Ostukraine: Flüchtlinge im eigenen Land

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Das malerisch gelegene Heilige Himmelfahrtskloster von Swjatohirsk, im Osten der Ukraine: Alles scheint friedlich, doch der Krieg ist nur fünfzig

Das malerisch gelegene Heilige Himmelfahrtskloster von Swjatohirsk, im Osten der Ukraine: Alles scheint friedlich, doch der Krieg ist nur fünfzig Kilometer entfernt. Dutzende Menschen haben im Kloster Zuflucht gefunden.

Auf der anderen Seite des Flusses haben sich Flüchtlinge in einem Sommercamp einquartiert. Viele haben alles verloren. Sie sind oft Hals über Kopf vor der Gewalt geflohen und haben nur das Nötigste mitgenommen. Die meisten sind aus Debalzewe.

Olena und ihre Familie wissen nicht, wie es weitergehen soll: “Alle warten darauf zu sehen, was in Debalzewe geschehen wird. Momentan sind die Kämpfer der pro-russischen Volksrepublik Donezk dort. Niemand weiß, was los ist. Wir warten alle. Wir haben Verwandte, die geblieben sind. Wir wollen zumindest noch einmal zurück, um zu sehen, was noch steht, was dort los ist.” Ihr Mann Maxim erzählt: “Ich bin der Chef der Feuerwehr vom Bahnhof in Debalzewe. Alle wollen wieder arbeiten. Wir haben vor zurückzugehen, um uns die Lage anzuschauen. Uns wurde versprochen, dass wir unsere Gehälter bekommen. Aber, wenn sich nichts verbessert hat, werden wir wieder gehen. Denn wir wollen, dass unser Kind normal aufwächst und eine gute Bildung bekommt. Unsere Wohnung wurde von einer Bombe getroffen. Der Balkon und die Fenster sind kaputt. Die Grundmauern des Hauses stehen noch, wir erwägen also zurückzukehren.”

Maryna kommt aus Horliwka. Auch sie ist mit ihren Kindern geflohen: “Wir waren gerade erst hier angekommen, als wir im Nebenraum ein Geräusch hörten, das einem Einschlag ähnelte, wir erschraken und dachten, dass wir wieder unter Beschuss sind. Wir spitzten die Ohren, aber es war nichts. Wir hoffen, dass wir zurück können, wenn alles vorbei ist. Uns wurde versprochen, dass nach dem Waffenstillstand Ruhe einkehrt, aber wir haben unsere Verwandten angerufen, und sie sagen, dass es noch schlimmer geworden ist.”

Nach Angaben des Flüchtlingshilfswerkes der Vereinten Nationen, UNHCR, sind mittlerweile 1,1 Millionen Menschen innerhalb der Ukraine auf der Flucht. Viele sind noch in Donbass, in den umkämpften Gebieten. Nichtregierungsorganisationen versuchen den Flüchtlingen zu helfen und sie zu versorgen. “Wir bringen ihnen Plastikplanen und Sperrholzplatten, denn viele Häuser wurden durch den Beschuss beschädigt. Bei den Reparaturen der Häuser haben Familien mit Behinderten, Alleinlebende, ältere Menschen und alleinerziehende Mütter Vorrang,” so Daniel J. Gerstle von der tschechischen NGO People in Need.

In der Stadt Popasna leben Menschen in Kellern, denn ihre Wohnungen wurden zerstört. Ein Mann weiß nicht mehr weiter: “Warum ich nicht gehe? Ich habe mein ganzes Leben lang in Popasna verbracht. Ich habe im Bahnhof gearbeitet und bin letzten Sommer in Rente gegangen. Bald bin ich ein Jahr lang in Rente. Ich hatte nie vor irgendwo hinzugehen. Ich dachte, ich würde immer hier leben. Aber selbst, wenn ich gehen wollte, ich wüsste nicht wohin. Ich habe nirgendwo anders Verwandte und ich will auch nicht weg.” Ein anderer Mann erzählt, dass die lokalen Behörden früher gratis Wasser verteilt hätten, doch letztes Mal habe es 30 Kopek pro Liter gekostet, umgerechnet rund zwei Cent. Eine Frau meint, er sollte lieber dankbar sein, dass sie Wasser vorbeibringen, und die paar Kopeks würden niemandem wehtun.

