Kohle oder Klima?

Kohle oder Klima?
Von Hans von der Brelie mit Alexander Preuss (Kamera)
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Warum verzögert sich Deutschlands Kohle-Ausstieg? Weshalb schafft Großbritannien die Kohle-Wende? Wieso plant Polen den Aufschluss neuer Tagebau-Kohlegruben? Europas Energiepolitik ist ein großes D

Die unbeugsame Familie Penk

Die Abrissbagger holen sich noch ein sorbisches Haus, machen Platz für den Braunkohle-Tagebau. Wir sind in Rohne, einem Dörfchen in der Lausitz, im Osten Deutschlands, im Siedlungsgebiet der Sorben. Auch Christian Penk gehört zu dieser ethnischen Minderheit. Mit dem Fotoapparat dokumentiert er seit Jahren schon sorbische Kultur und Natur – bevor die Maschinen seine Heimat in eine Mondlandschaft verwandeln.

Familie Penk hält stand. Die Penks wollen bleiben. Hier in Rohne. Christians Mutter Edith Penk will kämpfen: “Hier sollen 1700 Leute umgesiedelt werden. Aber durch diese Abbaggerung der Orte geht Geschichte verloren, geht Landschaft verloren. Hier sind die Orte, die weggebaggert werden, hier ist das Abbaugebiet 1, hier käme das Abbaugebiet 2… und hier wohnen wir. Das würde das Loch werden.”

Christian kümmert sich um das Grab seiner Oma. Auch dieser kleine sorbische Waldfriedhof am Rande von Rohne könnte eines Tages den Baggerschaufeln weichen. Die Sorben fürchten nicht nur um ihre Geschichte und kulturellen Wurzeln – sondern gewissermaßen auch um ihr Leben. “Wir leben hier zwischen drei Kraftwerken, ja, und das höchste Gut ist die Gesundheit. Viele Leute sind krebskrank”, so Christian.

Doch existiert wirklich eine direkte Verbindung zwischen Krebserkrankungen einerseits und Braunkohleverstromung und Luftverschmutzung andererseits? Die Penks fordern eine breit angelegte Untersuchung – denn auch in ihrer Familie hat der Krebs zugeschlagen.

Leben mit der Bedrohung

Die bereits ausgekohlten Tagebaugebiete sind auf der Karte gelb gekennzeichnet. Orange bedeutet: hier wird gebaggert. Und rot, das sind die umstrittenen Ausbaupläne auf beiden Seiten der Grenze. Wird auch Proschim abgebaggert? Wann fällt die Dorfkirche? Manche Anwohner fügen sich, akzeptieren die Umsiedlung, andere nicht. Die Spaltung geht durch Dörfer, durch Familien. Oft ganz direkt abhängig vom Beruf: viele der heute etwa 8000 Braunkohlebeschäftigten von Vattenfall leben in der Nähe der Grube – und haben nichts einzuwenden gegen ein moderneres Häuschen, einen Umzug, etwas Neues. Viele Landwirte hingegen hängen an Ihrer Scholle, wollen nicht weg.

Die dreckigsten Kraftwerke in der EU

*Source: 2013, Europe's dirty 30 - CAN Europe and WWF*Gleich hinter der großen Biogasanlage von Proschim treffen wir Hagen Rösch. Wir sind die Lausitz steht auf seiner Visitenkarte. Der Diplom-Kaufmann ist mehr Manager als Landwirt. Die hungrigen Braunkohlebagger haben bereits Unmengen seines Acker- und Weidelandes verschlungen: “Unser Unternehmen hat in den letzten Jahrzehnten Flächen in biblischem Umfang an den Bergbau verloren. 200 Arbeitsplätze sind bereits weggefallen durch den Bergbau… Wir haben heute fast 30 Prozent erneuerbare Energien in Deutschland. Braunkohle ist entbehrlich geworden. Und weil wir einen Stromüberschuss haben, ist der Strompreis auch im Keller. Und deswegen brauchen wir Braunkohle und Umweltzerstörung heute nicht mehr.”

