Nicola Sturgeon: Schottlands starke Stimme

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Nicola Sturgeon ist Erste Ministerin Schottlands und Vorsitzende der Schottischen Nationalpartei. Bei den britischen Unterhauswahlen im Mai gewann

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Nicola Sturgeon ist Erste Ministerin Schottlands und Vorsitzende der Schottischen Nationalpartei. Bei den britischen Unterhauswahlen im Mai gewann die SNP unter ihrer Leitung 56 von 59 Wahlkreisen in Schottland. euronews-Reporter James Franey traf die 44-Jährige zum Interview.

euronews:
Auch der britische Premierminister David Cameron hat eine kurze Besuchsreise durch Europa gemacht, nun sind Sie in Brüssel. Was führt Sie hierher? Was erhoffen Sie sich zu erreichen?

Nicola Sturgeon:
Ich habe eine Rede im European Policy Centre gehalten und mich darin dafür ausgesprochen, dass Großbritannien – und Schottland als Teil dessen – in der Europäischen Union bleibt. In der Zeit bis zur Volksbefragung über den Verbleib Großbritanniens in der EU möchte ich den Menschen im Ausland zeigen, dass es Stimmen gibt, die dafür sind, dass Großbritannien in der Europäischen Union bleibt. Nicht, weil die EU perfekt wäre. Ich habe auch über Bereiche gesprochen, in denen Reformen sinnvoll sind. Schottlands und Großbritanniens wirtschaftliche Interessen, aber auch die sozialen und kulturellen Interessen lassen mich schlussfolgern, dass es besser wäre, EU-Mitglied zu bleiben und sich für Reformen von innen auszusprechen.

euronews:
Was hoffen Sie, realistisch gesehen, zu erreichen, wenn doch Westminster für die Beziehung zur EU zuständig ist?

Sturgeon:
Es ist kein Geheimnis, dass ich mir gewünscht hätte, dass es anders wäre. Ich wollte im vergangenen Jahr, dass Schottland für die Unabhängigkeit stimmt, doch das haben wir nicht getan. Deshalb will ich erreichen, dass Schottlands Stimme in Westminster und in der EU lauter wird. Die Vorschläge für die weitere Entwicklung beschäftigen sich mit der Rolle der schottischen Regierung in europäischen Entscheidungsprozessen und – genauer gesagt – in britischen Entscheidungsprozessen, die dann in Europa eingebracht werden. Wir sollten eine größere und formale Rolle bei der Entwicklung der britischen Position gegenüber der EU spielen. Wenn ein britischer Minister nicht in der Lage ist, eine Sitzung des Europäischen Rates zu leiten, dann sollte es ein schottischer Minister tun, wenn wir die Verantwortung für den jeweiligen Bereich erhalten haben. Es gab Fälle – beim Thema Fischerei zum Beispiel – in denen die schottischen Minister still dasitzen mussten, während ein Beamter die Ratssitzung leitete. Das ist falsch!

euronews:
Aber Großbritannien ist Mitglied der Europäischen Union und nicht Schottland.

Sturgeon:
Das akzeptiere ich. Ich möchte nicht, dass es so ist, doch ich akzeptiere es. Beim Thema Devolution geht es darum, Schottland und anderen Ländern innerhalb Großbritanniens mehr Gehör und Einfluss zu gewähren. Ich möchte, dass Schottland diese Möglichkeit in Großbritannen und innerhalb der EU ergreift. Die Leute, mit denen ich in Brüssel spreche, sind bereit, den Schotten mehr Gehör zu verschaffen.

euronews:
David Cameron wird vorgeworfen, nicht zu sagen, was er möchte, doch tatsächlich hat er das in einigen Reden getan. Finden Sie, Einwanderer aus EU-Ländern sollten ein Recht auf Zuschüsse für Geringverdienende haben, wenn sie weniger als vier Jahre in Großbritannien leben?

Sturgeon:
Es sollte überprüft werden, wie wir die Regeln und Bestimmungen rund um den Anspruch auf gewisse Leistungen ändern können, um gegen Missbrauch vorzugehen. Doch wenn man darüber hinaus geht und die Freizügigkeit einschränkt, dann ist das ein ganz anderes Thema.

euronews:
Sie wären also dagegen?

Sturgeon:
Ich muss davon noch überzeugt werden. Es gibt bereits Bestimmungen bezüglich des Aufenthaltsortes, Überprüfungen der Aufenthaltsberechtigung und Anspruchsfristen. Also ja, ich glaube, dass es Mittel und Wege gibt, die wir in Betracht ziehen sollten, um die Regeln zu verschärfen, so dass Missbrauch verhindert werden kann. Das würde sicher auch in anderen Länder unterstützt werden.
Doch die Freizügigkeit ist ein grundlegendes Prinzip der Europäischen Union. Auch wir profitieren davon, weil viele Leute aus Schottland und anderen Teilen Großbritanniens in europäischen Ländern leben und arbeiten.

euronews:
Sollten Verweise auf eine immer engere Union aus EU-Verträgen entfernt werden?

Sturgeon:
Damit konzentriert man sich auf Rhetorisches und nicht auf Inhalte.

euronews:
Herr Cameron möchte das.

