Kommt es zum Grexit, dem Austritt Griechenlands aus der Eurozone? Unser Sonderprogramm zur Griechenlandwahl: Ein Bericht und drei Gespräche

Kommt es zum Grexit, dem Austritt Griechenlands aus der Eurozone? 
Unser Sonderprogramm zur Griechenlandwahl: Ein Bericht und drei Gespräche
Von Euronews
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Bleibt Griechenland in der Eurozone oder tritt es aus? Diese Frage lastet mehr denn je auf der Parlamentswahl. Darüber sprachen wir mit

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Bleibt Griechenland in der Eurozone oder tritt es aus? Diese Frage lastet mehr denn je auf der Parlamentswahl. Darüber sprachen wir mit Verteidigungsminister Nikos Dendias von der konservativen Partei Neue Demokratie, mit einem Mitglied der Partei Syriza sowie mit dem deutschen Wirtschaftsfachmann Guntram Wolff. Zunächst aber folgt ein Bericht darüber, was die in Brüssel lebenden Griechen mit der Abstimmung in ihrer Heimat verbinden.

In einem Stadtteil Brüssels, unweit des Zentrums, gibt es gleich mehrere griechische Lokale, wo die in der belgischen Hauptstadt lebenden Griechen zusammenkommen. Der wichtigste Gesprächsstoff dieser Tage sind selbstverständlich die Wahlen. Wir fragten nach den Erwartungen und Befürchtungen. Ob es zum Grexit kommen werde? Eine junge Frau meint: “Ich denke, dass erhebliche Anstrengungen gemacht werden, damit das Land in der Eurozone bleibt. Große Veränderungen wird es in der griechischen Politik aber nicht geben.”
Drittstärkste Kraft nach Syriza und den Konservativen des Regierungschefs Antonis Samaras könnte die pro-europäische Partei Der Fluss werden. Eine andere junge Frau sagt: “Dass Griechenland in der Eurozone bleibt, sollte für alle Parteien oder Koalitionen, die sich nach der Wahl bilden könnten, oberste Priorität haben.” Und ein junger Mann fügt hinzu: “Am wichtigsten ist, dass wir geeint bleiben, das gilt besonders für die Wahlen. Wir, die jungen Leute, sollten versuchen, die Hoffnung nicht zu verlieren.”

Über den möglichen Austritt aus der Eurozone sprachen wir auch mit
dem griechischen Verteidigungsminister Nikos Dendias von der konservativen Partei Neue Demokratie.

euronews:
“In den vergangenen Wochen war viel von einem möglichen Austritt Griechenlands aus der Eurozone die Rede. Stellt sich diese Frage, sollte die linke Partei Syriza bei der Parlamentswahl siegen?”

Nikos Dendias:
“Ein klarer Sieg der Partei Syriza wäre mit Risiken verbunden, denn ihre Positionen sind vage. Niemand weiß, was Syriza wirklich will. Auch wissen wir nicht, ob die Partei über die notwendigen technischen Mittel verfügt, sollte sie ihren derzeitigen Standpunkt ändern wollen.”

euronews:
“Sie sind seit mehr als zwei Jahren in der Regierung, Sie haben der Sparpolitik zugestimmt. Denken Sie, dass sie richtig war? Werden Sie diesen Weg fortsetzen, sollte ihre Partei siegen?”

Nikos Dendias:
“Dazu muss zuallererst gesagt werden, dass uns die mit der Wirtschaft verbundenen Schwierigkeiten 2010 an den Rand des Bankrotts gebracht haben. Das Wirtschaftsmodell, das wir bis dahin hatten, war konsum- und ausgabenorientiert, vernachlässigte aber Produktion und Innovation. Die Sparpolitik hat wie eine Arznei gewirkt. Vielleicht war sie gut, wielleicht war sie nur mittelmäßig mit unerwünschten Nebenwirkungen. Sie war jedenfalls nicht die Ursache für alles, was falsch gelaufen ist. Auch muss man sagen, dass es uns trotz der Fehler gelungen ist, das Land in der Eurozone zu behalten, was 2012 keineswegs klar war.”

euronews:
“Es gibt europäische Politiker, die Griechenland halbherzige Reformen vorwerfen.”

Nikos Dendias:
“Wenn Sie von mir hören wollen, ob die Reformen tiefer greifen und rascher durchgeführt werden müssen, sage ich dazu ja. Das ist die Wahrheit. Es gibt einige Gebiete, auf denen wir Fehler gemacht haben und wo es Verzögerungen gab. Syriza klagt uns dafür aber nicht an, Syriza will die Reformen, die wir bereits durchgeführt haben, rückgängig machen und das Modell, das wir 2010 hatten, wieder einführen. Darum geht es bei dieser Wahl.”

euronews:
“Auch die erste Frage, die wir an Sie, Giannis Milios, Wirtschaftsfachmann der Partei Syriza, richten, betrifft den sogenannten Grexit. Halten Sie dieses Szenario für möglich?”

