Serbischer Regierungschef: "Ich habe früher viel Dummes gesagt"

Serbischer Regierungschef: "Ich habe früher viel Dummes gesagt"
Von Euronews
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Ein Land, entstanden aus einem gewaltsamen Untergang. Berichte über Völkermord, ethnischen Hass und Bürgerkrieg prägen noch immer das Bild von

Ein Land, entstanden aus einem gewaltsamen Untergang. Berichte über Völkermord, ethnischen Hass und Bürgerkrieg prägen noch immer das Bild von Serbien.

Als sich die Ereignisse zutrugen hätte sich niemand vorstellen können, das Land könnte einmal Teil der EU werden.

Doch auch wenn noch immer viele Hindernisse im Weg stehen und das Vergangene nur schwer zu vergessen ist – Serbien befindet sich auf dem Weg zur EU-Mitgliedschaft.

Isabelle Kumar sprach darüber mit dem serbischen Ministerpräsident Aleksandar Vucic.

euronews:
Sie haben sich das Ziel gesetzt, der EU beizutreten. Wann denken Sie, wird es so weit sein?

Aleksander Vucic:

Es geht hier nicht um Zeit, es geht um den Inhalt. Und wir tun unser bestes, um auf diesem Weg weiter voran zu kommen, um unseren Verpflichtungen nachzukommen und die Akzeptanz für die europäischen Werte in unserem Land zu fördern.

euronews:

Es gab eine gewisse EU- Erweiterungsmüdigkeit auf Ebene der Europäischen Kommission. Gleichzeitig schienen Sie recht unzufrieden mit diesem Prozess zu sein. Sie sagten, Sie fühlten sich nicht wirklich respektiert seitens der Europäischen Union. Wie kommt das?

Aleksander Vucic:

Das kommt daher, dass ich sehr ehrlich bin und sehr aufrichtig. Ich verberge vor niemandem etwas. Es gibt da einen Haufen Politiker in dieser Region und in Ost- und Südeuropa, die umschmeicheln die EU-Vertreter und sagen immer, es sei alles in bester Ordnung. Ich sage, was ich denke.

euronews:

Was stört Sie?

Aleksander Vucic:

Sie sprachen über die Erweiterungsmüdigkeit, bei uns ist man im Gegenzug langsam mit der Geduld am Ende. Ja, wir haben viele Anstrengungen unternommen, viele Bemühungen. Wir haben nicht nur viel Zeit investiert, sondern auch unsere ganze Energie und politische Kraft.

Wir haben auch die härtesten und schärfsten Wirtschaftsreformen in Serbien durchgesetzt. Wir haben viel hinsichtlich des Dialogs mit den Kosovo-Albanern erreicht. Und dann mussten wir erleben, dass wir nicht einaml respektiert werden. Nicht, dass wir das besonders erwartet hätten, wir haben es einfach vorausgesetzt.

euronews:

Was ist mit der Normalisierung der Beziehungen mit dem Kosovo? Denn das ist eines der anderen wichtigen Themen. Und die Beziehungen scheinen alles andere als normal zu sein. Ist das ein unüberwindbares Hindernis für Ihre Regierung?

Aleksander Vucic:

Ich denke, dass wir viel erreicht haben, obwohl das wirklich nicht leicht für uns war. Aber wir haben den Dialog mit den Kosovo-Albanern fortgesetzt. Vor kurzem haben wir ein Rechtsabkommen unterzeichnet. Es gab Beschlüsse beim Bevölkerungsschutz auch bei der Frage der kommunalen Haushalte für vier serbische Gemeinden im Norden des Kosovo. Und aktuell verhandeln wir über verschiedene Themen in den Bereichen Energie und Telekommunikation.

euronews:

Ein kürzlich erschienener Bericht der EU-Kommission betont, es sei wichtig, dass die Gespräche auf höchster Ebene wieder aufgenommen werden. Man muss annehmen, dass es die derzeit nicht gibt, denn kürzlich wollte der frühere kosovarische Ministerpräsident , der jetzige Außenminister, Hashim Thaci zu einem Treffen nach Serbien reisen. Aber er konnte nicht kommen, denn er musste feststellen, dass er verhaftet worden wäre, wenn er eingereist wäre. Also, den Dialog auf höchster Ebene gibt es nicht, sonst wäre er …