Sturgeon:
Ich muss nicht mit allem übereinstimmen, was Herr Cameron möchte. Und er hat auch noch nicht erläutert, warum das so elementar wichtig ist. Großbritannien beteiligt sich nicht am Euro. Das finde ich richtig. Ich wäre auch nicht dafür, dass ein unabhängiges Schottland den Euro bekäme. Es gibt praktisch also den Grundsatz, dass eine immer engere Union nicht um jeden Preis angestrebt wird – wenn das so geschrieben steht. Warum die Verträge geändert werden müssen, um das zu betonen, ist weniger eindeutig. David Cameron läuft Gefahr, sich zu verheben, wenn er sich dieser großen, prinzipiellen Themen annimmt. Das macht es für ihn schwieriger, für die EU-Mitgliedsschaft zu argumentieren.

euronews:
Sollten sich Länder, die nicht zum Euroraum gehören, zu Entscheidungen äußern, die nur den Euroraum betreffen?

Sturgeon:
Es sollte nicht nur, es muss in die Richtung gehen, dass der Euroraum auch tatsächlich von den Ländern des Euroraumes geführt wird. In gewisser Hinsicht ist das die logische Schlussfolgerung der Position Großbritanniens. Doch Großbritannien macht manchmal den Eindruck, als wolle es von seiner Position als nicht-Euro-Land profitieren. Großbritannien will den Euro nicht, will aber weiterhin Einfluss auf Entscheidungen haben. Das sind komplexe Diskussionen, und die Länder werden ihre nationalen Interessen in diesen Diskussionen abwägen. Sie sagten, die Leute wüssten, was David Cameron will und möglicherweise ist da sogar etwas Wahres dran. Doch eines der Probleme ist, dass bei diesem Thema Einzelheiten und Erklärungen fehlen. Das ist in der derzeitgen Debatte nicht hilfreich.

euronews:
Sollte Einwanderern die Möglichkeit verweigert werden, Beihilfe für Kinder zu beantragen, die außerhalb Großbritanniens leben?

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Sturgeon:
Noch einmal, das ist eines der Beispiele, bei denen man sich mit Änderungen beschäftigen muss, um gegen Missbrauch vorzugehen. Bei manchen Themen sollte man über Änderungen diskutieren. Doch meine fast schon philosophische Meinungsverschiedenheit mit David Cameron ist, dass ich versuche, bei diesem Thema auf der Grundlage von Zusammenarbeit einen Konsens zu erreichen. Das ist besser als das, was die britische Regierung derzeit anscheinend tut: Nämlich mit dem Fuß auf den Boden zu stampfen und Drohungen auszusprechen, wenn nicht alles so läuft, wie man selbst will.

euronews:
Könnten Sie die Doppelmehrheit erklären, die Sie in Bezug auf die Volksbefragung über den Verbleib Großbritanniens in der Europäischen Union vorschlagen?

Sturgeon:
Das ist recht einfach. Großbritannien ist kein einheitlicher, sondern ein multinationaler Staat. Während der Debatte über die schottische Unabhängigkeit wurde gesagt, jede Nation sei gleichberechtigt. Wenn das stimmt, wäre es für Schottland, Wales oder Nordirland falsch, aus der EU auszuscheiden. England kann uns überstimmen, weil es eine größere Bevölkerung hat. Die Vereinbarung einer Doppelmehrheit…

euronews:
Ist das demokratisch?

Sturgeon:
Lassen Sie mich meine Erklärung beenden, danach sage ich, warum es unbedingt demokratisch ist. Vereinbarungen wie die Doppelmehrheit sind in föderalen Systemen üblich. Es würde bedeuten, dass Großbritannien nur aus der EU austreten kann, wenn England, Wales, Nordirland und Schottland für einen Austritt stimmen. Das ist demokratischer als ein Land gegen seinen Willen aus der EU zu nehmen.

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euronews:
Es ist aber eine Volksbefragung über die britische EU-Mitgliedsschaft und nicht über die der einzelnen Länder.

Sturgeon:
Großbritannien ist aber kein einheitlicher Staat. Um genau zu sein: Das Vereinigte Königreich ist kein einheitlicher Staat.
Man kann nicht argumentieren, dass es richtig wäre, wenn Schottland aus der EU scheidet, selbst wenn es anders abgestimmt hat. Wenn man sich die Konsequenzen für Arbeitsplätze, Investitionen, unsere Gesellschaft und unsere Identität anschaut, dann sind die anderen diejenigen, die für eine undemokratische Sache sind.

euronews:
Sie würden Ihr Veto einlegen, wenn die anderen Länder für den Austritt stimmen?

Sturgeon:
Ich habe während des Unabhängigkeitsreferendums dargelegt, dass Schottland auf eigene Faust EU-Mitglied sein sollte. Doch dazu kommt es nicht, wir müssen das Wesen des Vereinigten Königreiches anerkennen. Es ist kein einheitlicher Staat, es ist ein multinationaler Staat. Wenn man ein multinationaler Staat sein will, der aufrichtig alle Stimmen seiner Nationen zulässt, dann sind Kompromisse nötig. Für Schottland wäre es grundlegend undemokratisch, aus der EU ausscheiden zu müssen, wenn es in einer Volksbefragung selbst für einen Verbleib gestimmt hätte.

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