Hagen Rösch ärgert sich darüber, dass die Braunkohleunternehmen so tun, als gebe es die Arbeitsplätze nur in Kraftwerk und Grube, “aber bei uns arbeiten doch auch Leute”… bei Rösch sind es heute immerhin noch 80. “Allerdings habe ich mehr als nur Hoffnung”, lächelt der Mann mit den breiten Schultern – und verweist auf die Zahlen (“Da kenne ich mich aus…”). Mit Braunkohle könne man heutzutage einfach keinen Gewinn mehr einfahren, der Aufschluss neuer Gruben mache betriebswirtschaftlich einfach keinen Sinn mehr. Kurz, Rösch glaubt fest, dass sein Dorf, sein Betrieb überleben werden – obwohl die Tagebauausbaupläne von diversen regionalen Gebietskörperschaften und politischen Entscheidungsgremien bereits weitgehend abgenickt wurden. Doch noch sind die letzten juristischen Schlachten nicht geschlagen, die Zukunft scheint (wieder) offen.

Die verschwundenen Dörfer

Zweisprachige Ortsschilder weisen den Weg im neugebauten Horno auf Deutsch und Sorbisch. Alt-Horno existiert nicht mehr. Die meisten Bewohner leben nun in Neu-Horno. Auch die Kirche ist brandneu.

Unter deren Dach zeigt uns Thomas Burchardt 29 Holzmodelle: diese Gotteshäuser gibt es nicht mehr. Sie wurden der Braunkohle geopfert. Als Jugendlicher sah Thomas Burchardt das Werk der Zerstörung mit eigenen Augen. Thomas engagiert sich in der Bürgerinitiative Klinger Runde für den Erhalt seiner Heimat. Er erinnert sich noch gut daran, als Horno dem Erdboden gleich gemacht wurde: “Ich habe das Dorf sterben sehen, so wie man merkt, dass es los geht, wie die Bäume abgerissen werden, wie die Bürgersteige ausgerissen werden, wie so ein Dorf zerpflückt wird – das tut richtig weh… Die energiepolitische Notwendigkeit fehlt: wir haben massiven Stromexport. Für Exporte muss die Lausitz nicht verheizt werden. Wir haben zweitens das Klima: Braunkohle ist der schmutzigste Energieträger."

Thomas nimmt uns mit in das Archiv der verschwundenen Dörfer. Mit einem interaktiven Rollator reisen wir in die Vergangenheit der sorbischen Siedlungen. Auch Thomas ist Sorbe – und vertritt deren Interessen im regionalen Braunkohleausschuss. Er erzählt:

“Von den 136 bisher abgebaggerten Dörfern war ein erheblicher Teil sorbische Dörfer. Dort ist ein unwiederbringlicher Schatz verlorengegangen. Zweitens geniesst das sorbische Siedlungsgebiet Verfassungsschutz und jeder Angriff auf sorbisches Siedlungsgebiet ist ein Verfassungsbruch der Landesregierung.”

Die Macht der Kohlekraftlobby

Kraftwerke und Tagebau gehören Vattenfall, einem schwedischen Unternehmen. Vattenfall will sich verabschieden von der Braunkohle und sucht dringend einen Käufer. Thoralf Schirmer, der Vattenfall -Sprecher in Cottbus betont, dass Braunkohle zumindest für eine Übergangsperiode noch gebraucht werde: “Wer erzeugt den Strom, wenn Wind und Sonne nicht da sind? Wie sieht es aus mit Speicherkapazitäten? Das alles sind Fragen, die aus meiner Sicht noch nicht wirklich geklärt sind und deswegen ist unsere Annahme, dass es sehr wahrscheinlich ist, dass die Braunkohlenförderung und auch die Stromerzeugung aus Braunkohle noch über die 2020er Jahre hinausreichen wird – bis 2030 oder bis 2050 vielleicht sogar…”

Doch Deutschland müsste bis 2040 komplett aus der Kohle aussteigen, um das Klimaschutzziel zu erreichen. Noch im Frühjahr plante die Regierung eine Klimaabgabe. Dann kam die Kohle-Lobby: Jetzt kassiert die Branche 1,6 Milliarden Euro Steuergelder für eine sogenannte Kohlereserve. Stillgelegt wird später… Das muss man sich als eine Stand-By-Kraftwerk vorstellen, es läuft nicht – könnte aber (im Notfall) wieder laufen. Vattenfall verteidigt sich, das sei keine Subvention oder Beihilfe – sondern eben der Preis für eine Dienstleistung: die Vorhaltung von Reservekapazitäten.

