"Griechenland braucht einen Schub nach vorn, keinen Stoß nach hinten"

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Vor dem Krisentreffen der Euro-Finanzminister an diesem Freitag in Amsterdam hat der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras weitere

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Vor dem Krisentreffen der Euro-Finanzminister an diesem Freitag in Amsterdam hat der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras weitere Sparmaßnahmen entschieden abgelehnt. In einem Interview mit euronews sagte Tsipras, Griechenland habe einen primären Haushalts-Überschuss (Haushalt ohne Ausgaben für Staatsschulden) von 0,7% erwirtschaftet und brauche keine extra Spar-Maßnahmen. Griechenland brauche eine Lockerung der Schulden, wenn die Wirtschaft durchstarten solle, damit das Vertrauen der Investoren zurückkomme und das Land zum Wachstum zurückkehre.

Unter den Geldgeber-Institutionen und den Eurostaaten gibt es Streit darüber, ob Athen weitere Schuldenerleichterungen braucht oder nicht. Nach Angaben von Eurostat stieg die Neuverschuldung im vergangenen Jahr auf 7,2 % der Wirtschaftsleistung.

In Athen sprach euronews-Korrespondent Stamatis Giannisis mit Ministerpräsident Tsipras.

Stamatis Giannisis, euronews:

“Herr Ministerpräsident, die Daten von Eurostat über die Leistung der griechischen Wirtschaft sind besser als erwartet, aber vor Ihnen liegt noch ein langer und beschwerlicher Weg. Was sagen Sie dazu?”

Alexis Tsipras, griechischer Ministerpräsident:

“Griechenlands Finanz-Performance hat 2015 jede Erwartung übertroffen – und bitte nicht vergessen, wie schwierig dieses Jahr war. Wir hatten zwei Wahlen, ein Referendum, geschlossene Banken und dazu eine noch nie dagewesene Flüchtlingskrise, die fast vollständig auf Griechenland Schultern lastete.

Trotz allem, was sagt uns Eurostat? Dass wir 0,7% Primärüberschuss hatten anstatt der prognostizierten 0,25% Primärdefizit. Das heißt, dass wir das Programm-Ziel um fast einen Prozentpunkt übertroffen haben. Nicht zu vergessen die IWF-Prognose von 1% oder 0,6% (Defizit) zur gleichen Zeit. Wir haben die Prognosen des IWF um 2,3 Milliarden Euro übertroffen. Und das alles in einem schwierigen Jahr, kein glücklicher Zufall kam zuhilfe. Alles ist eingetreten, weil wir mit einer Vision gearbeitet haben, mit Geduld und mit Ausdauer.

Wir hielten die Ausgaben niedrig, mehr als fünf Milliarden Euro für die griechische Wirtschaft aus dem nationalen strategischen Referenzrahmenplan (National Strategic Reference Framework NSRF) der EU sorgten für eine frische Brise und Griechenland war zum ersten Mal das Land Nummer eins beim Absorbieren dieser Mittel. Unser Tourismus lief auch ausgezeichnet, die Staatseinnahmen waren zwei Milliarden höher als erwartet und die Arbeitslosigkeit ging um um 1,5 Prozentpunkte zurück.

Diese – nicht aggressive – fiskalische Anpassung konzentrierte sich auf die Sorge um den Schutz der Schwachen und der Menschen mit mittlerem und niedrigem Einkommen, dazu auf den Schutz unserer nationalen Gesundheits- und Bildungssysteme. Das trägt Früchte, und die griechische Wirtschaft scheint nun an der Schwelle der Erholung. Die Prophetien der modernen Kassandras, dass wir während der Verhandlungen die Wirtschaft vor die Hunde gehen lassen, sind glorreich widerlegt. Jetzt ist die Zeit, für die richtigen Entscheidungen.”

Euronews:

“Haben Sie den Eindruck, dass diese Entwicklung helfen wird, die Diskussion über eine Schuldentilgung zu beginnen?”

Alexis Tsipras, griechischer Ministerpräsident:

“Ich habe im Moment den Eindruck, dass wir, da die griechische Wirtschaft an der Schwelle zum Ausgang aus der Krise scheint, jetzt die richtigen Entscheidungen treffen müssen. Das bedeutet, dass Griechenland in der letzten Etappe des Rennens ist und einen Schub nach vorn braucht, keinen Stoß nach hinten. Es ist daher notwendig, dass diejenigen, die grobe Fehler mit falschen Entscheidungen und falschen Prognosen gemacht haben, nicht die gleichen Fehler wiederholen dürfen.

Griechenland hat einen Haushalts-Überschuss von 0,7%, ein Prozentpunkt mehr als der Zielwert und braucht keine extra Spar-Maßnahmen. Was Griechenland braucht, ist eine Lockerung der Schulden, wenn die Wirtschaft durchstarten soll, damit das Vertrauen der Investoren zurückkommt und wir zu Wachstum zurückkehren, endlich.

In dieser kritischen Phase dürfen wir keinem erlauben, das Land zurück in die Dunkelheit der Rezession zu steuern. Wir müssen nach vorne marschieren und die Krise hinter uns lassen.”

Euronews:

“Glauben Sie, dass die dünne parlamentarische Mehrheit von drei Stimmen die Abstimmungen über all diese Spar-Rechnungen übersteht?”

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Alexis Tsipras, griechischer Ministerpräsident:

“Zum ersten Mal in Griechenland hat eine Regierung ein Mandat erhalten, eine sehr schwierige Vereinbarung umzusetzen, gleich nachdem diese Vereinbarung getroffen wurde und nicht vorher. Zum ersten Mal wusste das griechische Volk, was auf dem Tisch lag und deshalb gibt es kein Problem im Hinblick auf die Umsetzung des Abkommens. Da bestehen wir auf dem Inhalt der Vereinbarung, nicht mehr und nicht weniger. Die Vereinbarung wird respektiert. Das Land wird die Krise hinter sich lassen und unsere parlamentarische Mehrheit ist ausreichend, solange uns keine zusätzlichen Belastungen aufgeladen werden, die über die Vereinbarung hinausgehen. Und sicher gibt es keine Begründung für sowas, da sprechen die Ergebnisse, die Zahlen und die Wirklichkeit selbst dagegen.”

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