"Libyen an der Wegscheide": Milizführer Ibrahim Dschadran im Gespräch

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Der UNO-Vermittler in Libyen hat für das tief gespaltene Land letzten Monat eine Übergangsregierung vorgeschlagen. Dieser “Regierung der nationalen

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Der UNO-Vermittler in Libyen hat für das tief gespaltene Land letzten Monat eine Übergangsregierung vorgeschlagen.

Dieser “Regierung der nationalen Einheit” sollen verschiedene Konfliktseiten und Landesteile angehören. Die beiden bisher konkurrierenden Regierungen und Parlamente müssen diesem Vorschlag aber zustimmen.

Vermittler Bernardino León sagte nun aber der italienischen Zeitung “La Repubblica”, einige Personen in den beiden Lagern würden die Einigung sabotieren: Wenn das so weitergehe, werde es Sanktionen geben. Zuvor hatte auch schon die EU Sanktionen angedroht.

Das international anerkannte Parlament im ostlibyschen Tobruk lehnte vor zwei Wochen den UNO-Vorschlag ab. Der Kompromiss sah eine Zusammenarbeit mit der rivalisierenden islamistischen Regierung samt Parlament in der Hauptstadt Tripolis vor.

Der Weg zu einem stabilen Libyen führt offenbar nur über Männer wie Ibrahim Dschadran, einen Milizführer und einflussreichen Mann im Osten Libyens, dem Gebiet der Kyrenaika, auf Arabisch Barka.

Er und seine Verbündeten wollen dieses Gebiet möglichst unabhängig von der libyschen Regierung unter eigener Kontrolle halten. Dazu bemühen sie das Konzept des Föderalismus und sehen die Zentralregierung nur als zuständig für Außenpolitik und Verteidigung.

Im Ausland sind Dschadran und seine Männer jedoch vor allem bekannt wegen des Versuchs, letztes Jahr einen Tanker mit Erdöl aus Libyen herauszuschleusen und das Öl auf eigene Faust zu verkaufen, an der Regierung vorbei.

Die Regierung konnte diesen Versuch nicht aufhalten, letztlich erledigten das für sie aber amerikanische Spezialtruppen.

Euronews hat nun mit Ibrahim Dschadran gesprochen und ihn zunächst gefragt, wie er die jetzige Lage in Libyen sieht, und wo er selbst mit seiner Miliz in diesem Konflikt steht.

Ibrahim Dschadran: Libyen steht an einer Wegscheide: Entweder hat die Regierung der nationalen Aussöhnung Erfolg, oder die Teilung und Zersplitterung des Landes geht noch weiter voran. Wir hoffen aber, dass diese Regierung für Libyen Sicherheit und Stabilität erreichen kann.

Euronews: Kann diese Regierung schaffen, was andere Regierungen zuvor nicht geschafft haben?

Dschadran: Da gibt es keinen Zweifel. Ich bin zuversichtlich, dass diese Regierung schnell das Ansehen und die Souveränität des libyschen Staats wiederherstellen kann, ebenso wie soziale Gerechtigkeit und die Arbeitsfähigkeit von Justiz- und Sicherheitsorganen, wie Armee und Polizei.

Euronews: Was sind dabei die Hauptprobleme der Regierung?

Dschadran: Es gibt politische Streitpunkte, außerdem Meinungsverschiedenheiten zwischen sozialen und Stammesgruppen. Dazu kommen islamistische Gruppen, vor allem die Moslembruderschaft, die sich nicht als Teil des libyschen Volkes sehen und ihre Interessen vor die der Allgemeinheit stellen.

Euronews: Sie haben sich aber selbst nicht an Beschlüsse der früheren Regierung gehalten. Ihre Miliz hat die Kontrolle über große Erdölfelder übernommen. Warum sollten sich jetzt andere an die Beschlüsse dieser Regierung halten?

