Politikexperte Pierini: "Die Türkei ist wirtschaftlich in Europa verankert"

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Der Ausgang der Wahl in der Türkei verändert nicht nur das Land selbst sondern könnte sich auch auf die Beziehungen zur EU auswirken. Der jüngste

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Der Ausgang der Wahl in der Türkei verändert nicht nur das Land selbst sondern könnte sich auch auf die Beziehungen zur EU auswirken.

Der jüngste Fortschrittsbericht, mit dem die EU-Kommission einmal pro Jahr prüft, ob der jeweilige Kandidat für den Beitritt reif ist, war zwar schlecht ausgefallen, doch Brüssel hatte zugleich deutlich gemacht, dass die Türe offen bleibe. Man wolle mit dem neuen Parlament und der künftigen Regierung zusammenarbeiten, so eine Sprecherin der Kommission. Man hoffe, die Beziehungen zwischen der EU und der Türkei und die Zusammenarbeit zu verstärken.

An dem Führungsstil des früheren Regierungschefs Recep Tayyip Erdogan, der sich im vergangenen August zum Präsidenten wählen ließ, hatte es in Brüssel wiederholt Kritik gegeben. Anlass dazu waren unter anderem die massive Entlassung von Polizisten, Anwälten und Richtern, oder die Blockade von Internetplattformen. Gewürdigt aber wurden die Aussöhnungsversuche mit der kurdischen Volksgruppe. Die pro-kurdische HDP brachte Erdogan nun die Niederlage bei.

euronews:
Über die Wahl sprachen mit dem Politikexperten Marc Pierini.

“Herr Pierini, herzlich willkommen. Die Beitrittsgespräche mit der Türkei liegen auf Eis. Könnten die Ergebnisse der Wahlen ein neues Kapitel in den Beziehungen zwischen der Türkei und der EU eröffnen?”

Marc Pierini:
“Aus europäischer Sicht ist es wichtig, dass das politische Gleichgewicht zurückgekehrt ist. Die Regierungspartei AKP sollte sich der Realität nicht verweigern. Das Wahlergebnis ist für die Führung der AKP vermutlich überraschend, nachdem die Partei zwölfeinhalb Jahre an der Macht war, ohne sie teilen zu müssen, was in einer Demokratie eine sehr lange Zeit ist. Die Veränderung hat sich sanft vollzogen, sie folgt dem nationalen Willen. Es gilt abzuwarten, was weiter passiert.”

euronews:
“Im Hinblick auf das von Erdogan angepeilte Präsidialsystem war es eine Testwahl. Wie schätzen Sie die Ergebnisse – von diesem Standpunkt aus betrachtet – ein? Welches ist der Standpunkt der EU zu diesem Thema?”

Marc Pierini:
“Für die Europäische Union gibt es vier wichtige Dinge: Der Rechtsstaat muss wieder das werden, was er vor 18 oder 24 Monaten war. Zweitens muss die Pressefreiheit, die in dieser Zeit stark eingeschränkt worden ist, wiederhergestellt werden. Drittens geht es um die Wirtschaftspolitik, vor allem um die Unabhängigkeit der Zentralbank, was für Investitionen in der Türkei von fundamentaler Bedeutung ist. Viertens aber stellt sich die Frage, ob sich die Außenpolitik stärker an den westlichen Interessen der Türkei ausrichten wird. Diese vier Punkte werden Gegenstand einer Regierungsvereinbarung sein, sollte es zu einer Koalition kommen. Wenn es soweit ist, kann man darüber urteilen.”

euronews:
“Sieht man vom Wahlergebnis ab: Gibt es noch einen Dialog zwischen der Europäischen Union und der Türkei?”

Marc Pierini:
“Ja, natürlich. Wie wir wissen, befinden sich die Beitrittsverhandlungen seit einigen Monaten eher an einem toten Punkt. Weil der Rechtsstaat zurückgedrängt wurde, kann man heute nicht mehr sagen, die Türkei erfülle die Beitrittskriterien. Doch alle anderen Wege der Zusammenarbeit sind offen: Bei der Modernisierung der Zollunion wurden die ersten Schritte getan, der Dialog über Visaerleichterungen und die Rückführung von Migranten wird fortgesetzt. Auch der Dialog über eine Zusammenarbeit im Kampf gegen den Terrorismus wird fortgesetzt, selbst wenn er schwierig ist. Das Erasmus-Programm für die Türkei ist ein sehr großer Erfolg. Die Zusammenarbeit ist also sehr intensiv. Ich denke, dass es wichtig ist, festzustellen, dass die Wahlen zwei grundlegende Dinge nicht verändert haben: Die Türkei ist wirtschaftlich in Europa verankert, was Handel, Investitionen und Technologie anbelangt. Zweitens gehört die Türkei sicherheitspolitisch zum Westen, zur Nato, was sich so bald nicht ändern wird. Dem muss man auch in Zukunft Rechnung tragen.”

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