genmanipulation nur in 52 Fällen erlaubt. In den USA sieht es ganz anders aus: Das Land ist der größte kommerzielle Hersteller gentechnisch veränderten Getreides weltweit. Die Vereinigten Staaten verlangen, dass die EU-Vorschriften mit ihren Regeln abgestimmt werden.

Die Europäische Kommission beteuert, dass grundlegende Gesetze zu gentechnisch veränderten Organismen (GVO) mit dem Abkommen nicht verändert werden. „Grundlegende Gesetze, die GVO oder den Schutz menschlichen Lebens und der Gesundheit sowie tierischen Lebens und Wohlergehens oder der Umwelt und des Verbraucherschutzes betreffen, werden nicht Teil der Verhandlungen sein.“

Friends of the Earth in Europe, ein Zusammenschluss von Umweltorganisation in Europa, bezweifelt das: „US-Unterhändler haben bei den Verhandlungen deutlich gemacht, dass es eines ihrer Hauptziele ist, den Zugang zum europäischen Markt für amerikanische Agrarunternehmen zu verbessern“, so die Organisation. „Die US-Unterhändler plädieren für eine Angleichung der EU-Vorschriften an die US-Regeln. Die Europäer sollten sich bei ihren Regelungen ausschließlich nach wissenschaftlichen Kriterien richten, die oft von den Biotechnologie-Unternehmen selbst bereitgestellt werden. Die Meinung der europäischen Institutionen, für die auch ethische Kriterien sowie Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft eine Rolle spielen, sollte demnach eine untergeordnete Rolle spielen.“

Zudem gibt es Bedenken beim Thema Fleisch. Für US-Produzenten gelten andere Kriterien als für europäische Betriebe. Ein Beispiel ist das sogenannte Chlorhuhn: Die Tiere werden in den USA mit einem Chlordioxid-Bad desinfiziert, ein Verfahren, das in der EU verboten ist.

Worum wird noch gestritten?

Die Europäische Kommission vertritt bei den Verhandlungen die EU und ihre Mitgliedsstaaten. Kritiker werfen den Verhandlungspartnern mangelnde Transparenz vor.

Das Abkommen werde hinter verschlossenen Türen verhandelt.Sie kritisieren, dass Dokumente über den Inhalt der Gespräche nicht veröffentlicht werden und dass nicht viel über Treffen mit Lobbyisten bekannt wird. Die Europäische Bürgerbeauftragte Emily O’Reilly forderte den Ministerrat auf, die EU-Richtlinien für die TTIP-Verhandlungen zu veröffentlichen. Sie hielt die Kommission eigenen Angaben zufolge zudem dazu an, entsprechende Dokumente frühzeitig zu veröffentlichen.

Die Kommission betont jedoch, dass Vertraulichkeit bei den Verhandlungen wichtig sei. Mehr Transparenz sei schädlich, so wie wenn man sich von seinem Gegner in die Karten gucken lasse. Man lasse sich aber ausführlich beraten. Zudem seien es der Europäische Rat aus den Staats- und Regierungschefs und das direkt gewählte Europäische Parlament, die am Ende über das Abkommen entscheiden.
Ein weiteres Thema ist die Regulierung der Finanzmärkte. Eine mangelnde Regulierung des Bankensektors gilt als einer der Gründe für die Krise 2008. Die USA und die EU haben daraufhin strengere Regeln für den Finanzmarkt angekündigt. TTIP-Kritiker sagen, dass ein Abkommen auf Zugeständnisse bei der Regulierung hinauslaufen würde. Dies gefährde die finanzielle Stabilität. Die USA betonen jedoch, dass Finanzgeschäfte nicht in dem Abkommen aufgenommen werden

Diskutiert werden auch die Auswirkungen auf die europäische Filmindustrie. Nach Widerstand aus Frankreich ist der audio-visuelle Sektor von den Verhandlungen ausgenommen, so die EU-Kommision.

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Was sind die Investor-Staats-Klagen?

Der Investorenschutz durch die sogenannten Investor-Staats-Klagen ist einer der umstrittensten Punkte des geplanten Abkommens. Vereinfacht gesagt geben diese Klauseln multinationalen Konzernen die Möglichkeit, Staaten auf Schadensersatz zu verklagen, falls sie ihre Investitionen durch politische Änderungen gefährdet sehen. So verklagt zum Beispiel der Tabakkonzern Philip Morris Uruguay, weil die Regierung beschloss, dass es auf Zigarettenschachteln Gesundheitswarnungen geben muss..

Der Investorenschutz ist laut Befürwortern notwendig, um das Vertrauen potenzieller Investoren zu stärken. Geldgeber müssten wissen, dass sie keine Nachteile gegenüber inländischen Firmen haben, so die EU-Kommission. Laut Kritikern werden solche Klauseln immer häufiger eingesetzt und gefährden die Demokratie. Der lobbyistenkritischen Organisation Corporate Europe Observatory (CEO) zufolge gab es 2012 58 neue Investor-Staats-Klagen. 46 Prozent der beklagten Staaten seien europäisch, 22 Prozent US-amerikanisch.

Dies habe auch Einfluss auf die Gesetzgebung, so Pia Eberhardt von CEO: „In einigen Fällen reicht die bloße Gefahr, dass Staaten verklagt werden könnten aus, um Gesetze zu verhindern. Denn die Politiker fürchten das. Deswegen bedrohen solche Klauseln unsere Demokratie. Die Investor-Staats-Klagen sind eine große Belastung für öffentliche Haushalte. Er kostet Geld, das lieber in Bildung oder den Bau von Krankenhäusern gehen sollte.“

Video produziert von CEO:

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Der Investorenschutz ist ein wichtiger Teil des Handelsabkommens. Der ehemalige Handelskommissar de Gucht geht nicht davon aus, dass TTIP auch ohne die entsprechenden Paragraphen zustande kommen würde. Dazu die Position der EU-Kommission: „Obwohl die EU und die USA entwickelte Wirtschaftszonen darstellen, können Investoren auf Probleme treffen, mit denen ihre heimischen Gerichte nicht immer gut umgehen können. Maßnahmen zum Investorenschutz halten Regierungen nicht davon ab, Gesetze zu verabschieden oder aufzuheben. Schlimmstenfalls können sie dazu führen, dass Schadensersatz gezahlt werden muss.

Das Büro des US-Handelsabgeordneten sagte dazu: „Es kursieren viele Mythen, die unterstellen, dass der Investorenschutz unsere und die Möglichkeiten unserer Partner einschränkt, Maßnahmen für die Sicherung der finanziellen Stabilität zu sichern, den Schutz der Umwelt oder das öffentliche Gesundheitswesen zu ergreifen. Einige suggerieren sogar, dass ein Unternehmen Regierungen verklagen kann, einfach nur, weil es nicht so viel Profit macht wie gewünscht. Diese Behauptungen sind falsch.

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