Nach Pariser Anschlag: Experte warnt vor islamfeindlicher Hysterie

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Von Euronews
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Euronews hat mit Dominique Wolton gesprochen, Forschungsdirektor der französischen Forschungsorganisation CNRS. Er ist auch Experte für Medien

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Euronews hat mit Dominique Wolton gesprochen, Forschungsdirektor der französischen Forschungsorganisation CNRS. Er ist auch Experte für Medien, Journalismus und politische Kommunikation.

Euronews: Was wird der Anschlag auf “Charlie Hebdo” verändern?

Wolton: Man muss wohl jetzt das ernst nehmen, was bisher als Randgruppe der Informationsfreiheit galt – die ganz radikalen Medien, die sehr humoristischen und unangepassten.

Wie so oft in der Demokratie, muss man sich nur ansehen, wie “Charlie Hebdo” zig Mal verspottet wurde – wegen seiner Haltung, wegen seiner Zeichnungen und so weiter.

Man könnte diese Dinge fast schon überzogen nennen, aber diese Art von Presse ist letztlich das Herz der Demokratie.

Für mich ist das sehr wichtig, weil es keine Meinungs-, Informations- oder Pressefreiheit gibt, wenn solche Medien als zu gewagt oder als geschmacklos gelten: Letztlich sorgen sie dafür, dass man sich auch noch im Extremen kritisch äußern kann.

Euronews: Ermordet wegen bestimmter Gedanken, das ist in der Welt nichts Neues, aber in Frankreich war das undenkbar. Wird es jetzt ein Vorher und Nachher geben?

Wolton: Ja, ein Vor und ein Nach dem 7. Januar wird es geben. Die jetzige Mobilisierung ist so stark, weil es um diese Zeitschrift geht, aber auch weil die Ermordeten so bekannt waren.

Aus Anlass dieser Tragödie könnte man auch aufmerksam machen auf andere menschliche Tragödien – wie die vielen Einwanderer, die an Europas Küsten ertrinken.

Man könnte eine Verbindung ziehen zwischen der Informationsfreiheit, wie über sie jetzt diskutiert wird, und der Informationsfreiheit in dem Sinne, wie Europa mit seinen grundlegenden Werten umgeht.

Euronews: Wird sich für die Medien etwas ändern?

Wolton: Es stellt sich die Frage, ob sie – im Namen der Informationsfreiheit – oft zu leicht Gedanken verfolgen, die radikal sein wollen, dabei aber gegenüber dem Anderen nicht weniger rassistisch und hasserfüllt sind.

Es geht dabei nicht nur um den Islam, sondern um die Frage des Anderen. Bringt man dem Anderen Achtung entgegen, oder hält man den Anderen für eine Gefahr?

Wenn man den USA einen Gefallen tun will, die uns ja ihrer Solidarität versichert haben, dann sollte man ihnen sagen: Wir können Euch keinen Rat geben.

Aber trotzdem, wir werden versuchen, dass nicht diese islamfeindliche Hysterie und dieser Hass auf den Anderen entstehen wie nach dem 11. September in den USA.

Euronews: Was sagen uns die Reaktionen auf den Anschlag über die französische Gesellschaft?

Wolton: Das ist vielleicht eine positive Lehre. Es heißt ja dauernd, die Franzosen und die Europäer seien verweichlicht, würden an nichts mehr glauben und sich allen Arten von Extremismus hingeben.

Das stimmt aber nicht, und man erkennt jetzt wieder einmal als eine Stärke Frankreichs, dass es dieses multikulturelle Land ist.

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Hier leben viele Glaubensrichtungen zusammen, viele Kulturen: Und selbst wenn die gesellschaftliche Eingliederung nicht mehr so funktioniert und das Zusammenleben der Religionen schwieriger ist als vor fünfzig Jahren, gibt es doch eine politische Reife.

Vielleicht hält das auch nicht lange an. Aber selbst wenn es in zwei oder drei Monaten abgleitet, kann man sich doch an diesen Augenblick jetzt erinnern.

Euronews: Wird die Politik den Anschlag für sich vereinnahmen, und welches Risiko würde das bringen?

Wolton: Ich glaube nicht. Wenn man das versuchen würde, käme es als Bumerang zurück.

Was bei dieser Schweigeminute passiert ist, was Sonnabend und Sonntag bei dieser großen Kundgebung passieren wird, da muss man sagen:

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Selbst wenn jetzt zu viele Worte gemacht werden und oft eine verbale Hysterie entsteht, wollen diese Worte doch etwas von einem tiefgreifenden Gefühl ausdrücken.

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