Politisch und kritisch: Preise für engagierte Filmemacher auf der Berlinale

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Das internationale Filmfestival Berlinale geht mit der Verleihung des Goldenen Bären zu Ende. Dieses Jahr geht die Auszeichnung an einen Filmemacher

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Das internationale Filmfestival Berlinale geht mit der Verleihung des Goldenen Bären zu Ende. Dieses Jahr geht die Auszeichnung an einen Filmemacher, der schon während des Festivals als einer der Favoriten gehandelt wurde: den Italiener Gianfranco Rosi für seine Flüchtlingsdoku “Feuer auf See”.

“Als ich vor zwei Jahren in Venedig den Goldenen Löwen gewonnen habe, dachte ich, ich werde so einen Moment kein zweites Mal erleben”, freute sich Rosi, nachdem ihm die Schauspielerin und Juryvorsitzende Meryl Streep die Bärenstatue überreicht hatte.

Als Kurzfilm geplant

“Feuer auf See” zeigt den Alltag auf der Mittelmeerinsel Lampedusa, die zum Anlaufpunkt für Bootsflüchtlinge aus Afrika geworden ist. Krasse, teils inszeniert wirkende Bilder, die das Leben, aber auch das Sterben auf der Insel dokumentieren. Rosi hatte eigentlich geplant, einen Kurzfilm auf Lampedusa zu drehen. Das Elend, das er auf der Insel vorfand, motivierte ihn aber zu einer abendfüllenden Dokumentation.

Der Bär für die beste Regie ging an Mia Hansen-Løve und ihren Spielfilm “Die Zukunft”. Der Film handelt von einer Philosophiedozentin und ihren privaten Problemen.

Mit dem Großen Preis der Jury, dem Silbernen Bären, wurde der bosnische Regisseur Danis Tanović für seinen Film “Tod in Sarajevo” geehrt. Darin verarbeitet Tanović noch einmal die Wunden des Bosnienkrieges, der vor 21 Jahren zu Ende ging.

400 Filme wurden auf der 66. Berlinale gezeigt. Am Sonntag geht das Filmfestival mit einem Publikumstag zu Ende, an dem die Wettbewerbsfilme noch einmal gezeigt werden.

Die Wettbewerbsfilme im Überblick

- «Inhebbek Hedi» (engl. Titel «Hedi») von Mohamed Ben Attia (Tunesien): Ergreifende Emanzipationsgeschichte eines jungen Mannes. PRO: Privates Drama, das zum facettenreichen Bild der tunesischen Gesellschaft wird. CONTRA: Die Nebenfiguren sind etwas klischeehaft gezeichnet.

- «Midnight Special» von Jeff Nichols (USA): Hollywoodstar Kirsten Dunst als Mutter eines mit übersinnlichen Kräften ausgestatteten achtjährigen Jungen. PRO: Interessanter Versuch, ein Familiendrama als Science-Fiction-Story zu erzählen. CONTRA: Zu viele Rätsel bleiben ungelöst.

- «Boris sans Béatrice» (übersetzt: Boris ohne Béatrice) von Denis Côté (Kanada): Ein erfolgreicher, arroganter Geschäftsmann steht vor der Herausforderung, seine depressive Frau wieder ins Leben zurückzuholen. PRO: Psychologische Studie eines Egomanen, die ein Schlaglicht auf eine übersättigte, bürgerliche Gesellschaft wirft. CONTRA: Die Botschaft wirkt sehr dick aufgetragen.

- «Fuocoammare» (übersetzt: Feuer auf See) von Gianfranco Rosi (Italien): Dokumentation über den Alltag auf der italienischen Insel Lampedusa, die seit Jahren Ziel Hunderttausender Bootsflüchtlinge ist. PRO: Mit Mut zur Radikalität blickt der Film auf das Flüchtlingselend und zwingt den Zuschauer genau hinzusehen. CONTRA: Für einen Dokumentarfilm wirken manche Szenen aus dem Alltag der italienischen Inselbewohner etwas inszeniert.

- «L’avenir» (übersetzt: Die Zukunft) von Mia Hansen-Løve (Frankreich): Isabelle Huppert als Philosophiedozentin, deren privates Leben von einer Katastrophe in die nächste schlittert. PRO: Porträt einer Frau, die alle Dinge mit kühlem Intellekt meistern will. CONTRA: Zu harmlos und beiläufig erzählt.

- «Cartas da guerra» (übersetzt: Briefe aus dem Krieg) von Ivo M. Ferreira (Portugal): Filmische Adaption der Briefe von António Lobo Antunes über seine Zeit als portugiesischer Kolonialsoldat in Angola in den 1970er Jahren. PRO: Künstlerisch originell reflektiert der Film, wie Krieg die Seelen der Menschen zerstört. CONTRA: Die sehr stilisierte Bildsprache und der artifizielle Umgang mit der Sprache dürfte dieses Werk zum Film für ein Nischen-Publikum machen.