Aleksander Vucic:

Es gibt diesen Austausch jeden Monat zwei oder drei mal. Er wusste, dass dies geschehen würde, er kannte das Urteil von 1999. Das war für ihn nichts Neues, das war so eine Art politisches Spiel, und niemand war darüber überrascht. Aber wir sprechen miteinander. Ich glaube, ich traf ihn bisher 32 mal.

euronews:

Politisch ist das Kosovo ein kompliziertes Thema, aber ich denke auch für die Serben ist es eine sehr emotionale Angelegenheit. Das wurde noch mal besonders deutlich im letzten Oktober. Während des Qualifikationsspiels für die EURO 2016 zwischen Serbien und Albanien, als eine Drohne mit der albanischen Flagge durch das Stadion flog.

Aleksander Vucic:

Das war eine furchtbare Provokation, die sich gegen uns richtete. Und das taten sie aus einem bestimmten Grund, aber ich denke, wir haben angemessen reagiert. Wir haben die albanischen Spieler und Fans beschützt, niemand wurde verletzt.

euronews:

Aber es zeigt doch, dass es ein sehr emotionales Thema für die Serben ist.

Aleksander Vucic:

Nein, es zeigte nur, dass uns jemand provozieren wollte. Aber es zeigte sich, dass wir sehr ruhig reagiert haben, wir waren überhaupt nicht aggressiv. Und danach kam mit Edi Rama nach 70 Jahren erstmals wieder ein albanischer Regierungschef nach Belgrad, und ich empfing ihn und dann sah ich ihn noch einmal hier in Belgrad. In 10 oder 15 Tagen werde ich nach Tirana reisen und das wird der erste Besuch des serbischen Regierungschefs seit achtzig Jahren oder so sein.

euronews:

Aber unterstützen die Serben die Entspannungspolitik mit dem Kosovo?

Aleksander Vucic:

Das kann ich ihnen nicht sagen aber ganz ehrlich: Mein Job besteht darin, die Interessen dieses Landes und die seiner Menschen zu wahren. Und da ist es egal, ob das immer dem entspricht, was jeder im Land denkt oder ob all die Anderen dem zustimmen oder nicht. Wir haben die Aufgabe, Ergebnisse zu liefern. Und was wir wollen, das ist eine ruhige und sehr stabile Region. Das ist das, was wir brauchen.

euronews:

Es nährt sich bald der 20. Jahrestag des Abkommens von Dayton und des Massakers von Srebrenica. Was denken Sie, wie lange wird es dauern, bis diese Region die Vergangenheit endlich hinter sich lassen und einen Schlussstrich ziehen kann?

Aleksander Vucic:

Ich kann Ihnen sagen, die wichtigste politische Aufgabe der serbischen Regierung ist, die Wahrung der politischen und regionalen Stabilität. Und wir haben bereits viel investiert.

Zum ersten Mal seit siebzig Jahren haben wir ein Verhältnis zu Albanien, das nicht zu schlecht oder nicht schlecht ist. Es gab mehrere Gespräche in Brüssel aber auch hier in Belgrad. Nun werden wir unseren Dialog in Tirana fortsetzen.

Wir tun unser Bestes, um die territoriale Integrität und Souveränität von Bosnien Herzegowina zu wahren, natürlich unter Beachtung der Republik Srpska, als Verwaltungseinheit von Bosnien-Herzegowina.

Und wir tun unser Bestes, um mit Bosnien in den Dialog zu treten, das betrachten wir als Schlüssel für eine stabile Region. Wir pflegen sehr gute Beziehungen mit Montenegro, die besten, seit der Abspaltung von Serbien.

Und wir haben ein gutes Verhältnis zu Mazedonien, Ungarn, Bulgarien und Rumänien. Zusammen haben wir die Craiova-Gruppe ins Leben gerufen. Serbien hatte nie bessere Beziehungen zu seinen Nachbarn.

euronews:

Sie waren Informationsminister unter Slobodan Milosevic. Wenn Sie zurückschauen auf diese Zeit, wie unwohl fühlen Sie sich da? Schämen Sie sich irgendwie für ihre damalige Rolle?