Top-Experten wie Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung sind entsetzt. Sie betont: “Das Problem liegt in Deutschland vor allem daran, dass man eine sehr starke Kohle-Lobby hat. Es könnte sein, dass der Kohlekompromiss versteckte Beihilfen beinhaltet und damit wäre er nicht mit EU-Recht kompatibel. Gerade weil man hier eine indirekte Subventionierung vonstatten gehen lässt für alte, ineffiziente Kohlekraftwerke – und das kann in der Tat eine Beihilfe sein. Die Juristen streiten sich noch, aber es ist durchaus wahrscheinlich, dass es soweit kommt.” Und wenn schon Kohlereserve, dann hätte man mindestens doppelt soviele Kohlekraftwerke auf diesen Stand-By-Modus runterschalten müssen.

“Wir haben der Bundesregierung empfohlen, keine Kohlereserve zu schaffen, sondern eine Klimaabgabe,” erzählt Kemfert, die auch EU-Kommission, Bundesregierung und internationale Klimaschutzgremien berät. “Das ursprüngliche Modell, das Bundesminister Gabriel auch vorhatte – das wäre sinnvoll gewesen, eben um alte, ineffiziente Kohlekraftwerke wirklich vom Netz zu nehmen, es auch nicht unnötig teuer werden zu lassen, den Markt zu bereinigen und gleichzeitig auch noch die Klimaziele zu erfüllen… Leider hat sich die Kohle-Lobby durchgesetzt.”

Und was, wenn Brüssel doch noch “Nein” sagt, zu der Berliner “Kohlereserve”? Kemfert: “Dann braucht man einen Plan B – und den hat man offensichtlich nicht. Der CO2-Preis in Europa kann es auch nicht richten, der ist viel zu niedrig, das heisst, man braucht eine Alternative. Unser Vorschlag wäre, auf das ursprüngliche Modell zurückzugehen, nämlich die Klimaabgabe.”

Die Idee ist bestechend einfach: “Die Klimaabgabe hat zum Ziel, dass man alte ineffiziente Kohlekraftwerke indirekt mit einem CO2-Preis versieht, das heisst, man müsste eine höhere Abgabe bezahlen, sie würden damit unwirtschaftlicher werden, würden gedrosselt in der Fahrweise, sie würden weniger CO2 ausstoßen”, so Kemfert.

Die DIW-Forscherin nimmt kein Blatt vor den Mund: “Die Verbrennung von Braunkohle verursacht zuviel Treibhausgas und ist deshalb extrem klimaschädlich, zudem ist die Förderung von Braunkohle extrem umweltschädlich, man zerstört ganze Landschaften, man verursacht Feinstaubemissionen… hinzu kommt, dass gerade Braunkohlekraftwerke sehr inflexibel sind”, meint Kemfert. Bei der Energiewende brauche man “flexible Kraftwerke, die leicht hoch- und runtergefahren werden können – deshalb sind Braunkohlekraftwerke ein Auslaufmodell.”

Auch das Ziel der deutschen Bundesregierung, bis 2020 im Vergleich zu 1990 vierzig Prozent weniger Emissionen zu produzieren, sieht Claudia Kemfert in Gefahr: “Man braucht, um diese 40 Prozent Emissionsminderung zu erreichen, ungefähr 22 Millionen Tonnen Emissionseinsparungen allein im Stromsektor. Jetzt hat man sich verabredet, dass man 2,7 Gigawatt Kohlekraft in eine Reserve tun will. Damit wird man maximal acht Millionen Tonnen Einsparungen erreichen können. Es fehlen erhebliche Größenordnungen.” Es sei “illusorisch”, auf dem gegenwärtigen Kurs das offizielle deutsche Emissionsminderungsziel zu erreichen, bewertet Kemfert den “Kohlekompromiss” zwischen Regierung und Industrie.

