Internationale Pressestimmen zu Thalys-Vorfall und Flüchtlingen

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Von Euronews
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Zum Angriff in einem Thalys-Zug

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Die “FAZ” aus Frakfurt kommentiert: “Was immer der Täter im Schilde geführt haben mag, eines ist klar: Beim Thema Sicherheit des Bahnverkehrs ist noch viel Luft nach oben. Angesichts der schieren Menge an Passagieren ist es unrealistisch, für alle Züge Sicherheitsvorkehrungen wie an Flughäfen zu treffen. Es ist zu hoffen, dass die Maßnahmen, die für die Züge unter dem Ärmelkanal nach Großbritannien gelten, einem potenziellen Attentäter sein Vorhaben zumindest erschwert hätten. Vorbilder für erhöhte Sicherheit gibt es also. Unabhängig vom persönlichen Hintergrund des Täters, bestätigt sich ein weiteres Mal das grundsätzliche Dilemma der Behörden. Sie erfahren sehr viel. Dann aber verhindern ganz praktische und im Einzelfall auch verständliche Dinge eine konsequente, kontinuierliche Verfolgung einmal erkannter Spuren und potenzieller Täter.”

“Le Figaro” aus Frankreich schreibt: “Der vereitelte Anschlag im Thalys sollte zumindestens den einen Vorteil haben, unser noch eingeschlafenes Verantwortungsbewusstsein zu wecken. Was bringt es, Tausende Dateien über Verdächtige anzulegen, wenn potenzielle Terroristen freigelassen werden, und anschließend ungehindert durch Europa reisen können? Unsere Gesellschaft entdeckt ihre Machtlosigkeit angesichts des beispiellosen Krieges, den der radikale Islamismus gegen uns führt. Dagegen helfen alle Notrufnummern dieser Welt nichts. Unsere Gesellschaft muss eine ganz andere Logistik entwickeln.”

Die französische Tageszeitung “La Croix” meint: “Europa sieht sich nach diesem Anschlag im Thalys mit einer Art von Terrorismus konfrontiert, der kaum vorhersehbar ist. Einzelpersonen schreiten fast spontan zur Tat, ohne Mitglieder einer Gruppe zu sein, die sie logistisch unterstützt. Sie fürchten anscheinend weder Festnahme noch den Tod, und töten völlig willkürlich. Die Behörden können da kaum präventiv handeln. Es wird kein Null-Risiko geben, zumal die Gesellschaft kaum eine ständige Überwachung und langwierige Kontrollen in öffentlichen Verkehrsmitteln akzeptieren würde. In einer derartigen Situation ist jeder Bürger aufgerufen, wachsam zu sein. Man muss seinen Sinn für verdächtiges Verhalten schärfen und notfalls handeln.”

Der britische “Guardian” kommentiert: “Klassisches Heldentum erfordert Eigenschaften wie Edelmut, Opferbereitschaft und außergewöhnlichen Mut. In unserem Zeitalter besteht wahres Heldentum in dem Kontrast zwischen außergewöhnlichen Taten, die von normalen Menschen begangen werden. Die Gesellschaft braucht ihre Helden. In die Geschichte eingegangen sind eher die Namen derjenigen, die im Militär dienen und von Berufs wegen dem Tod entgegentreten. Doch Heldentum hat viele Formen. Der Student aus Sacramento, Anthony Sadler, hat es auf einer Pressekonferenz in Paris so ausgedrückt: Auf die Frage, ob aus dem Angriff Lehren zu ziehen seien, sagte er, wichtig sei es, nicht tatenlos zu bleiben und zuzuschauen.”

Flüchtlingskrise in Europa

Die Wiener Zeitung “Der Standard” schreibt: “Anders als oft behauptet kommen Syrer und Iraker nicht nach Europa, weil sie um ihr Leben fürchten. Denn aus dem Kriegsgebiet gelangen sie zuerst in die Nachbarländer Jordanien, Libanon und Türkei. Dort sind sie nicht mehr vom Tod bedroht, aber mit furchtbaren Lebensbedingungen konfrontiert. Diese Länder haben bei der Flüchtlingshilfe Großes geleistet, wurden aber – so wie die internationalen Organisationen – von Europa im Stich gelassen. (…) Viele Chancen wurden bereits versäumt, die Situation der Flüchtlinge in der Region zu verbessern. Aber auch jetzt noch wäre es etwa möglich, ein Abkommen mit der Türkei zu schließen, bei dem die EU-Staaten mehrere Milliarden im Jahr zur Verfügung stellen, damit aus Lagern Ortschaften entstehen, in denen ein menschenwürdiges Leben nahe der alten Heimat möglich ist.”

Die dänische Tageszeitung “Berlingske” schreibt: “Europa kann und darf kein Kontinent für die Einwanderung armer Afrikaner und von Leuten aus dem Mittleren Osten sein, die aus wirtschaftlichen Gründen ein besseres Leben suchen. Man kann weder Stacheldraht errichten, noch Mauern um Europa bauen, auch wenn das das ist, was man in Ungarn versucht. Aber man kann eine klare Botschaft senden und die unbegründeten Asylbewerber auf eine Weise und in einem Tempo behandeln, dass sie nicht im Zweifel darüber sind, dass ihre Zukunft nicht in Europa liegt. Sie sollten so schnell wie möglich in das Land zurückgeschickt werden, aus dem sie kommen, damit sie die Nachricht verbreiten können, dass die Tore nach Europa für wirtschaftliche Flüchtlinge geschlossen sind.”