Giannis Milios:
“Ganz und gar nicht. Ich will betonen, dass von diesem Szenario jedesmal die Rede ist, wenn bei uns Wahlen stattfinden. Man will den Menschen damit Angst einjagen und sie dahin bringen, dass sie sich für eine Politik entscheiden, die sie eigentlich ablehnen. Ein Austritt aus der Eurozone ist unmöglich, denn wenn ein Land dazu gedrängt wird oder wenn es dazu genötigt ist, bricht die gesamte Eurozone zusammen.”

euronews:
“Europäische Führungspersönlichkeiten, darunter die deutsche Kanzlerin Merkel oder EZB-Chef Draghi ließen verlauten, dass es keine weitere Hilfen gäbe, sollte eine neue griechische Regierung ihren Verpflichtungen nicht nachkommen. Sie wiederum sprechen von Neuverhandlungen. Wie passt das zusammen?”

Giannis Milios:
“Wir können die Sparpolitik nicht fortsetzen. Darum stimmen die Menschen für uns. Der Politikwechsel ist eine Frage der nationalen, der Volkssouveränität. Wir wollen uns mit der anderen Seite über bestimmte Ziele einigen, über einen ausgeglichenen Haushalt beispielsweise. Ein solches Ziel aber wollen wir auf sozialem Weg erreichen, in Übereinstimmung mit der sozialen Mehrheit. Ich verstehe zum Beispiel nicht, warum die öffentlichen Kosten für die Gesundheit in Griechenland sechs Prozent, im europäischen Durchschnitt acht und in Deutschland zehneinhalb Prozent betragen.”

euronews:
“Verhandlungen benötigen Zeit, auch wird es eine Menge Druck geben. Gibt es eine rote Linie für Sie?”

Giannis Milios:
“Das Sparprogramm und weitere Einschnitte sind mit der Wirtschaft Griechenlands unvereinbar. Die Schulden dürfen nicht weiterhin für die riesigen Wachstumsmöglichkeiten des Landes und der Wirtschaft wie eine Falle wirken. Das Programm, das wir in Thessaloniki vorgestellt haben, ist unsere rote Linie. Die Lösung der humanitären Krise hat für uns höchste Priorität. Wir nehmen es nicht hin, dass die Menschen darunter leiden, dass ihnen der Zugang zu den fundamentalen Gütern Europas im 21. Jahrhundert versperrt bleibt.”

euronews:
“Herr Guntram Wolff, Sie leiten die Brüsseler Denkfabrik Bruegel. Ist der sogenannte Grexit ein realistisches Szenario?”

Guntram Wolff:
“Für Griechenland selbst wäre das ein schlechtes Szenario und für die gesamte Eurozone ebenfalls.”

euronews:
“In welchem Fall könnte dieses Szenario Wirklichkeit werden?”

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Guntram Wolff:
“Es könnte passieren, dass der Ton der Debatte aller Beteiligten schärfer wird und dass es zu einer ähnlichen Situation wie in Zypern kommt, wo die Regierung den ursprünglichen Vorschlag der Eurogruppe verwarf. In einem nächsten Schritt wurde der Kapitalverkehr kontrolliert. Kommt es dazu, ist ein Austritt ziemlich nahe.”

euronews:
“Ist das nicht auch für die Eurozone gefährlich?”

Guntram Wolff:
“Für Griechenland wäre das natürlich ein Verlust, doch auch für den Rest der Eurozone wäre es schlimm, weil Vertrauen verloren ginge. Niemand wünscht, dass die Märkte erneut nervös und die Schulden Italiens wieder zu einem Thema werden.”

euronews:
“Könnte die EU die Hilfsprogramme neu verhandeln, sollte die Partei Syriza, die in Umfragen führt, bei der Parlamentswahl siegen?”

Guntram Wolff:
Bei solchen Verhandlungen ginge es um die Zahlungsbedingungen, um die Zinsen. Auch ginge es um die Konditionalität, um die Rolle der Troika und um das dritte Hilfspaket.

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euronews:
“Was ist also mit Griechenland falsch gelaufen, wenn Portugal und Irland, für die ähnliche Hilfsprogramme aufgelegt wurden, die Krise inzwischen überwunden haben?”

Guntram Wolff:
“Die Hilfe für den öffentlichen Sektor betrug mehr als 100 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, was eine Menge Geld für die Wirtschaft Griechenlands gewesen ist. Für Irland betrug sie nur 40 Prozent. Griechenland bekam somit viel mehr Hilfe als Irland. Die Ursache dafür war, dass Griechenland zu Beginn viel größere Schwierigkeiten hatte. Inzwischen besteht Hoffnung, dass sich die Anpassung ihrem Ende nähert und dass sich die Lage verbessert.”

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