Und abschließend: “Der Aufschluss neuer Kohlegruben ist nicht notwendig, denn die Kohlekraftwerke passen nicht in eine nachhaltige Energiewende.” (Claudia Kemfert, DIW).

Widerstand auch in Polen

Auf der anderen Seite der Grenze, in Polen: Vor 30 Jahren war hier Anna Dziadeks Kindergarten. Bald eine Ruine? Als Investoren Interesse zeigten, um das leere Schloss zu einem Hotel umzubauen, sagte die staatliche Privatisierungsagentur: Nein, und verwies auf Polens Braunkohlepläne in der Grenzregion. Sie klagt: “Eigentlich ruiniert sich dieses Gebäude, es verfällt, und leider will die staatliche Agentur es nicht verkaufen, weil die Politiker und die Braunkohlelobby hier Tagebau versprechen, ein Kraftwerk – und sehr großen Reichtum. Kleine Investitionen, kleine Schritte sind nicht erlaubt.” Anna engagiert sich in der polnischen NGO No Coal Pits.

Während sie auf dem ebenfalls bedrohten Bauernhof einer Freundin beim Abfüllen von Kirschwasser hilft, gibt sie sich optimistisch, den polnischen Konzern PGE stoppen zu können: Die Kohlepläne kosten sieben Milliarden Euro Investitionen – zu teuer. Annas zweites Argument: Europa und Demokratie: “Unser bestes Argument ist, dass Polen Mitglied in der Europäischen Union ist. Wir haben 2009 zwei Volksabstimmungen durchgeführt: die Menschen hier wollen keine Braunkohleinvestitionen mehr. Und früher oder später muss die Braunkohlenlobby diese kranken Pläne eigentlich stoppen.”

Kampf für einen weltweiten Kohleausstieg

Auch auf der globalen Ebene tobt der Kampf gegen die Kohle: Lasst die fossilen Energieträger in der Erde – fordert die Organisation 350.org – und zieht Euer Geld ab. Die Anti-Kohle-Lobby feiert erste Erfolge: die Rockefellers machen mit, die Allianz-Versicherung... die Liste wird länger. “Mittlerweile haben wir auch schon sehr große Investoren erreicht, wie zum Beispiel den norwegischen Pensionsfonds, einen der größten staatlichen Pensionsfonds überhaupt, der jetzt seine Gelder aus der Kohleindustrie abzieht,” so Melanie Mattauch.

Doch der Kohle-Ausstieg kostet Zeit. Müssen weitere Dörfer weichen? Wir verabschieden uns von Familie Penk. Die Hoffnung stirbt zuletzt, gibt uns Edith mit auf den Weg. Die in Paris versammelten Staatenlenker sollten endlich Schluss machen mit der Kohle: “Wenn die jetzt bei der Klimakonferenz beispielsweise überall im Interesse der Industrie machen, dann können wir schwarz sehen… Wer nicht kämpft, der hat schon verloren und ich werde auch weiter dafür einstehen, dass nicht gebaggert wird.”

Es hängt von den politischen Rahmenbedingungen ab, ob weitergebaggert wird. Und die werden nun mal von Politikern entschieden. Man darf gespannt sein.

Das Braunkohle-Drama: Der Dreh in der Lausitz

Reporter - Brown coalUnd was sagen sie, die Politiker in Paris? Euronews stellt Ihnen hier die Reden des französischen Präsidenten François Hollande und des UN-Generalsekretärs Ban Ki-moon zur Verfügung, auf Englisch und auf Französisch.

François Hollandes Rede auf Englisch:

François Hollandes Rede auf Englisch:

Ban Ki-moons Rede auf Englisch:

Ban Ki-moon speaking at #COP21: “Our economies depend on improvement” https://t.co/EoHdrKcXxH

— euronews (@euronews) 30 Novembre 2015

Ban Ki-moons Rede auf Französisch:

#COP21 Ban Ki-moon : “Vous êtes ici pour écrire l'histoire de notre avenir” – Discours intégral https://t.co/rMoTB6aYMf

— euronews en français (@euronewsfr) 30 Novembre 2015

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