“Sega” aus Bulgarien meint: “Es ist nicht physisch, noch weniger wirtschaftlich tragbar, dass halb Osteuropa und jetzt auch Millionen potenzielle Immigranten aus Kleinasien und Afrika nun in Westeuropa und vor allem in Deutschland hereinplatzen, um frisches Brot und ein geordnetes Leben zu verlangen. Wir beobachten nun eine neue Völkerwanderung … . Die Regierungen aller Staaten stöhnen, haben aber offensichtlich keine sinnvollen Ideen, wie sie die Zuwanderung in Griff bekommen sollen.

Es ist aber eine gewaltige Dummheit, das System der Freizügigkeit im Schengen(-Raum) zu zerstören, indem ein Staat nach dem anderen ihn verlässt. Es ist dumm, Randstaaten der EU wie Bulgarien und Rumänien außerhalb der Schengen-Zone zu halten. Es ist unzulässig, die Regeln gemäß der Realität zu ändern – die sollten verbessert, und nicht abgeschafft werden in Richtung des Primitivismus von Visa und Drahtzäunen. Da die Ziele der neuen Völkerwanderung vor allem wirtschaftliche sind, muss auch die strategische Lösung angemessen sein – die neuen Regeln sollten also wirtschaftlich und flexibel sein, so dass sie die Integration nicht behindern.”

Die ungarische Zeitung “Nepszava”: “Wie weit Europa damit kommt, wenn es auf (den ungarischen Regierungschef Viktor) Orban hört und … die Flüchtlingsproblematik auf die einzelnen Nationalstaaten abwälzt, hat Mazedonien gezeigt. Das kleine Balkanland, das nicht zur EU gehört, … hat demonstriert, wozu es gezwungen ist, wenn es auf sich gestellt bleibt: zu Ausnahmezustand, Tränengas, Blendgranaten. … Das geopolitische Gewicht des Balkans lastet von Tag zu Tag schwerer auf den Schultern der Union. Umso mehr wäre dies ein Grund, die Region als Teil des Westens zu betrachten. Orban mag ja gerne glauben, dass das christliche Europa am Drahtzaun endet, den er an der serbischen Grenze hochziehen lässt. Doch Europas Grenzen verlaufen in Wirklichkeit viel weiter im Süden. Selbst dann, wenn die Schengen-Zone derzeit noch an Orbans Zaun, am nationalen ungarischen Fuchsbau, endet.”

Die “Stuttgarter Zeitung” meint: “Die Kanzlerin bleibt wieder einmal merkwürdig still. Kein klares Wort von Angela Merkel etwa zum Gewaltexzess in Sachsen, obwohl sich offenbar auch bisher unbescholtene Bürger daran beteiligen. Das ist das Reservoir, aus dem die rechtsradikalen Parteien schöpfen können. Somit bräuchte es eine klare Ansage, wo sie in dieser Frage steht – auf der Seite der Fremden nämlich, die nach der Flucht eine Atempause ohne Angst vor Übergriffen verdienen. Die vielfach demonstrierte Willkommenskultur ist ein fragiles Fundament – die Regierung darf sie nicht verspielen.”

“Die Welt” kommentiert die Proteste gegen eine Flüchtlingsunterkunft in Heidenau: “Dass Sachsen ein Hotspot auf der deutschen Rechtsextremismus-Landkarte ist, weiß man seit Jahrzehnten. Die Linie des Rechtsextremismus in Sachsen muss man wohl eine historische nennen. Das weiß auch Sachsens derzeit amtierender Innenminister Markus Ulbig (CDU). Es ist deshalb völlig unverständlich, wie unter seiner Verantwortung zwei Nächte in Folge Polizeieinheiten offensichtlich völlig unvorbereitet in eine regelrechte Schlacht mit organisiert herbeigeführten rechten Krawallmachern geraten konnten. Statt auf den vorhandenen Ressourcen der Extremismus-Bekämpfung aufzubauen, hat Ulbig wie ein blutiger Anfänger die Beamten buchstäblich ins Feuer geschickt, die Asylbewerber bedrohlichen Situationen ausgesetzt und dem Ansehen Deutschlands in der Welt schweren Schaden zugefügt. Er sollte gehen.”

“De Standaard” aus Belgien: “Nicht allein der zunehmende Terrorismus droht, den Vertrag von Schengen (über den freien Reiseverkehr in der EU) zu untergraben. Auch angesichts der Flüchtlingskrise wird für eine Anpassung – also eine Einschränkung – der Schengen-Regeln plädiert. Doch damit würde man höchstens Symptome einer Krise bekämpfen, nicht aber ihre Ursachen. Zu großen Teilen haben beide Krisen die selben Ursachen: das Erstarken der Terrororganisation IS sowie die Instabilität und das Chaos in einem Teil des Nahen Ostens. Dies zu bekämpfen, indem man europäische Errungenschaften abbaut, wäre die falsche Antwort. Wenn wir Schengen aufgeben, dann fällt ein Eckpfeiler des europäischen Projekts. (…) Die Antwort kann daher nicht weniger, sondern nur mehr Europa sein. Niemals war die Notwendigkeit einer gemeinsamen Außenpolitik, einer gemeinsamen Migrationspolitik und einer gemeinsamen Sicherheitspolitik so groß.”

(Quelle: dpa)

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