Vorreiterrolle oder Dilemma: Merkel rutscht in der Flüchtlingskrise ab

Vorreiterrolle oder Dilemma: Merkel rutscht in der Flüchtlingskrise ab
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Von Kirsten Ripper
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In der Flüchtlingskrise sieht es plötzlich so aus, als stehe die deutsche Kanzlerin Angela Merkel alleine da mit ihrer “Wir-schaffen-das”-Haltung, die sie allem Gegenwind zum Trotz tapfer weiter vorbringt. Sogar Merkels treuer Innenminister Thomas de Maizière verlangt inzwischen “Dankbarkeit” von den Asylbewerbern und schlägt härtere Töne gegen die Flüchtlinge an.

Während noch immer 73 Prozent der Menschen in Deutschland Merkel in einer Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen eine gute Politik bescheinigen, teilen nur etwa 50 Prozent die Haltung der Kanzlerin zu den Flüchtlingen.

Nicht mehr unsere Merkel titelt die ZEIT zur parteiinternen Kritik an der Kanzlerin. Matthias Geis und Tina Hildebrandt schreiben darin: “Jahrelang behauptete Merkel, die CDU folge nicht dem Zeitgeist, sie präge ihn. Das stimmte nicht, sollte aber dem innerparteilichen Opportunismusverdacht entgegenwirken. Jetzt jedoch hat Merkel in einer entscheidenden Frage die Vorreiterrolle übernommen, mit der sie den deutschen Zeitgeist prägt. Es könnte der Punkt sein, an dem ihre Partei ihr nicht mehr folgen will.”

In den Umfragen ziehen plötzlich SPD-Politiker an der Kanzlerin vorbei. Auf dem Spitzenplatz im Ranking des Spiegel steht jetzt der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Angela Merkel landet auf Platz vier – hinter Steinmeier, Finanzminister Wolfgang Schäuble und Präsident Joachim Gauck. Schäuble und Gauck vertreten in der Flüchtlingskrise die Ansicht, dass die Kanzlerin eingestehen solle, dass Deutschland den Asylbewerbern nicht unbegrenzt helfen kann.

Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer, der gerade den ungarischen Hardliner Viktor Orban eingeladen hatte, gewinnt in der Spiegel-Liste sechs Prozentpunkte hinzu. Die Proteste vor dem Treffen mit dem Zäunebauer Orban verhallen offenbar ungehört.

Bei den Flüchtlingen und Migranten erfreut sich “Mama Merkel” enormer Beliebtheit. Kritiker fragen sich dann: Ist das die Kanzlerin der Flüchtlinge oder die der Deutschen?
Andererseits könnte Die Selfies mit der Kanzlerin stellen aber auch den eigenen Wählern eine gefühlvolle Regierungschefin dar – ganz anders als die herzlose Merkel, die junge Palästinenserin beim Bürgergespräch mal streicheln wollte und damit zum Weinen brachte.

In Frankreich wird die Haltung der deutschen Kanzlerin in der Flüchtlingskrise in den Medien oft gelobt, Analysten unterstreichen, dass Angela Merkel nach dem Negativ-Image in der Griechenland-Krise nun ein positives Bild geschaffen habe. Die Vorreiter-Rolle der Kanzlerin steht im Fokus.

Doch auf der britischen Insel sehen das einige ganz anders. Dort spricht der Politologe Anthony Glees von Deutschland als einem gefühlsgeleiteten Hippie-Staat. Anders als Großbritannien greife Deutschland nicht militärisch in Syrien gegen ISIL ein, Merkel setze auf Herz statt auf Hirn.

Aus London droht auch das nächste Ungemach. Da wird Angela Merkel schon wieder als Buhfrau auf Plakaten abgedruckt – nämlich auf denen der EU-Gegner in der Kampagne vor dem Referendum zum Verbleib Großbritanniens in der Europäischen Union.

This postcard was in the letterbox of a friend in London. I fear this is just the start of an awful #brexit campaign pic.twitter.com/g4tgrAjYLc

— Anne Laumen (@AnneLaumen) October 4, 2015

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