Dschadran: Ich habe keine Miliz. Ich leite den Schutz der Erdöleinrichtungen, und dazu arbeite ich in Mittellibyen mit dieser Gruppe zusammen. Das ist eine staatstreue Sicherheitstruppe, so wie die Polizei.

Ich will aber auch sagen, dass die letzte Regierung mich bestechen wollte und mich bedroht hat, damit ich in ihrem Sinne handele. Das habe ich abgelehnt und eine Untersuchung der Ölausfuhren seit 2011 gefordert, und das ist die wahre Ursache für meinen Streit mit der ehemaligen Regierung.

Euronews: Trotzdem kann Ihr Verhalten ein Anreiz für andere Milizführer sein, sich die Kontrolle über Ölfelder und Gebiete zu verschaffen. Sie selber haben ja die Teilung Libyens damit vorangetrieben.

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Dschadran: Wir waren maßgeblich am Kampf gegen die Herrschaft von Muammar Gaddafi beteiligt, wir haben diese Städte und Ölfelder von seinen Truppen befreit.

Unser Stamm hat dabei an vorderster Front gekämpft, im sogenannten libyschen Erdöl-Halbmond zwischen Sidra und Ras Lanuf bis nach Brega und Suwetina. Mit uns haben unsere Brüder zum Beispiel in Tobruk gekämpft, wo der Hafen Harika liegt.

Euronews: Sie beschuldigen die ehemalige Regierung des Ölschmuggels und der Korruption, kontrollieren aber selbst nach eigenen Angaben fünf Ölhäfen und einen enormen Reichtum. Wer überwacht Ihre Ölausfuhren und die Milliarden, die Sie damit verdienen?

Dschadran: Wir haben Erdöl ausgeführt, weil die letzte Regierung ihre Pflichten nicht erfüllt und auf unsere Forderungen nicht reagiert hat, wie die nach Ermittlungen oder nach sozialer Gerechtigkeit. Wir haben damit im Rahmen der Verfassung von 1951 gehandelt. Einen großen Tanker mit Erdöl haben wir bereits vor den Augen der ganzen Welt ausgeführt.

Euronews: Wohin exportieren Sie jetzt Ihr Öl?

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Dschadran: Seit damals haben wir kein Öl mehr ausgeführt, das war der einzige Tanker. Das Schiff sollte nach Griechenland und nicht nach Nordkorea, auch wenn es unter nordkoreanischer Flagge fuhr.

Euronews: Und was ist mit dem Vorwurf, dass Sie immer noch Öl schmuggeln?

Dschadran: Seit dem Zwischenfall mit diesem Tanker haben wir keinen einzigen Tropfen Öl oder Gas mehr ausgeführt.

Euronews: Wenn das so ist, wie bezahlen Sie Ihre zwanzigtausend Kämpfer?

Dschadran: Wir haben unsere Leute früher durch Geschäftsleute und Firmen bezahlt, die mit dem Wachschutz der Erdöleinrichtungen zusammenarbeiteten. Dafür habe ich persönlich gebürgt.

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Dann gab es ein Abkommen mit der Regierung von Abdullah Thani, der sich verpflichtet hat, den Geschäftsleuten das Geld zu zahlen. Das Abkommen garantierte den Wachschutzmitarbeitern ein Jahr volles Gehalt. Mit dem Verteidigungsminister der Thani-Regierung haben wir auch ein Abkommen, das die weitere Finanzierung sicherstellt.

Euronews: Wie sehen Sie die Chancen auf Frieden in Libyen?

Dschadran: Frieden in Libyen ist möglich, wenn die Weltgemeinschaft die Übergangsregierung unterstützt. Die Regierung muss ihrerseits ohne Verzögerung mit den nötigen Kräften im Land zusammenarbeiten.

Frieden ist möglich, besonders weil die Libyer viel durchgemacht haben und jetzt Sicherheit und Stabilität in ihrem Leben wollen.

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