- «24 Wochen» von Anne Zohra Berrached (Deutschland): Julia Jentsch als schwangere Kabarettistin, die ein Kind mit Down-Syndrom und Herzfehler erwartet und über eine Abtreibung nachdenkt. PRO: Der Film plädiert auf mutige Weise für die Entscheidungsfreiheit der Frau. CONTRA: Die Hauptfigur wirkt teils recht hölzern und am Schluss wird dem Publikum mit einem überdeutlichen Finale das Nachdenken abgenommen.

- «Quand on a 17 ans» (übersetzt: Mit 17) von André Téchiné (Frankreich): Ein 17-Jähriger erlebt die erste Liebe mit einem Klassenkameraden. PRO: Feinfühlig erzählte Coming-Out-Story mit hervorragenden Darstellern. CONTRA: Über diesen sensiblen Film des französischen Regie-Altmeisters lässt sich nichts Negatives sagen.

- «Smrt u Sarajevu/Mort à Sarajevo» (übersetzt: Tod in Sarajevo) von Danis Tanovic (Bosnien und Herzegowina): In einem Hotel in Sarajevo spiegeln dramatische Episoden die Zerrissenheit eines Volkes mehr als zwei Jahrzehnte nach dem Grauen der Kriegsmassaker in den 1990er Jahren. PRO: Der Film verschränkt geschickt Historie und Gegenwart, Politik und Privates. CONTRA: Wer sich mit der Geschichte Ex-Jugoslawiens nicht gut auskennt, kann manchmal nur schwer folgen.

- «Jeder stirbt für sich allein» von Vincent Perez (Schweiz): Verfilmung des Romans von Hans Fallada über ein Berliner Ehepaar, das Widerstand gegen die Nazis leistet. PRO: Schauspielstar Brendan Gleeson als stoischer Mann, der seine Überzeugung in die Tat umsetzt. CONTRA: Zu kulissenhafte Szenerie, zu hölzerne Figurenzeichnung.

- «Chang Jiang Tu» (engl. Titel «Crosscurrent») von Yang Chao (China): Eine Reise über den Jangtse-Fluss auf den Spuren der chinesischen Vergangenheit und Gegenwart. PRO: Eine Flut poetischer Bilder versetzt den Zuschauer geradezu in Trance. CONTRA: Die überbordende Rätselhaftigkeit erschwert dem Zuschauer den Zugang dann doch sehr.

- «Soy Nero» von Rafi Pitts (Iran/Großbritannien): Der junge Mexikaner Nero flüchtet in die USA und meldet sich freiwillig zum Militär, um eine Green Card zu bekommen. PRO: Spannend und mit starken Bildern erzählte Geschichte über die Hoffnung nach einem besseren Leben und den Preis, den manche Menschen dafür zahlen müssen. CONTRA: Etwas straffer inszeniert, hätte der Film noch eine größere Wirkung.

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- «Genius» von Michael Grandage (Großbritannien): Colin Firth spielt den New Yorker Lektor Max Perkins, Entdecker des Schriftsteller-Genies Thomas Wolfe, dargestellt von Jude Law. PRO: Feinfühlig erzählte und wunderbar gespielte Geschichte über eine ungewöhnliche Freundschaft. CONTRA: In eher konventionellem Stil gedreht.

- «Zero Days» von Alex Gibney (USA): Dokumentarfilm über den so genannten Cyber War - die von Geheimdiensten vorangetriebene weltweite Kriegsführung mit der Waffe Internet. PRO: Internet-Experten, Militärs und Geheimdienstler geben in der aufwendig recherchierten Doku erschreckende Fakten preis. CONTRA: Aufklärung pur, filmkünstlerisch weniger interessant.

- «Die Kommune» von Thomas Vinterberg (Dänemark): Ein Paar mit heranwachsender Tochter beschließt in den 1970er Jahren, eine Kommune zu gründen - ein Experiment mit ungewissem Ausgang. PRO: Mit grandiosen Darstellern erzählte Geschichte über das Scheitern einer Utopie. CONTRA: Stilistisch geht der Dogma-Filmer Vinterberg keine Experimente ein.

- «A Lullaby to the Sorrowful Mystery» (übersetzt etwa: Ein Wiegenlied für das schmerzhafte Geheimnis) von Lav Diaz (Philippinen): Acht Stunden langes, in Schwarz-Weiß gedrehtes Epos über den philippinischen Widerstand gegen die spanischen Kolonialherren im späten 19. Jahrhundert. PRO: Gefühlt in Echtzeit gedrehte, bis ins letzte Detail durchkomponierte Szenen über den Sinn von Krieg und Revolution. CONTRA: Wer sich mit der philippinischen Geschichte nicht auskennt, findet nur sehr schwer hinein in das oft rätselhafte Geschehen auf der Leinwand.

DPA/Elke Vogel/Peter Claus

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