Street Art gegen den Terror - Paris ein halbes Jahr danach

Street Art gegen den Terror - Paris ein halbes Jahr danach
Von Kirsten Ripper
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Vor dem Café LE CARILLON wurden am 13. November 2015 mehrere Menschen erschossen. Jetzt sitzen an einem regnerischen Nachmittag Leute draußen unter der Markise. Auch Diana Kami, die oft hierher kommt, um mit anderen Müttern aus der Schule nebenan Kaffe zu trinken oder sich mit Freunden zu treffen. Die Schmuckdesignerin und Goldschmiedin wohnt ganz in der Nähe mit ihrer Tochter, hat hier ihr Atelier.

Spät am 13. November 2015 ruft ihr Bruder aus Grenoble an, um zu fragen, ob sie OK ist. Diana Kami hat keinen Fernseher, sie hatte nichts gehört, nichts mitkriegen wollen, wie sie heute sagt. Ihr Bruder kann am Telefon im Hintergrund die Sirenen der Feuerwehr hören, erst als er das sagt, hört Diana Kami sie auch.

Am nächsten Morgen ist der Platz vor dem CARILLON mit Sägemehl bedeckt, um das Blut der Toten zu verbergen. Viele Leute weinen, bringen Blumen. Als die achtjährige Tochter fragt, was da los ist, sagt Diana Kami: “Da wird ein Film gedreht.” Sie kann das Unerklärliche nicht verständlich machen. Alles erscheint surreal.

Nachdem sie die Tochter am Montag in die Schule gebracht hat, beginnt Diana Kami die Wand rue Alibert neben der Schule zu bemalen. Einfach so, spontan, ohne zu überlegen. Diana Kami hatte seit Jahren nicht mehr gemalt, jetzt malt sie wochenlang.

Zusammen mit anderen Bewohnern des Viertels organisiert sie ein Crowdfunding unter dem Motto “Dessine-moi un bouquet” (“Mal mir einen Blumenstrauß”), um die Farbe zu bezahlen. Dabei geht es weniger ums Geld, als darum, dass sich die Bewohner des Viertels an dem Projekt beteiligen.

Bei der Malaktion machen dann die Kinder der Schule und befreundete Street-Art-Künstler mit, es entsteht “Mur de l’Amour – Love Wall”. Diana Kami überwacht alles, sie will nur positive Bilder. Sie selbst malt vor allem Bäume, deren Wurzeln fest im Bürgersteig verankert sind, und sie lässt sich von einer Freundin einen Satz auf Arabisch übersetzen. Viele Kinder malen Blumen. Auch das Motto von Paris nach den Attentaten: Fluctuat nec mergitur – “Sie schwankt, aber sie geht nicht unter”, der alte Wahlspruch der französischen Hauptstadt, ist auf der Wand zu lesen. Diana Kami will ein Zeichen setzen, dass sich das Viertel gleich neben dem Canal Saint- Martin, dass sich die multikulturelle Gemeinschaft nicht unterkriegen lässt. “L’amour court les rues”, die Liebe in den Straßen, das steht auch anderswo in Paris – wie zum Trotz.

Ein paar hundert Meter entfernt auf der Place de la République protestieren inzwischen jede Nacht junge und ältere Leute, “Nuit débout” (das bedeutet in etwa “Aufrecht stehend in der Nacht”). Sie knüpfen an die Protestbewegung der “Empörten” (“Indignados”) in Spanien an, diskutieren für eine bessere Welt. Neben den Protesten werden regelmäßig die Geldautomaten und Fensterscheiben der umliegenden Banken eingeschlagen, Spezialeinheiten der Polizei räumen den Platz immer wieder unter Einsatz von Tränengas.

Die Künstlerin bemalt jetzt noch eine weitere Wand an einem Wohnblock ein paar Straßen weiter. Vorbeigehende bleiben stehen, unterhalten sich mit Diana Kami, sie freut sich über den Zuspruch.
Wie es um die Ermittlungen nach den Attentaten steht, das interessiert sie nicht. Es ändert eh nichts, meint Diana Kami.

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