Tariq Ramadan: Die Muslime müssen ihre Stimme erheben

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Die Anschläge von Paris werfen, zumindest in Teilen der französischen Bevölkerung, alte Fragen auf. Beispielsweise die, nach einer eventuell

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Die Anschläge von Paris werfen, zumindest in Teilen der französischen Bevölkerung, alte Fragen auf. Beispielsweise die, nach einer eventuell gescheiterten Integration der Muslime.

Das Verhältnis zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen in dem Land gilt seit Langem als angespannt. Das zeigt sich u.a. an den Wahlerfolgen des rechtspopulistischen Front National.

Doch das ist nur eine Sicht auf ein sehr komplexes Thema. Denn für viele Franzosen gelten die Muslime längst als integriert. So betete der Imam von Drancy, Hassen Chalghoumi, unmittelbar nach dem Anschlag auf die Redaktion von Charlie Hebdo für die Getöteten.

“Warum missbrauchen sie dafür unsere jungen Menschen?”, so der Imam. “Das sind junge Franzosen, die gegen ihr Land kämpfen. Sie haben als Dschihadisten in Mali gekämpft und jetzt sind sie u.a. in Syrien. Jeder muss sich seiner Verantwortung bewusst sein, die Gesellschaft, die Politiker, die Richter. Sie alle gehen nicht hart genug dagegen vor.”

Liegt die Antwort auf die zahlreichen Probleme vielleicht in einem reformierten Islam, der sich an die westliche Welt anpasst? Der Islamwissenschaftler und Publizist Tariq Ramadan tritt für einen solchen Euro-Islam ein. Euronews sprach mit ihm über die jüngsten Ereignisse in Paris.

Isabelle Kumar, euronews:
Ganz einfach gefragt: Warum sind diese jungen Männer losgezogen, um zu töten?

Tariq Ramadan, Schweizer Islamwissenschaftler und Publizist:
Es gibt mehrere Gründe. Erstens hängt es natürlich damit zusammen, wie sie den Islam verstehen oder wie er ihnen gelehrt wurde. Was wir aus Syrien, dem Irak und von sehr gewaltätigen fanatischen Gruppierungen hören, ist, dass Muslime recht haben und alle anderen unrecht.
Und, es kursiert auch der Glaube, dass die Muslime in Frankreich, in den USA, in der ganzen westlichen Welt unterdrückt werden. Es gibt also eine falsche Auffassung des Islams und eine falsche politische Einschätzung.

Isabelle Kumar:
Manche sagen, der Integrationsprozess in Frankreich sei gescheitert.

Tariq Ramadan:
Nein, das Ganze hat, glaube ich, nichts mit Integration zu tun. Die große, große Mehrheit der französischen Muslime, der europäischen Muslime ist Teil der Gesellschaft und schauen sie sich die Reaktionen an – alle Gemeinschaften in der westlichen Welt verurteilen das, was passiert ist. Es herrscht ein absoluter Konsens diesbezüglich. Es ist eine Randerscheinung, die nichts mit dem Prozess auf lange Sicht zu tun hat. Historisch gesehen sind die Muslime Teil der europäischen und der westlichen Gesellschaft. Das ist einfach eine Tatsache und wir müssen damit aufhören, ständig zurückzugehen und die gleiche Frage zu stellen.

Isabelle Kumar:
Ist der Rassismus in Frankreich auf dem Vormarsch?

Tariq Ramadan:
Nein, ich denke solche allgemeinen Aussagen sind falsch. Frankreich ist nicht rassistisch, obwohl wir natürlich Rassisten in Frankreich haben.

Isabelle Kumar:
Sie leben derzeit in Großbritannien. Was sind die Unterschiede zwischen den beiden Ländern? Werden dort die muslimischen Gemeinschaften anders behandelt?

Tariq Ramadan:
Wir haben es mit einer transnationalen Realität zu tun. In Deutschland, in Belgien, in Frankreich und sogar in Großbritannien mit dem Aufschwung der UKIP Partei, die Einwanderer stigmatisiert und sagt, dass der Islam auf dem europäischen Kontinent nichts zu suchen hat. Ich vertrete genau das Gegenteil: Der Islam ist eine europäische Religion, er ist eine westliche Religion und wir müssen damit umgehen und wir werden gemeinsam eine Zukunft erbauen.

Isabelle Kumar:
Wollen die Terroristen eine Spaltung provozieren? Islamophobie fördern und so eine weitere Radikalisierung?

Tariq Ramadan:
Sie wollen die Islamophobie sowie die Entfremdung und die Frustration nähren. Deswegen müssen wir uns erheben. Ich sage Muslimen auf der ganzen Welt, dass sie sich nicht isolieren, nicht an den Rand gehen sollen. Eine Reaktion, die psychologisch gesehen natürlich wäre. Aber sie sollten vielmehr sichtbar sein und die Stimme erheben, auch im Namen der schweigenden Mehrheit, die das, was passiert ist, nicht befürwortet.

Isabelle Kumar:
Wird der Islam zunehmend in einer gewalttätigen Art interpretiert? Entwickelt sich zunehmend eine beängstigende Form dieser Religion, die sich einnisten wird?

Tariq Ramadan:
Wir wissen nicht, was passieren wird. Das ist wie gesagt eine kleine Minderheit im Vergleich mit der riesigen Mehrheit der Muslime.

Isabelle Kumar:
Aber sie wächst…

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Tariq Ramadan:
Sie wächst, aber sie ist weiterhin eine Randerscheinung. Fast immer erscheine ich in den Medien, um zu sagen, was der Islam nicht ist. Ich werde nicht eingeladen, um zu sagen, was der Islam ist und was seine Werte sind. Ich bin immer in der Defensive und werde gefragt: Sagen Sie uns, warum Sie keine Gefahr darstellen? Warum wollen Sie nicht, dass ich Ihnen sage, dass ich ein nützliches Mitglied der Gesellschaft bin. Ich kann etwas beitragen. Die Wahrnehmung der Muslime in der westlichen Welt bewirkt folgendes: Entweder wir entschuldigen uns oder wir sind in der Defensive. Wir müssen damit aufhören. Denn letztendlich bin ich ein Westeuropäer genau wie Sie. Und ich bin der muslimische Teil der Zukunft.

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