Der NGO “People in Need” zufolge fehlt es an allem. Die Menschen brauchen Lebensmittel, Wasser und Medikamente. Viele benötigen auch Geld, denn sie haben noch nicht den Status von Binnenflüchtlingen. In Soledar haben die Flüchtlinge im Krankenhaus Unterschlupf gefunden. Daniel Gerstle erklärt: “Wenn Menschen wegen der Kämpfe ihre Häuser verlassen müssen und sie in ihrem Land auf der Flucht sind, dann spricht man von Binnenflüchtlingen. Sie können Sozialhilfe beantragen und sie können als Binnenflüchtlinge anerkannt werden. Das gilt sogar, wenn sie noch in ihrem Haus sind, dieses aber zerstört wurde oder wenn sie im Gemeindezentrum leben. Sie alle können Hilfe beantragen.”

Die Krankenhaus-Direktorin Inna kümmert sich so gut sie kann um die Flüchtlinge: “Wir unterstützen und versorgen sie hier im Krankenhaus. Wir bekommen keinen Rabatt oder finanzielle Hilfe. Wir müssen hohe Rechnungen bezahlen, denn wir verbrauchen viel mehr Strom und Wasser. Wir haben keine Medikamente, obwohl wir ein Krankenhaus sind. Es ist sehr schwierig. Freiwillige geben uns Sachen, aber es ist nicht genug.” Eine der Frauen hat vergeblich versucht Hilfen zu beantragen: “Wir sind in Soledar und bekommen nicht den Status von Binnenflüchtlingen. Uns wurde gesagt, dass in Popasna noch immer die ukrainische Flagge weht. Aber es gibt täglich Kämpfe. Mein Kind weinte zuletzt vier Stunden lang, weil eine Bombe das Nachbarhaus getroffen hatte.” Daniel Gerstle zufolge hätte sie Anrecht auf Geld: “Die finanziellen Hilfen hängen von ihren Bedürfnissen ab. Jeder Haushalt bekommt zwischen 50 und 300 US-Dollar. Es hängt von ihren Bedürfnissen ab. Wenn jemand eine Operation benötigt, ihr Kind z.B., wenn sie Sachen für den Winter brauchen, Decken oder Kleidung, weil ihre Wohnung zerstört wurde, das sind die Situationen, mit denen wir es hier zu tun haben.”

Im Dorf Pisky, nicht weit von dem Flughafen in Donezk entfernt, liefern sich pro-russische Separatisten und ukrainische Truppen weiterhin Gefechte. Im Nachbardorf Perwomajsk ist es gespenstisch still. Fast alle Bewohner sind geflohen. Nur noch wenige Familien harren aus. Katya geht mit ihrer kleinen Tochter spazieren. Sie sagt: “Die Ukrainer helfen uns. In dem Laden dort drüben, haben sie uns alles gebracht: Eintopf, Müsli und anderes. Vor kurzem standen wir unter Beschuss, es reichte bis in unseren Garten. Wir dachten, wir würden sterben. Es war schrecklich. Ich habe vor allem Angst um mein Kind. Sie ist mein kleines Wunder, und ich will nicht, dass ihr etwas geschieht. Wir sind noch hier. Nur die älteren Menschen sind geblieben, die Großmütter und Großväter. Von den jungen Menschen sind nur wenige geblieben. Die meisten sind nach Selydowe, nach Cherson oder nach Russland geflohen. Alle sind weg.” Katya und ihr Mann Sergei halten die Stellung. Er erzählt: “Das hier ist unser Land. Wir helfen uns untereinander. Wir bauen Kamine wieder auf und ähnliches. Wir haben kein Gas und die Wasserversorgung ist schlecht. Manchmal haben wir Wasser, dann wieder nicht. Es ist das Gleiche mit Strom. Einen Tag haben wir Strom am nächsten Tag nicht mehr. Aber wir können nicht gehen, denn das hier ist unser Land. Warum sollten wir gehen? Jene, die in unser Land gekommen sind, sollten wieder verschwinden.”

Der Waffenstillstand wird bislang nicht eingehalten. Es kommt immer noch zu Kämpfen. Die Leidtragenden sind die Bewohner der Region. Viele Flüchtlinge warten bislang auf die finanziellen Hilfen. Andere bleiben trotz der Gefahr.

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