Aleksander Vucic:

Über mein Amt als Informationsminister – das kann ich leicht beantworten. Ich fühle mich sehr unwohl mit dem Informations-Gesetz, das ich damals vorgelegt hatte. Ich fühlte mich sehr schlecht deswegen, aber ich war den Leuten gegenüber aufrichtig.

Es war ein sehr dummes Informations-Gesetz, und das habe ich auch öffentlich zugegeben, tausende Male.

euronews:

Was ist mit den Reden, die Sie damals im Parlament hielten? Es gibt Videos, in denen Sie sich an die internationale Gemeinschaft wenden und damit drohen, dass für jeden getöteten Serben hunderte Muslime sterben würden.

Aleksander Vucic:

Es wurde aus dem Kontext gerissen. Natürlich habe ich damals viel Dummes gesagt aber das nicht. Das wurde vollkommen aus dem Kontext gerissen.

euronews:

Sie haben das also nicht gesagt?

Aleksander Vucic:

Nicht so, nicht in diesem Kontext. Egal, ich hab nichts verschwiegen, von dem, was ich gesagt habe. Natürlich war da viel Dummes bei.

euronews:

Sie erregen Argwohn wegen ihrer Rolle als Informationsminister. Wir haben eine Frage von Aleksandar Kokotovic erhalten. Er möchte wissen, wie Sie die heutige Pressefreiheit vergleichen würden mit der in der Zeit, als Sie Informationsminister waren. Man macht sich Sorgen wegen der Meinungsfreiheit.

Aleksander Vucic:

Es ist sehr leicht, etwas gegen mich vorzubringen. Aber ich kann ihnen sagen, in diesem Land gilt die volle Pressefreiheit. Natürlich könnte es immer besser sein, und ich werde mein Bestes tun, um dies zu garantieren. Aber sie können mich kritisieren, jeder, wann und wie sie wollen. Jederzeit. Überall in der Presse und es gibt keinerlei Probleme.

euronews

Aber warum steht dann im jüngsten EU Fortschrittsbericht, man mache sich Sorgen wegen der – Zitat – “verschlechterten Bedingungen hinsichtlich der vollen Entfaltung der Meinungsfreiheit”? Und warum verlor Serbien auf der Rangliste der Pressefreiheit 13 Punkte?

Aleksander Vucic:

Was immer da gesagt wird: Wir haben drei verschiedene Gesetze, drei Medien-Gesetze mit den Vorgaben der Europäischen Kommission in Einklang gebracht. Sie wurden im Parlament verabschiedet.

euronews:

Gesetze verabschieden, das ist eine Sache. Aber wie ist es: Ist die Presse hier frei?

Aleksander Vucic:

So sehe ich das. Viele Menschen würden dem nicht zustimmen. Ich bin immer bereit mir all ihre Einwände anzuhören. Und wenn möglich versuche ich dann, bessere Bedingungen zu schaffen. Ich fürchte mich nicht davor.

euronews:

Serbien leidet seit 2009 unter der Wirtschaftskrise. Sie haben umfangreiche Sparmaßnahmen durchgesetzt. Europaweit haben diese Maßnahmen nicht so effektiv gewirkt, wie man gehofft hatte. Die Krise hält weiter an. Warum sind sie so zuversichtlich, dass die Sparmaßnahmen in Serbien etwas bewirken werden?

Aleksander Vucic:

Ich sehe die ersten Ergebnisse. Der IWF hat seine Vorhersage hinsichtlich unseres Wachstums geändert.Zunächst waren wir bei -1, dann bei -0.5 und nun stehen wir bei 0 Prozent. Ich bin sicher, dass wir noch in diesem Jahr die Rezession verlassen. Wenn so etwas trotz der Sparmaßnahmen geschieht, dann ist das schon ein kleines Wunder. Ich bin sicher, dass es so kommen wird.

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